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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

selbst gab damals ein glänzendes Beispiel von Muth und Patriotismus, als die Franzosen sich vor Wesel zeigten, die damals noch unbefestigte Insel Büderich besetzten, und die Festung zur Uebergabe aufforderten. Groß war der Schrecken in der Stadt, und man sprach bereits von der Capitulation, da gerieth Stein in Zorn, bewaffnete die unter seinem Befehl stehenden Trainknechte, stellte sich an ihre Spitze und vertrieb den Feind von der Insel, wodurch er die Festung vor einem solchen Schimpf bewahrte.

Von dem Kriegsschauplatz wurde Stein durch seine Ernennung zum Präsidenten der Märkischen Kriegs- und Domänenkammer abberufen. Zugleich vermählte er sich mit der Gräfin Wilhelmine von Wallmoden-Gimborn, deren Vater, ein Sohn Georg’s II. und der Gräfin Yarmouth, General in den Diensten Hannovers war. Ungeachtet des Unterschieds der Jahre und der Charaktere gestaltete sich das eheliche Verhältniß immer glücklicher. Stein selbst stellte ihr das schönste Zeugniß aus: „Seelenadel, Demuth, Reinheit, hohes Gefühl für Wahrheit und Recht, Treue als Mutter und Gattin, Klarheit des Geistes, Richtigkeit des Urtheils – sie sprachen sich durch ihr ganzes, vielgeprüftes Leben aus und verbreiteten Segen auf alle ihre Verhältnisse und Umgebungen. Nie gab sie auch das leiseste Gehör den Verführungen der Eitelkeit und Gefallsucht, sondern war immer die fromme, zarte, treue Tochter, Schwester und Gattin, in gleicher Reinheit und Anspruchslosigkeit; die Richtung ihres ganzen Wesens ging auf Häuslichkeit, Familienleben, Geselligkeit, Ruhe; sie zu genießen, ward ihr aber nicht beschieden.“

Beim Eintritt in seine neue Stellung fand Stein die Minden’sche Kammer in dem Zustande der größten Unordnung, so daß er sich genöthigt sah, nach seiner Art scharf durchzugreifen. Eine Untersuchung wurde eingeleitet, ein Rath cassirt, zwei in Ruhestand versetzt und ein Secretair unter die Garde gesteckt, was nach damaligen Begriffen als Strafmittel galt. Stein selbst sprach sich nicht von einer gewissen Heftigkeit frei, für die er vielfache Beweise gab. Als ein Canzleidiener ihm eine wichtige Urkunde zur Unterschrift vorlegte und darauf statt des Sandes das Tintenfaß darüber ausgoß, sprang der Präsident auf und rieb ihm mit dem so beschmutzten Papier das Gesicht. Acht Tage darauf tritt derselbe Mann, reingewaschen, mit einem andern Auftrage herein; Stein eilt ihm entgegen, freut sich ihn wiederzusehn und drückt ihm freundlich ein Papier in die Hand, worin der Ueberraschte einen Doppel-Friedrichsd’or findet.

Der Geschäftskreis des Oberpräsidenten umfaßte 182 Geviertmeilen und fast eine halbe Million Einwohner. Mit rastlosem Eifer widmete er sich der umfangreichen Aufgabe; der blühende Zustand Westphalens war sein Werk. Ueber die oft kleinlichen Einzelheiten seines Berufes vergaß er nicht das große Ganze; sein scharfer Blick verfolgte mit warmer Theilnahme die Geschicke Preußens und Deutschlands, welche eine immer schmachvollere Wendung zu nehmen drohten.

Bonaparte’s Siege in Italien zwangen Oesterreich, den Frieden zu Campo-Formio zu schließen, worin es in die Abtretung der deutschen Reichsländer auf dem linken Rheinufer an Frankreich willigte, so wie in die Entschädigung der dadurch beeinträchtigten Reichsfürsten mittels Säcularisation der geistlichen Stifter und Mediatisirung der Reichsstände. Ein geheimer Artikel enthielt die Bedingung: Preußen keine Vergrößerung zu gestatten.

Stein war eben so sehr über Oesterreichs Treulosigkeit, womit es die deutsche Sache aufgab und zur Auflösung des Reiches beitrug, wie über Preußens politische Starrsucht empört. Während der Congreß in Rastatt zusammentrat und das widerliche Schauspiel der Zerrissenheit, Ohnmacht, Kleinlichkeit und Jämmerlichkeit Deutschlands begann, starb der schwache König von Preußen, dem der damals den Verhältnissen nicht gewachsene, wenn auch durchaus ehrenwerthe Friedrich Wilhelm der Dritte folgte. Seine Umgebung, zu der ein Haugwitz, Lucchesini und Lombard gehörten, rieth dem unerfahrenen Könige zur strengsten Neutralität, was der größte politische Fehler war.

