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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

So steht das Hofbräuhaus, ein fast unberührter Zeuge herkömmlicher Sitte und Volkseigenthümlichkeit, ein Wahrzeichen, wie andere Städte deren von Stein oder Erz an altem Gemäuer aufbewahren, so dieses hier ein in seinem Treiben lebendiges, sich stets erneuerndes. Den Namen des „Hofes“ führt es nun freilich sehr uneigentlich, und dies nicht nur deshalb, weil Alles, was darin um- und vorgeht, das gerade Widerspiel von Etikette und Erlesenheit ist, sondern schon darum, weil die Brauerei mit dem Hofe, mit der Civilliste in gar keinem Zusammenhange steht, sondern Staatsanstalt ist und auf Rechnung des Budgets durch ein eigenes, hierfür aufgestelltes Brauamt verwaltet wird. Die Brauerei ist bei Weitem nicht eine der größten Münchens, weder in Bezug auf ihre Räumlichkeiten, noch auf ihren Betrieb; allein da sie das Eigenthümliche hat, daß sie ihr Fabrikat, welches im Rufe des Vorzüglichsten zu erhalten ihr als Ehrensache gilt, nicht versendet, ja sogar (Detailverkauf an Privatpersonen ausgenommen) nicht außer dem Hause verzapft, so ist ihre Schenke die frequenteste, an der vom frühen Morgen bis zur Mitternacht das inbrünstigste Werben um den delicaten Stoff und das heilloseste Gedränge nicht aufhören.

Es ist ein unscheinbar, niedrig, alterthümlich Haus, dieses Hofbräuhaus, in einem abgelegenen Stadtviertel, in dessen Thorweg wir eintreten und in einen Hof gelangen, der schon – auch bei kühler und unfreundlicher Witterung – von mannichfachen Gruppen erfüllt ist. In den „Arkaden“, die auf der einen Seite sich hinziehen, auf den Bänken, welche die andere Seite einnehmen, auf den umgestürzten leeren Fässern, die in der Mitte als Stuhl und Tisch dienen müssen, haben die buntesten Haufen sich breit gemacht. Der Anblick fesselt Dich, Lieber, der Du vielleicht gar ein Norddeutscher bist. Obwohl die Gesellschaft Dir gemischt erscheinen mag, obwohl das stets feuchte Pflaster Dich nicht angenehm anmuthet, obschon die Atmosphäre, besonders gegen den eben durchschrittenen Thorweg zu, nichts weniger als angenehm ist, so deucht Dir doch der Aufenthalt nicht gar so abstoßend. Aber Du hast mehr noch zu sehen, und trinken willst Du ja doch auch – so mußt Du schon mit in das Innere kommen, denn zugetragen, servirt wird Dir hier nicht, also: Du mußt Dich, wenn auch dann und wann eine Kellnerin mit Seideln in der Hand erscheint, selbst bedienen, bis zum Fasse vordringen, und die Unbequemlichkeit wird Dir erst noch recht unbequem gemacht. Eine schmale, enge Thüre führt uns in’s Haus; wir stehen in einem Vorplatze, einer mit Glasfenstern versehenen Wand gegenüber. Innerhalb derselben befindet sich die Küche – eigentlich nur ein großer Heerd voll brodelnder Kessel, aus denen die Köchin und deren Gehülfin den eintretenden Gästen ununterbrochen Suppe, Rindfleisch oder Kalbsbraten reicht, wozu diese dann aus einem neben der Thüre befindlichen Korbe sich Messer und Gabel mitnehmen mögen. Du hast Dir um neun Kreuzer ein tüchtig Stück Braten erworben, das Bestecke nicht vergessen, und magst nun sehen, wo Du zur Mahlzeit schreiten kannst. Nirgends Platz! – so folge denn meinem Rathe und setze Dich auf die Stufen der Treppe, die neben der Küchenthüre in’s obere Stockwerk führt, verzehre, den Teller auf den Knieen haltend, Dein Mahl; doch spute Dich dabei, denn ein essender Gast hat im Hofbräuhause kein Anrecht zu längerem Aufenthalt, und Andere kommen und verlangen, ebenfalls auf kurze Frist, nach Deinem Sitze. „Aber beim Trinken darf man verweilen?“ – Ja freilich! wohlan! treten wir ein!

Wenn Du glaubtest, in gewöhnliche, wohlanständige Wirthszimmer zu kommen, so bist Du freilich in großem Irrthum gewesen, in einem Irrthum, über den ich schon manchen Fremden an der Schwelle, vor der wir stehen, habe verdutzt innehalten oder straucheln sehen. Vor Dir öffnen sich vier weite Kellergewölbe, feucht, düster, rauchig; die Wände tünchte nur der Qualm, den Estrich fegen nur die Füße der darauf Gehenden; alles Geräthe, Tische, Bänke von einer Ursprünglichkeit, wie man sie kaum in den Räumen unter der Erde gelten läßt, und doch sind wir oben, durch die rußigen Fensterscheiben bricht mühsam der Sonnenstrahl. Aber wenn Dein Auge sich gewöhnt hat, entdeckst Du hin und wieder an der Wand kühn entworfene Kohlen- und Kreidezeichnungen, unregelmäßig die eine auf die andere geschoben; Du erkennst in der einen das Portrait eines neben Dir stehenden Mannes, eines alten Stammgastes, dem eine Fratze die Nase aufstülpt; in der andern einen geistreich erfaßten, in meisterhaften Conturen hingeworfenen mythologischen Gedanken; aus einer jeden, daß in diesen wüsten Räumen auch die genialsten der Münchener Künstler in froher Laune oder bei Erläuterung gelegentlicher Gespräche Spuren ihrer Anwesenheit hinterlassen haben. Auch ein paar politische Reminiscenzen aus dem Jahre 1848 finden sich hoch oben an der Wand – doch vorüber an ihnen – zum Trinken!

