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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

ledig, nur mit Mühe neben uns her. Bewahre der Prophet jeden Gläubigen vor den Giftwinden, die uns betrafen! Nur bei Gott, dem Erhabenen, allein ist die Stärke: – sonst wären auch wir erlegen. Denn der Arm des Todes griff nach uns Allen, und die Pforten der Hölle waren geöffnet. Aber – el hamdu lillahi! (Gott sei Dank) wir haben wieder Nilwasser getrunken!“

Unser Mann würde gewiß noch länger in diesem Tone fortgefahren haben, wäre nicht der erwähnte Kameeltreiber soeben in die Hütte getreten. Auf seinem Gesichte war die Anzeige eines großen Verlustes zu lesen; aber er sprach kein Wort.

„Nun, Mann, wie geht es, was thun die Kameele?“ fragte Hawadje Husseïn.

„Nädjedi maht, ja sidi“ (Meine Kameelstute ist todt, Herr). Nur bei Gott ist die Stärke; gelobet sei Er und sein Prophet: – aber ich bin ein Bettler geworden! Hauen Allah aleïhi!! (Möge Gott mir helfen!)

Amsu ja radjel! (So sei es, Mann). Du Gläubiger, erhebe Dein Haupt und schüttle den Trübsinn von Dir; Gott wird weiter helfen, denn bei ihm ist die Hülfe!“

Aber der Arme wollte sich nicht trösten lassen. Wir gaben ihm Geld; er nahm es dankbar an und schwieg. Hin und wieder perlten ihm einzelne Thränen über die dunklen Wangen herab; dann und wann seufzte er tief. Endlich sagte er noch höchst betrübt:

„Zehn Jahre lang besaß ich das vortreffliche Thier; – jetzt liegt es draußen in dem Bauche der Felsen, und die Geier werden es fressen!“

„Aber, Mann,“ erwiderte ich ihm, „wo sollen denn hier die Geier herkommen? Weit und breit ist nichts zu sehen, als eine Einöde, in welcher man kaum einen Raben antrifft – warum also fürchtest und hassest Du jene?“

„Weil sie“ – der Kameeltreiber beantwortete den letzten Theil meiner Frage zuerst und dann den ersten zuletzt – „nedjes (unrein) sind vom Uranfang an, und der Gläubige, welcher die Gesetze des Propheten – Gottes Frieden über ihn! – achtet, sie von sich fern hält; weil sie den ermüdeten Wanderer in der Steppe anfallen, wie ein todtes Aas; weil sie den Reisezügen des Menschen folgen, wie der Teufel, – vor welchem der Herr seine Erwählten beschützen möge! Nur ihre Leber besitzt heilsame Kraft; aber es ist dem Gerechten verwehrt, sich ihrer zu bedienen, und blos dieser oder jener verruchte Zauberer benutzt sie zu seinen höllischen Werken. – Woher sie kommen, fragst Du? Sie werden erscheinen ohne Zahl und den Himmel bedecken mit ihrer Menge.“

Diese in unseren Augen höchst angenehme Voraussetzung wurde von allen Eingeborenen so einstimmig bestätigt, daß wir beschlossen, hier zu bleiben und die Geier zu erwarten. Das Aas war zur Beobachtung und Jagd der Vögel sehr geeignet: es lag allerdings „im Bauche der Felsen“, wie der Nubier sagte, und die Felsen boten uns treffliche Verstecke dar. Um etwaige Raubversuche der Hyänen abzuhalten, wurde unser Jäger beordert, Nachts in der Nähe des gefallenen Thieres Wache zu halten; er ging jedoch nur mit größtem Widerstreben auf seinen Posten, denn „die verruchten Zauberer nehmen ja leider Nachts die Gestalt der Hyäne oder des Nilpferdes an, und ein Zusammentreffen mit ihnen ist dem Gläubigen höchst schädlich; der böse Blick aus dem Auge des Zauberers kann das Blut in den Adern des Gerechten zum Stocken, das Herz zum Stillstehen bringen, die Eingeweide ausdörren und den Verstand verwirren;“ – anderer Gefahren gar nicht zu gedenken! Unser Jäger war aus allen diesen Gründen von der Bedenklichkeit seiner Lage, den verwandelten Hyänenmenschen gegenüber, so durchdrungen, daß - ihm nur unsere Versicherung, auf einen Schuß von ihm zu seiner Hülfe herbeizueilen, einige Beruhigung gewährte. Er ging also, – es erschienen keine Hyänen: – der Mann hatte die erflehte Hülfe des Gottgesandten erhalten!

Am andern Morgen lösten wir ihn frühzeitig ab, weil wir glaubten, daß die Geier wohl in den ersten Stunden erscheinen würden; wie wir jedoch heute zum ersten Male erfuhren, irrten wir uns sehr.

