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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Constantinopel über Adrianopel nach Belgrad, die alte Heerstraße der Römer von der östlichen Hauptstadt nach Mösien. Adrianopel, Philippopel, Sophia und Belgrad liegen alle fast genau in einer geraden Linie nach Wien. Doch das ganze Unternehmen von Constantinopel nach Wien ist eins der großartigsten und schwierigsten, da die Schluchten des Balkan und viele andere Höhen und Thäler durchbrochen und geebnet werden müssen. Weniger kostspielig ist das Project einer Eisenbahn von Rustschuk, dem großen Getreide-Emporium der untern Donauländer, nach Enos am mittelländischen Meere, unterhalb der Dardanellen, nicht über, sondern um den Balkan herum. Eine kürzere Linie ist zwischen Rustschuk und Varna projectirt. Das sind noch Projecte. Für die Bahn zwischen Kustendsche und Czernawoda, welche die große Zunge von Unter-Bulgarien oder die Dobrudscha durchschneidet, ist das Capital schon gezeichnet und der Anfang schon gemacht worden. Man sehe sich eine gute Karte an und man wird finden, daß die Donau, statt hier ihren östlichen Lauf zu verfolgen, einen großen nördlichen Umweg nimmt und dann in mehreren seichten Ausflüssen das schwarze Meer erreicht. Diese Ausflüsse sind nur bei gutem Wetter mit leichten Fahrzeugen schiffbar und sehr vernachlässigt worden. Dabei hat der Handel von Galatz, dem Hafen der Moldau, und Ibraila, dem Handelsmittelpunkte der Walachei, seit 1838 mehr als fünfzehnfach zugenommen. Kann man nun mit Eisenbahn diese beschwerlichen, kostspieligen Straßen der Donaumündungen umgehen, so wird der Verkehr mit den von Natur so reichen Ländern Moldau und Walachei vielleicht auf’s Dreißigfache gesteigert uns und ihnen zu Gute kommen. Von den westlichen Theilen der Walachei wird das Getreide auf schlechten Landwegen nach Kalafat und von da in Donaubarken nach Ibraila befördert. Von der inneren Walachei, der Moldau und Bulgarien bedient man sich elender Karren, um den goldenen Ueberfluß auf die Donau zu bringen. Agenten von Kaufleuten handeln das Getreide direct von den Bauern ein und schaffen es auf die angedeutete, mühsame, riskante Weise in die Emporien und Häfen. Dabei blühen Lug und Trug, Verzug und Verlust, Mord und Todtschlag, wofür auch wir büßen und bezahlen müssen, da zu wenig Getreideüberfluß und zu theuer auf die Weltmärkte kommt und alle Viergroschenbrode der Welt abhält, die gehörigen Dimensionen für den gemeinen und armen Mann anzunehmen.

Bisher kommen ungeheure Getreidelasten für Europa, besonders für England, in der angedeuteten Weise aus den unteren Donauprovinzen. Aber es fehlt an wohlfeilen und hinreichenden Transportmitteln in’s schwarze Meer. Daher leiden die Donaubauern an Ueberfluß unverwerthbaren Getreides, in Folge davon an Faulheit und Demoralisation aller Art, und wir an Mangel der nöthigen Lebensmittel, deren die Erde bei nur einigermaßen erträglicher Bewirthschaftung und guten Straßen für doppelt so viel Menschen, als jetzt nicht genug zu essen haben, in Hülle und Fülle liefern würde. Die projectirte Eisenbahn will dem Ueberflusse der untern Donau einen Weg nach dem schwarzen Meere und so nach dem westlichen Europa bahnen, und überdies dem von Natur reichsten, aber künstlich armen Lande Bulgarien Menschen verschaffen, die golden lohnender Ackerbau und blühende Viehzucht hierher locken wird. Die Eisenbahn zwischen Kustendsche und Czernowada wird dies thun. Kustendsche, das alte Constantia, war ehemals eine blühende Stadt mit lebendigem Hafen. Die Ruinen alter Kirchen, Ueberbleibsel alter, prächtiger Hafenbauten u. s. w. legen noch Zeugniß davon ab. Hinter ihr breiten sich große offene Ebenen mit dem fruchtbarsten Alluvialboden aus. Das Terrain steigt und ist ungemein gesund. Nur ein Fluch lastet auf der von Natur gesegneten Gegend: der Krieg mit seinem Gefolge. Wer diesen Fluch von den Donauländern nähme, würde sich allerdings um die Menschen dort und überall verdienter machen, als die Eisenbahn-Compagnie. Kustendsche kann mit einigen Wasserbauten zu einem Hafen, sechsmal größer, als der von Odessa, erweitert werden. Außerdem ist hier das Wasser stets eisfrei und zweihundert englische Meilen näher dem Bosporus als Odessa.

