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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

freudetrunken seine Arme ausbreitete und hineilte zu seiner Braut und sie an sein Herz drückte mit dem Rufe: „Rosa! meine Rosa!“

„Deinen Brief, Theodor, erhielt ich,“ fuhr der Schulrath fort, während er mit Theodor und Rosa noch auf dem Vorsaale stand, „aber es ließ mir keine Ruhe. Wahre Liebe muß auf gegenseitigem Vertrauen beruhen. Das sagte ich Dir schon früher. Das ist die sicherste Basis. Also fuhr ich heute früh zu Fräulein Rosa. Ich habe mit ihr geredet, wie ein Vater redet mit seinem Kinde, offen und wahr. Da ich übrigens denken konnte, daß Du heute mit dem vorletzten oder letzten Zuge zurückkommen würdest, so fuhr ich hierher, um Dich zu erwarten. Du siehst, wer mich begleitet hat. Fräulein Rosa weiß Alles.“

„Weiß Alles!“ rief es im Zimmer laut und schmerzlich. Dann folgte dem Ausrufe ein bitteres Lachen. Rauschenbach trat auf die Schwelle. Er verbeugte sich, schlug die Arme in einander und sah unverwandt nach Rosa, die ihr Gesicht nun fest an Theodor’s Brust drückte.

„Theodor, wer ist dieser Herr?“ fragte der Schulrath befremdet.

„Das ist Herr Rauschenbach,“ antwortete Theodor, „es ruhte Verdacht auf ihm, aber er ist unschuldig, völlig unschuldig! Es war ein Irrthum, das Geld hat sich wiedergefunden, Vater!“

„Herr Director Liebing!“ rief er mit unsicherer Stimme, „treten Sie doch näher! bezeugen Sie meinem Vater das Nöthige!“

„Es ist so, wie Sie es jetzt gehört,“ versicherte der Director, indem er grüßend an die Thüre sich stellte.

„Also das Geld war gar nicht gestohlen worden?“ fragte verwundert der Schulrath. „Und da habe ich vielleicht wehe gethan?“ wendete er sich an Rosa und trat hin zu ihr. „Ist es so, liebe Rosa? habe ich wehgethan? habe ich ein verletzendes Wort gesagt? Rosa, Du bist ja nun mein Kind, mein liebes, liebes Kind! ich weiß nicht, ob ich Dich verletzte; wenn es wäre, vergibst Du mir?“

Rosa blieb gelehnt an Theodor’s Brust, aber sie streckte schweigend dem Schulrathe ihre rechte Hand entgegen.

„Rosa! und habe ich Dir wehgethan?“ flüsterte Theodor mit bebender Stimme, „o vergib auch mir, theuere Rosa!“

Sie schwieg fort, aber inniger drückte sie ihr Angesicht an sein Herz.

„Habe ich’s nicht behauptet, daß auch die Engel im Himmel lügen, wenn nur ein Körnlein von Schuld auf ihr ruhte? O ich wußte es!“ sprach der Director.

„Du bist rein wie ein Sonnenstrahl!“ sagte leise Theodor und drückte leise seine Lippen auf ihr Haupt.

Es entstand eine feierliche Pause.

„Aber ich! ich!“ rief plötzlich, wie aus wüstem Traum erwachend, Rauschenbach und ging rasch in Rosa’s Nähe, „Fräulein Rosa! o geben Sie auch mir eine Hand! Es ist die Hand zum Abschied! Rosa, Sie sind Braut, eine reine, eine schuldlose, glückliche Braut! Noch ein Mal, zum letzten Mal geben Sie mir die Hand, die mich von sich stieß, von sich stoßen mußte! deren ich unwürdig war!“

Rosa regte sich nicht, fester schloß sie sich an Theodor.

„Thun Sie es, Rosa! Ihre Hand! Ihre Hand!“ klang es lauter und schmerzlicher noch als vorher aus Rauschenbach’s Munde,

Und sie reichte ihm die Hand, ohne das Gesicht nach ihm zu wenden.

Rauschenbach beugte sich, drückte seine Lippen auf die Hand. Dann richtete er sich empor.

„Und nun die Wahrheit!“ rief er mit glänzenden Augen „ich bin der Schuldige! ich bin der Dieb!“

„Rauschenbach!“ versetzte Theodor erschrocken.

„Was thun Sie?“ fragte verwundert der Director.

„Staunen Sie nicht!“ entgegnete in höchster Aufregung Rauschenbach, „Auch für Sie Beide, die Sie mich schonen wollten, ist es besser so! Das Schweigen würde für Sie eine Qual, eine unheilbare Krankheit werden! Und ich? ich?“ sprach er bitter lächelnd weiter, „soll ich besser stehen in Rosa’s Nähe, als ich bin? Soll ich die Schonung annehmen, und doch fürchten, daß Sie späterhin ihr sagen, ich sei ein Dieb? Nein! nein! Rosa gab mir ihre Hand, und so gab ich das Einzige, was ich hatte, die Wahrheit! Nun stehe ich nicht vermummt, nicht im Schein, ich stehe als der, der ich bin, stehe als Dieb!“

„Gib mir Aufschluß, mein Sohn! ich begreife das nicht!“ mahnte der Schulrath und schritt, indem er andeutete, daß man ihm nachfolgen möchte, aus dem Vorsaale in’s Zimmer.

