Seite:Die Gartenlaube (1859) 590.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

auf; Block aber, den nichts so sehr aufbringen konnte, als eine Anspielung auf seine körperlichen Mängel, hob, schäumend vor Wuth, das Bein in die Höhe und stieß den Absatz seines schweren Schuhes dem Spötter in’s Gesicht, daß dieser taumelte und den Halt verlor – er stürzte – seine Hände griffen vergebens nach einem Halt, er fiel rücklings über die Brüstung – sein Kopf schlug heftig an den Krahnbalken, dann platschte er in’s Wasser und verschwand unter der spiegelglatten Oberfläche, die sich leicht und willig theilte, um ihr Opfer aufzunehmen. Ein paar Luftbläschen, die rasch hintereinander aufstiegen, zeigten die Stelle an, wo er verschwunden war; sie zergingen schnell, wie sie gekommen waren, und Alles war wieder still, ruhig und eben, wie zuvor. Nicht so an Bord.

Block saß unbeweglich auf seinen Ratlines, entsetzt über seine eigene That. Der Ruf: „Ein Mann über Bord!“ hallte durch das Schiff, und so träge und gleichmüthig die Mannschaft der „Patience“ auch sonst sein mochte, dieser Ruf sammelte sie im Nu. Mr. Smith war rasch zur Stelle, ein Boot wurde ausgesetzt und man ruderte nun im Kreise um den Punkt, wo Watson verschwunden war. Plötzlich stießen einige der Rudernden einen Schrei aus und deuteten auf das Haupt des Verunglückten, welches über dem Wasser sichtbar wurde. Man hielt schnell auf ihn zu. Ich stand auf der Dunette und beobachtete mit gespanntem Interesse Alles, was vorging. Watson hob sich plötzlich mit halbem Leibe aus dem Wasser; seine Augen richteten sich auf Block, der noch immer in den Wandtauen saß und ihn seinerseits anstarrte – er schüttelte die Faust gegen ihn, und in der Secunde, wo das Boot dicht an ihm war, als das vorgestreckte Ruder ihn berührte und die ermuthigenden Rufe der Leute im Boote an sein Ohr drangen, sank er unter und verschwand zum zweiten Male. Vergebens ließ Mr. Smith die Leute noch eine halbe Stunde hin und herrudern; sie mußten unverrichteter Sache zurückkehren. Armer Jack! Noch vor kurzem lustig, aufgeräumt, im Vollgenusse Deiner Lebenskraft im Tauwerk gestanden – und jetzt! –

Block, der aus unbekannten Gründen ein Schützling des Capitäns war, ging straflos aus. Trotz meines Vorsatzes, neutral zu bleiben, machte ich diesem bemerklich, ein solches Verfahren müsse einen schlechten Eindruck auf die Mannschaft machen, worauf er mir entgegnete, er selbst wisse am besten, was er zu thun habe, Block sei von Watson gereizt worden und habe jedenfalls nicht die Absicht gehabt, diesen in’s Wasser zu werfen. Ich schwieg und ging meiner Wege.

Seeleute haben einen leichten Sinn, und nach zwölf Stunden dachte Niemand mehr daran, daß es je einen Jack Watson an Bord gegeben habe. Aber sie sollten bald genug an ihn erinnert werden.

Es war in der zweiten Nacht nach dem eben erzählten Vorfalle, als ich durch ein fürchterliches Geschrei, das durch mehrere Cajütenwände gedämpft an mein Ohr schlug, aus dem Schlaf geschreckt wurde. Im Nu war ich aus dem Bett, fuhr in die Kleider und eilte auf’s Deck, wo ich Mr. Smith bei den Matrosen der Wache traf. Alle hatten das Geschrei gehört; Niemand aber wußte, woher es rührte. Da kam Jones, der Steuermannsmate, die Schiffstreppe heraufgelaufen und berichtete mit zitternder Stimme, der Lärm käme aus des Hochbootsmanns Koje. Wir begaben uns dahin; das Geschrei hatte inzwischen aufgehört.

In einem engen Breterverschlag, der eben nur Raum für zwei Hängematten hatte, befand sich, getrennt von den Kojen der übrigen Matrosen, die Schlafstelle von Jones und Block. Der Erstere hob die Lampe in die Höhe, die er mitgenommen hatte, und wir sahen seinen Schlafcameraden zusammengekauert, ohne Lebenszeichen, das Gesicht in die Hängematte gedrückt, daliegen. Mr. Smith näherte sich ihm und tippte ihn auf die Schulter, worauf Block ein tiefes Grunzen ausstieß und zusammenschauderte, ohne sich sonst zu bewegen. Erst als ihn Mr. Smith beim Namen rief und aufstehen hieß, erhob er langsam den Kopf und zeigte uns ein entstelltes Gesicht, welches alle Schattirungen von Hellroth bis dunkelblau zur Schau trug. Er sah gräßlich aus. Mr. Smith ließ ihn ein wenig zu sich kommen, dann fragte er ihn um den Grund seines Geschreies. Block sah sich lange mit leerem, ausdruckslosem Auge um.