Es war noch kühl, einsam und still in der Nähe des fahlen Sterbebettes, als wir bei dem Kameele ankamen. Nur einige Steinschmätzer und Ammerlerchen, die Bewohner auch des Innersten der Wüste, fangen ihr Morgenliedchen, – sonst sah und hörte man nichts Lebendiges. Bald nach Sonnenaufgang aber entdeckte Aali’s scharfes Auge einen eben in unseren Gesichtskreis gelangten Raben, dessen weiße Brust uns den wirklich schönen Corvus scapulatus des Innern Afrika’s erkennen ließ. Er flog erst langsam, schien aber plötzlich das Aas zu sehen, und näherte sich ihm nun mit raschen Flügelschlägen. Bei seiner Ankunft umkreiste er es mehrere Male schreiend in immer geringerer Höhe, senkte sich dann schief herab, schwang sich nach vorn und oben und betrat, die seinen, spitzen Flügel zusammenlegend, in einiger Entfernung von demselben den Boden. Jetzt schauete er sich vorsichtig um, stolzirte ernst auf den Leichnam zu und umging ihn, scheinbar sehr zufrieden, mit bedächtigen Schritten. Ein Wüstenrabe (C. umbrinus) gesellte sich zu ihm, und bald folgten von beiden Arten mehrere nach; in kurzer Zeit mochten über ein Dutzen Raben versammelt sein. Nun erschienen immer neue Gäste. Die hier sehr häufigen schmutzigen Aasgeier (Neophron percnopterus und N. pileatus) hatten die Rabenversammlung bald ausgewittert und eilten aus allen Richtungen der Windrose in Schaaren herbei. Schmarotzermilane (Milvus parasiticus) kreisten schreiend über der Gruppe, dann ließ sich auch von ihnen einer nach dem andern zur Erde nieder. Nach Verlauf einer Stunde war eine sehr zahlreiche Gesellschaft zusammengekommen. Alle Mitglieder derselben blickten lüstern auf das Aas; aber nur die Aasgeier versuchten es, die Augen auszuhacken und von der heraushängenden Zunge einige Bröckchen abzupicken, obgleich ihnen dies nur in geringem Maße gelang. Die Schnäbel sämmtlicher hungrigen und sehr eßlustigen Tischgäste waren viel zu schwach, als daß sie die starke Lederhaut des Kameeles hätten zerreißen können.

Da schoß plötzlich ein großer Raubadler (Aquila rapptor), den wir nicht hatten kommen sehen, auf den Kopf des Kameeles nieder und riß mit einigen Schnabelhieben die Augenhöhle auf, um das Auge auszulösen. Er hatte aber kaum diese Arbeit beendet, als sich von allen Seiten die Schmarotzermilane schreiend und stoßend auf ihn stürzten, um das von ihm Errungene zu ihrem eigenen Nutzen auszubeuten. Es entstand ein unglaubliches Getümmel und ein wahres Zetergeschrei um den Adler, welcher, entrüstet über die zudringliche Bettlergesellschaft[1] schließlich ihnen seine Beute stolz zuwarf und es ihnen überließ, sich nun unter sich um dieselbe zu balgen und zu verfolgen. Er wandte sich von Neuem zu seiner Tafel: aber nunmehr war auch die Zeit erschienen, in welcher die eigentlichen Vorleger der Speise auf dem Schauplätze ankamen.

Meines Dieners Falkenauge entdeckte fern von uns in sehr bedeutender Höhe den ersten in Schraubenwindungen sein Jagdgebiet absuchenden Ohrengeier (Vultur auricularis). Ich fand den Vogel erst nach langem Suchen auf; er erschien mir als kleiner schwarzer Punkt am dunklen Himmel – viel kleiner, als uns ein in den höheren Lustschichten sich tummelnder Mauersegler vorzukommen pflegt. Dieser Punkt nahte sich uns ungemein rasch, ohne irgendwelche Flügelbewegung, kreiste zwei oder drei Mal über dem Aase und zog plötzlich die Schwingen ein. Jetzt schwebte er nicht mehr, sondern fiel wie jeder andere schwere Körper mit der bekannten, sich von Augenblick zu Augenblick vergrößernden Geschwindigkeit sausend nieder. Es machte einen eigenthümlichen Eindruck, das gewaltige Thier mit solcher fabelhaften Schnelle näher und näher kommen zu sehen. Der dunkle Punkt verwandelte sich während einiger Secunden in einen Vogel, welcher den Schwan an Größe übertrifft! Es schien, als müßte der Geier bei seiner Luftfahrt zerschmettert werden; allein er wußte dem vorzubeugen. Denn schon in einer Höhe von etwa dreihundert Fuß über der Erde breitete er seine Schwingen wieder aus und minderte dadurch die Schnelligkeit des Falles mehr und mehr, bis er schließlich gemächlich herabschwebte.

Sein Erscheinen auf dem Aase scheuchte das kleine Gesindel augenblicklich zur Seite, wie die Ankunft des amerikanischen Königsgeiers (Vultur l’apa) die dortigen Aasgeier (Vultur aura und Vultur Jota) selbst mitten im Fressen von der Tafel jagt. Entsagend saßen alle Schwächlinge um den Gewaltigen; der Adler allein nahte sich ungescheut. Der Geier lief mit raschen Schritten auf das Aas zu, schwang sich auf dessen Leib, blickte stolz in die Runde und begann seine Mahlzeit. Mit zwei bis drei Schnabelhieben hatte er die starke und feste Haut zerrissen und wühlte nun in dem Fleische; bei jedem Bissen, welchen er abriß, schleuderte er größere oder geringere Brocken zur Seite; diese wurden

  1. Ich habe später diese Vögel beobachtet, wie sie einem Bewohner Charthúms ein Stück Fleisch aus einer Mulde nahmen, welche dieser offen auf dem Kopfe trug.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_570.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)