Rosa ging mit Theodor. Auf einen Pfeilertisch, der im Vorsaale stand, warf sie die Mantille, und neben diese setzte sie den zierlichen, kleinen Arbeitskorb, den sie bei ihrer Ankunft auf ein Fensterbret gestellt hatte. Den kleinen Korb öffnete sie noch schnell. In ihm lagen Blumen, ein Buch, Häkelzeug, ein seidner Knaul. Die Blumen nahm sie schnell heraus, küßte Theodor’s Lippen, drückte die Blumen in seine Hand. Auf Rauschenbach richtete sie nur einen einzigen Blick, einen Blick voll Mitleid. Rauschenbach bemerkte es, und ein schmerzliches Lächeln ging über sein Gesicht.

„Und wollen Sie nicht auch eintreten?“ fragte Theodor, als die Uebrigen hinein waren in’s Zimmer.

„Sie werden ruhiger und richtiger erzählen, wenn ich nicht dabei bin,“ entgegnete Rauschenbach, warf noch sein glühendes Auge auf die reizende Rosa und drückte dann die Thüre in’s Schloß. So war er nun allein.

Unten wurde Lärm. Der Kellner rief aus dem Hause herauf, daß nach wenigen Minuten der Zug nach Berlin gehe.

Der Director öffnete die Zimmerthüre und sagte: „Herr Rauschenbach, wir reisen doch zusammen erst mit dem Nachtzuge?“

„Mit dem Nachtzuge! richtig, ich wenigstens!“ entgegnete Dieser fast heiter, während er die Thüre wieder schloß.

Er trat dann einige Schritte zurück und griff in die Seitentasche seines Rockes, aus welcher er einen Gegenstand hervorzog, den er einen Augenblick lang betrachtete und dabei leise, aber entschieden sagte: „So brauche ich dich also doch noch, armseliges Ding, das ich für alle Fälle zu mir nahm! Nein, nein, nicht armselig, du arbeitest rasch und gut!“

Nach diesen Worten begab er sich an den Pfeilertisch, auf welchem Rosa’s kleiner Korb stand. Er griff darin herum. Eine Blume, die er noch fand, nahm er lächelnd heraus und drückte sie an’s Herz. Dann schritt er leise im Vorsaal auf und ab, ohne sich um das zu kümmern, was drinnen im Zimmer vorging.

Drinnen aber gab nun theils der Director, theils Theodor die nöthige Aufklärung über das Geschehene. Auch schrieb Theodor eine Anweisung auf zweihundert Louisd’or.

„Es geht von meinem Vermögen, Vater,“ sagte er lächelnd zum Schulrath, indem er das Papier ihm hinwies.

„Ist nicht nöthig, mein Sohn!“ erwiderte Dieser. „Da Alles einen so glücklichen Ausgang genommen, so laß es getrost auf meine Rechnung zahlen! Vielleicht gelingt es auch noch, den jungen Mann zu bessern. Ich werde nachher selbst mit ihm sprechen. Also das Papier auf meine Rechnung, Theodor!“ erinnerte er treuherzig nochmals, und setzte lächelnd hinzu: „Habe ich doch auch noch überdies für das Geld einen Zuwachs für meine Revisionscuriositäten bekommen! Wo sind die zwei Blätter?“

„Die liegen wohl im Vorsaal, ich nahm sie vorhin mit hinaus, sie sollen Dir nicht entgehen. Und hier, Herr Director, ist die Anweisung!“

„So laß uns wenigstens das Ganze gemeinschaftlich tragen!“ versetzte der Schulrath.

„Nicht doch, lieber Vater, o ich zahle die Summe ja so gern!“ rief mit Wärme der Sohn.

Mit tiefsinnigem Blicke, mit heiterm Lächeln sah Rosa ihn an. „Mein Theodor!“ sprach sie leise und küßte den Geliebten.

Der Director trat näher. Er dankte, dankte herzlich und gerührt.

„So sind wir ja Alle nun glücklich geworden!“ rief Theodor froh.

„Möge auch der es noch werden, der dort draußen verweilt!“ sprach der Schulrath; „ich werde mein Werk dann beginnen mit ihm!“

Da krachte im Vorsaal ein Schuß.

„Gott im Himmel!“ rief der Schulrath und floh schnell an’s Fenster.

Theodor und Rosa standen erschrocken, aber fest und getrost und liebend schlossen sie sich in die Arme.

Der Director, der herausgestürzt war, kam zurück und sprach:

„Auch er ist nun glücklich!“

Rauschenbach war todt. Mit einer Kugel hatte er sich das

Haupt zerschmettert. Neben ihm lag ein Pistol, an seiner Brust

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