„O, Sir!“ sagte er endlich sich aufrichtend und seine tiefe Stimme so viel als möglich dämpfend, „Watson’s Geist ist mir erschienen.“

Nach und nach hatte sich das ganze Schiffspersonal versammelt. Was in der Koje nicht Platz hatte, stand außen und drängte neugierig vor.

„Unsinn!“ sagte Mr. Smith.

„O, Sir! Nichts von Unsinn. Ist das da Einbildung?“

Er zeigte nach seinem Halse, auf dem die Spuren von fünf Fingern deutlich und leserlich eingegraben waren. „Ich kam auf, Sir, weil mich Einer am Halse packte, und da rief mir Watson’s Stimme in’s Ohr, ich sei ein Mörder und solle bezahlt werden – und dann würgte er mich – ich schrie, so gut ich konnte – und da war er weg. O, Sir! Ich wollte ihn meiner Seel’ nicht in’s Wasser werfen.“

Mr. Smith wollte weiter forschen, aber aus Block war nichts mehr herauszubringen, und Jones sagte aus, er sei überzeugt, es sei Watson’s Stimme gewesen, und wie er sie gehört, sei er still und unbeweglich liegen geblieben, was er, einem Gespenste gegenüber, für das Beste halte. Erst als Block still gewesen, sei er auf Deck gelaufen.

Keiner von den Matrosen, die heruntergekommen waren, suchte seine Hängematte wieder auf; sie standen in Gruppen umher und flüsterten. Mr. Smith wandte sich an mich:

„Was denken Sie von der Sache, Sir?“

„Ich denke, es wird sich Einer aus der Mannschaft einen Spaß gemacht haben – vielleicht Jones selbst.“

„Sein bester Freund!“

Ich zuckte die Achseln und schwieg. Am anderen Morgen wurde dem Capitän gemeldet, was vorgefallen war. Er nahm die Kunde mit seinem gewohnten Phlegma auf und machte es wie ich: er zuckte die Achseln und schwieg. Aber es sollte ärger kommen.

Außer der Schildwache befand sich kein Mensch auf Deck – abgesehen von dem Steuermaten. Block, der seit der verwichenen Nacht außerordentlich still und schweigsam geworden war, hatte die Leute eben zum Nachtessen gepfiffen, als man in des Capitäns Kajüte heftig und dauernd läuten hörte. Fast im nämlichen Augenblicke sah ich den Steward über Hals und Kopf vor meiner Kajütenthüre, die ich offen gelassen hatte, vorüberstürzen. Ich hielt ihn auf, und er erzählte mir, am ganzen Leibe zitternd, bleich und athemlos, er habe Mr. Bentham sein Abendessen in die Kajüte bringen wollen, da sei plötzlich dicht vor ihm Watson’s Geist aus dem Boden gestiegen und habe Miene gemacht, sich auf ihn zu stürzen. Er habe in aller Hast die Schüsseln von sich geworfen und sein Heil in der Flucht gesucht. Ich ging nach des Capitäns Kajüte, während der Steward auf’s Deck eilte und Angst und Entsetzen unter der ohnehin schon eingeschüchterten Mannschaft verbreitete. – Von Watson’s Geist war keine Spur zu sehen; wohl aber fand ich auf dem Kajütengange Scherben und Speisen umhergestreut.

Ich traf Mr. Bentham tief in eine Sophaecke gekauert. Er war sehr blaß und sprang hastig auf, als er mich erblickte.

„He, Mr. H…! Habt Ihr – habt Ihr ihn gesehen?“

„Ich verstehe Sie nicht, Sir,“ versetzte ich trocken.

Mr. Bentham erhob sich und ging mit etwas unsicherem Schritte auf mich zu.

„Hört – hören Sie, Sir! Ich hör’s draußen klirren, und wie ich die Thür’ öffne, steht Watson vor mir. Ich bin kein Hasenfuß, Sir; aber wie ich ihn sah – der Teufel hole mich! Ich schaute, daß ich in’s Zimmer zurück kam.“

Ich ließ Mr. Bentham, der fest überzeugt war, einen Geist gesehen zu haben, allein und ging Mr. Smith aufzusuchen. Ich traf ihn auf dem Quarterdeck und fragte ihn, ob er von dem Vorgefallenen schon unterrichtet sei. Nebenbei gesagt – der erste Lieutenant zeigte sich mir gegenüber immer sehr höflich, wenn auch etwas zurückhaltend; er hatte mein Verhältniß zum Capitän gewiß längst durchschaut, vermied es aber, sich darüber zu äußern.

„Ja wohl, Mr. H…“, erwiderte er auf meine Frage. „Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich von der Sache halten soll. Die Leute sind in Bestürzung, Block ernsthafter als je, Jones wie verrückt und der Schiffskoch liegt in Krämpfen.“

„Der Schiffskoch?“

„Ja. Er hat den Burschen auch gesehen. Er erzählt, wie er in die Cambüse gekommen, hätte Watson’s Geist dagestanden und wäre bei seinem Anblick ohne das geringste Geräusch durch die Luke hinaus und in’s Meer gesprungen. – Sonderbar! –“

Ich ging zu dem Koch und hörte aus seinem eigenen Munde das wiederholen, was Mr. Smith gesagt hatte. Konnte das Alles

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_590.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)