Wie Stein darüber dachte, sprach er in einem Briefe an Frau von Berg, seine Freundin, aus: „Was sagen Sie, gnädige Frau, die so empfänglich für große und schöne Thaten, zu dem kraftvollen und tapfern Benehmen dieses jungen Helden, des Erzherzogs Karl, und seines braven Heeres, welche jetzt Deutschland von dieser Räuberhorde, der sogenannten französischen Armee, gereinigt haben? – es ist betrübend, uns gelähmt und in einem Zustande der Starrsucht zu sehn, während man mit Nachdruck die Ruhe Europa’s auf den alten Grundlagen wiederherstellen konnte, die Unabhängigkeit Hollands, der Schweiz, Italiens, Mainz. Wir amusiren uns mit Kunststücken der militärischen Tanzmeisterei und Schneiderei, und unser Staat hört auf ein militairischer Staat zu sein, und verwandelt sich in einen exercirenden und schreibenden. Wenn meine Einbildungskraft mir die Gestalten der einflußreichen und ausführenden Personen vorstellt, so gestehe ich, erwarte ich nur wenig.“

Durch den Frieden von Luneville, am 9. Februar 1801 zwischen Oesterreich und Frankreich geschlossen, kam die definitive Abtretung des linken Rheinufers zur Ausführung. Unwillig, unter französischer Herrschaft zu stehn, verkaufte Stein die ihm zugehörige, auf dem linken Rheinufer liegende Besitzung Landeskrona und erwarb dafür die in Preußen gelegene Herrschaft Birnbaum an der Warthe. Von nun an gehörte er erst gänzlich seinem neuen Vaterlande, dem er den größten Beweis seiner Anhänglichkeit dadurch gab, daß er die ehrenvolle Aufforderung, als Minister in hannöversche Staatsdienste zu treten, entschieden ablehnte, weil seine Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer Vereinigung der zerstreuten und zerstückelten Kräfte Deutschlands sich nicht mit der Pflicht vertrüge, die sein neues Amt ihm auferlegte.

Die deutsche Entschädigungsfrage wurde endlich auf dem Regensburger Reichsfürstencongresse durch den Machtspruch des damaligen Consuls Bonaparte entschieden. Die dazu erwählte Deputation erhielt von Paris den bereits ausgearbeiteten Plan mit dem Bedeuten, sich darnach zu richten, da es der Wille Sr. Majestät des Kaisers von Rußland und des Ersten Consuls sei, daß die Reichsdeputation an dem Plane keinerlei Veränderung vornehmen dürfe. So wurden deutsche Verhältnisse von fremden Mächten, von Rußland und Frankreich, ohne Widerspruch geordnet, und deutsche Fürsten schämten sich nicht, durch Bestechung der französischen Minister und ihrer Maitressen ein Stück Land zu erbetteln, oder die ihnen drohende Mediatisirung abzuwenden. Auch Preußen erhielt an der Beute seinen Antheil und zur Entschädigung für die auf dem linken Rheinufer gelegenen Gebietstheile die Bisthümer Münster, Paderborn etc. Die Verwaltung des neuen Besitztums wurde an Stein übertragen, der hier mit vielfachen Vorurtheilen zu kämpfen hatte. Es gelang ihm, diese durch sein eben so maßvolles als energisches Benehmen zu besiegen, indem er möglichst schonend und mild auftrat, die alten Beamten, zu denen das Volk Zutrauen hatte, in ihren Stellen ließ und den katholischen Priestern, deren Einfluß überwiegend war, mit Achtung begegnete. So gelang es ihm, diese Provinz dem preußischen Staate vollkommen einzuverleiben.

Der von Frankreich und Rußland sanctionirte Länderraub hatte indessen die deutschen Fürsten nur nach neuer Beute lüstern gemacht; besonders kannten die kleinen Herrscher weder Maß noch Ziel. Sie nahmen jetzt die Gelegenheit wahr, sich auf Kosten der unmittelbaren Reichsritterschaft zu bereichern und deren vom Kaiser seit Jahrhunderten bestätigte Rechte und Besitzthümer sich anzumaßen. Bayern ging den übrigen Staaten hierin voran, Hessen und Nassau folgten ihm sogleich nach. Gegen diese Uebergriffe erließ Stein, dessen Güter im Nassauischen lagen, einen geharnischten Brief an den Fürsten. „Deutschlands Unabhängigkeit,“ schreibt dieser geborene Freiherr an den Usurpator, „wird durch die Vereinigung der wenigen reichsritterschaftlichen Besitzungen mit den sie umgebenden Territorien wenig gewinnen; sollen diese für die Nation so wohlthätigen großen Zwecke erreicht werden, so müssen diese kleinen Staaten mit den beiden großen Monarchien, von deren Existenz die Fortdauer des deutschen Namens abhängt, vereinigt werden, und die Vorsehung gebe, daß ich dieses glückliche Ereigniß erlebe.“

Ferner heißt es in diesem Schreiben: „In dem harten Kampfe, von dem Deutschland sich jetzt momentan ausruht, floß das Blut des deutschen Adels. Deutschlands zahlreiche Regenten, mit Ausnahme des edlen Herzogs von Braunschweig, entzogen sich aller Theilnahme und suchten die Erhaltung ihrer hinfälligen Fortdauer durch Auswanderung, Unterhandeln und Bestechung der französischen Heerführer. Was gewinnt Deutschlands Unabhängigkeit, wenn seine Kräfte noch in größerer Masse in diese Hände concentrirt werden?

„Es ist hart, ein erweislich siebenhundertjähriges Familieneigenthum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_586.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)