Die Dobrudscha besteht aus 5000 englischen Quadratmeilen reichen, lockeren, porösen Bodens, im Allgemeinen 300 Fuß höher, als die Meeresfläche. Nur im Norden steigen die Hügel auf bis zu 2500 Fuß hohen Waldgebirgen, welche das Land vorn gegen kalte Winde schützen und vor dem Austrocknen bewahren. Der Boden ist wellig von Hügel und Thal mit vielen malerischen Sectionswindungen. Flüsse bleiben bisher freilich größtentheils in Sümpfen stecken, doch können die Thäler leicht zu ordentlichen Flußbetten verbunden werden. Der Boden ist bis zu beträchtlicher Tiefe reicher Humus, der Bäume, Cerealien, Küchengewächse und Blumen üppig in die Höhe treibt. Die Eisenbahn wird an einer Reihe von Seen, Nebengewässern der Donau, hingeführt und zwar auf einem vier bis sechs Fuß hohen Dammwerk, das am 22. October vorigen Jahres begonnen ward.

Das sind die projectirten oder in Angriff genommenen türkischen Eisenbahnen, denen jedenfalls bald andere folgen werden, da die Regierung selbst die politische und sociale Nothwendigkeit derselben einsieht und alle möglichen Begünstigungen bietet. Die politische Wichtigkeit besteht besonders in Verbindung ferner, durch Wüsten getrennter Regierungsstädte, die bis jetzt schwer zugänglich, schlecht zu controliren waren, so daß die Regierungsbeamten in Bestechung und Corruption aller Art das Land nur für ihren Beutel aussaugten, ohne daß Constantinopel etwas davon erfuhr oder dagegen etwas zu thun im Stande war. Die sociale und ökonomische Wichtigkeit leuchtet ein, wenn man bedenkt, daß hauptsächlich Mangel an Communicationsmitteln die reichsten Strecken auf Hunderte von Meilen in traurige Wüsten verwandelte.

Wir haben angedeutet, daß diese Eisenbahnen „hinten weit in der Türkei“ auch dem „Haben“ in unsern Contobüchern zu Gute kommen werden, ohne daß wir Actien nehmen. Bei der allseitigen und flüssigen, schnellen Verbindung aller Weltmärkte kann sich Jeder in jedem Winkel der Erde freuen, wenn irgendwo etwas Gescheidtes zur Erleichterung des Austausches der Producte und Fabrikate der Erde, von Waaren oder Ideen gethan wird, denn in irgend einer Weise kommt es uns immer zu Gute, wo wir auch stecken und was wir auch thun und treiben.

Das ist das Wesen und die Macht, der Segen und Reiz des sogenannten Kosmopolitismus, der nicht in Worten und Hirngespinnsten besteht, sondern die Welt wirklich in allen Fugen und Poren, in allen Muskeln und Nerven bewegt, und den wir uns nur etwas klar zu machen, zu Herzen zu nehmen brauchen, um über Elend und Misere des Tages und localer Scheerereien hinweg getragen zu werden und auf dem großen Erdenrund zu finden, was wir in unserer nächsten Umgebung oft vergebens suchen.




Blätter und Blüthen.

Ein Krokodilkönig. Die Malaien waren, ehe sie zum Islam bekehrt wurden, wahrscheinlich größtentheils Buddhisten, wenigstens findet man Ruinen von Buddha-Tempeln noch auf Java, Sumatra und Borneo, und die Lehre von der Seelenwanderung hat durch die mohammedanische Lehre nicht ganz ausgetilgt werden können. Ich wollte einst auf Sumatra einen Tiger schießen, der einem Malaien, bei dem ich logirte, bereits mehrere Büffel geraubt hatte, doch mein gewissenhafter Wirth gab mir zur Antwort: „Dieser Tiger ist mein Großvater, ich will daher wegen ein paar Büffeln nicht eine so blutige Rache nehmen. Ein Anderes wäre es, wenn er einen Menschen getödtet hätte.“ Dieser Grundsatz ist ziemlich allgemein, man verfolgt selten Tiger oder Krokodile, wenn sie nur Vieh geraubt haben. Mit einem andern Malaien fuhr ich einst einen kleinen Fluß aufwärts; am Ufer lagen mehrere Krokodile, und ich hätte sie mit leichter Mühe schießen können, doch mein Begleiter bat mich dringend, dies zu unterlassen. Sein Haus stand nicht weit vom Fluß, und seine Ziegen und Büffel löschten täglich ihren Durst in demselben, dennoch kam es höchst selten vor, daß die Krokodile ein Stück Vieh raubten. Dagegen fürchtete er die Rache der Krokodile, wenn ich auf sie schießen würde. Es ist übrigens gewiß, daß in einigen Flüssen eine gewisse Krokodils-Humanität zu herrschen scheint, und weder Menschen noch Vieh durch diese Thiere angegriffen werden, während sie in andern Flüssen außerordentlich gefährlich sind. Die Ursache hiervon ist wahrscheinlich die, daß in Flüssen, welche besonders fischreich sind, die Krokodile Nahrung genug finden, während sie, wenn ihnen in anderen Gewässern diese fehlt, aus Hunger Menschen und Vieh anfallen.

Eine sehr komische Geschichte trug sich während meiner Anwesenheit in Pontianak, auf der Westküste von Borneo, zu. Die Malaien haben hier den Aberglauben, daß auf dem Grunde des Meeres oder Flusses ein König der Krokodile in einem prächtigen Palast residirt; wenigstens glaubt dies ein großer Theil des gemeinen Volks.

Damals (1852) lebte in Pontianak ein wohlhabender Malaie, mit

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