Dazu gehört vor Allem ein Gefäß. Woher das nehmen? Zerbrechliche Gefäße kann es im Hofbräuhause aus Zweckmäßigkeitsgründen gar nicht geben, man kennt da nur steinerne Krüge, und damit ist schon ausgeschlossen, daß Jemand ein Seidel tränke, es muß ein Jeder eine Maß sich geben lassen. Aber auch ein solcher Krug ist nicht vorräthig; so suchen wir darnach; wir drängen uns durch die Bankgassen, zählen an jedem einzelnen Tische erst die daran sitzenden Zecher, dann die darauf stehenden Krüge, und preisen unser Geschick, wenn wir schon vor einer halben Stunde einen übrig gebliebenen, d. h. so eben von einem Andern geleerten, erobert haben. Mit ihm geht’s wieder hinaus zur Schenke, vorher jedoch zu dem ihr gegenüber befindlichen Brunnen, in dessen Trog und an dessen Wasserstrahl wir ihn säubern, doch schwerlich ohne von dem gleicherweise beschäftigten Nachbar gehörig bespritzt und begossen zu sein. Nun aber merke Dir wohl die auf dem Zinndeckel Deines Kruges eingegrabene Nummer, halte Deinen Sechser in der andern Hand bereit, und menge Dich in den Haufen, der den Schenktisch belagert. Mehrere Minuten, ein Viertelstündchen magst Du im Gedränge aushalten müssen, der rußige Arbeiter reibt sich an Deinem noch nassen Rock, der gigantische Cürassier-Unterofficier tritt Dir auf die Füße – und wehe, wenn die Geduld Dir ausgehen, ein Wort des Unmuths Dir entfahren sollte, das allgemeine Hohngelächter, auch gelegentliche Schimpfworte würden Dich schnell belehren, daß wenigstens an dieser Stelle die Dräng- und Preßfreiheit eine Wahrheit ist. Doch Du bist endlich bis zum Tische gelangt, hast dem Wirthe Deine Steuer hinübergereicht, wogegen der Schenkknecht Deinen Krug nebst noch sechs andern hinwegraffte, alsbald aber wieder bringt und, die Nummern ausrufend, ihn zurückschiebt. „2417“ ruft er; das bist Du, Du willst darnach greifen, aber ohne daß Du laut und vernehmlich „Hier!“ geantwortet, wird Dir Deine bezahlte Maß nicht überantwortet.

Die vollen Krüge vor uns haltend, treten wir nun eine Pilgerschaft durch die Hallen an, ein Plätzchen zu finden, auf dem wir mit Ruhe und mit Muße das mühsam Errungene genießen könnten. Wir Thoren! da ist Alles, Alles längst besetzt, und wir sind zuletzt froh, an einer Tischecke so viel Raum zu gewinnen, daß wir die Krüge darauf postiren, uns aber daneben stellen zu können. Da betrachten wir denn das Gewühl des Ameisenhaufens, in den wir hineingerathen, und wenn das Ohr von dem betäubenden Gesumse und Geschrei sich erholt, das Auge über den Qualm Herr geworden, auch die Nase an manche unangenehme Wahrnehmungen sich gewöhnt hat, so erstaunst Du wohl über den Anblick, der sich Dir bietet. Der nächste Tisch besteht aus einer Gesellschaft ehrbarer Bürger, zwischen denen jedoch drei Soldaten sich eingezwängt haben, und die noch einem hochwürdigen geistlichen Herrn zugerückt sind. Dort sitzen kohlschwarze, ungewaschene Feuerarbeiter, zwischen ihnen und lebhaftest conversirend ein wohlbestallter Stadtgerichtsrath. Hier ein Tisch voll Künstler, und ich nenne Dir ein paar Namen davon, die Dir wohlbekannt sind, in ihrer Mitte ein paar herrschaftliche Reitknechte, mit denen sie in tiefes Gespräch verwickelt sind. Alles durcheinander – hier gilt kein Stand, kein Name – Officiere und Trompeter, Räthe und Schreiber, Herren und Knechte, Meister und Gesellen gemüthlich neben- und durcheinander, vereinigt sie alle das klebende Bier! – Zwischen sie hindurch und durch die aufgestellten Glieder der Wartenden drängt sich ein eigenes Geschlecht, das der Nuß- oder Radiweiber, im Winter Nüsse, im Sommer Rettige anbietend, die häßlichste, runzligste, aber auch die gröbste und zungenfertigste Sorte des schönen und sanften Geschlechts; über ihre Naturgeschichte munkelt man mancherlei: gewiß ist nur, daß das Nußweib, wenn es als solches zur Welt kommt, schon mindestens 40 Jahre alt ist und eine ungekannte Vergangenheit hinter sich hat. Aber dort drüben stehen ein paar Gesättigte auf, sagen ihren Genossen Gute Nacht; eilen wir, ihre Plätze einzunehmen! – „Ja, verzeihen’s, dort mein Bruder und sein Freund warten schon lang auf mich, denen haben wir unsern Sitz versprochen.“

So stehen wir denn weiter, bis das ferne Wirbeln des Zapfenstreichs plötzlich Viele zusammen abruft, und die Bänke sich lichten. Da aber unterdessen die Köpfe etwas begeisterter geworden sind, so tönt, gewißlich zuerst aus der hintersten Ecke, wo eine Schaar von Studenten sich ergötzt, manch’ Lied durch den ungestörten Tumult

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_576.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)