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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Es ist mir Alles, Marianne!“

Sie waren Verlobte.

Sie hatte Recht. Sie war ein einfaches, reines, treues Herz, auch ein edles.

„Jetzt meine erste Bitte an Dich, Max.“

„Sie wird erfüllt, ich schwöre es Dir.“

„Du hast heute Nacht eine große, muthige That ausgeführt.“

„Auch Du, Marianne, nennst so, was Tausende an meiner Stelle hätten thun können und sollen?“

„Verkleinere Du nicht Deine That; wollte ich es doch!“

„Du?“ mußte doch der junge Mann verwundert ausrufen.

„Ich. Die Unglückliche, die Du gerettet hast, wollte Dir danken –“

Max Urner mußte auf einmal einen heftigen Stich in das Herz bekommen haben. Es zog plötzlich etwas, wie ein wilder, schwarzer Riß, durch sein Gesicht. Seine Verlobte hatte es nicht bemerkt. Sie fuhr fort:

„Sie hat Dir auch heute danken wollen, so hat man mir erzählt. Sie hat Dich aufgesucht, in Begleitung einer ehrbaren Matrone. Du hast sie zurückgewiesen; Du hast von ihr keinen Dank gewollt. Ist es so, Max?“

Jener wilde, dunkle Blick war schon längst aus dem Gesichte des jungen Mannes verschwunden, schon nach einer Secunde. Eine finstere Wolke bedeckte seine Stirn.

„Marianne, kennst Du jene Unglückliche?“

„Ich habe Alles von ihr gehört.“

„Und von der Verworfenen soll ich mir die Hand drücken, von entweihten Lippen soll ich mir sagen lassen, ich hätte eine große That verrichtet, ich sei ein edler Mensch? Das sollte ich gar jetzt noch von ihr anhören können, nachdem ich es in der glücklichsten Stunde meines Lebens von Dir gehört habe? Ich müßte erröthen vor mir selbst; ich müßte mich meiner That schämen!“

„Du mußt es dennoch anhören, Max, und Deine That wird dadurch größer, sie wird erst eigentlich zu einer großen That werden und, anstatt daß Du vor Dir und ihr erröthen müßtest, Dich doppelt glücklich machen, Dich mit dem edelsten Stolze erfüllen. Ja, Max, Du hast eine Verworfene gerettet. Aber schon Deine Rettung hat sie erhoben, wie bestände sie sonst mit jener Zähigkeit darauf, Dir ihren Dank zu sagen? Der Himmel hat in der heutigen Nacht auch zu ihrem Herzen gesprochen. Es will aus seiner Sünde sich emporringen. Und Du wolltest durch die Verachtung, die Du ihr zeigst, sie wieder hineinwerfen? Das würdest Du, Max. Du bist der einzige edle Mensch, den sie hier kennt, und Dir soll ihre Berührung, das Wort, das erste gute Wort ihres Herzens eine Beschmutzung, eine Schande, eine Schmach sein? Muß sie da nicht in ihr lasterhaftes Leben zurückfallen?“

Der junge Mann war schon überzeugt. „Du bist das edelste Herz, Marianne. Ich gehe zu ihr.“

„Und ich begleite Dich, Max.“

Der junge Mann stutzte. „Du? Zu ihr?“

„Sie muß, sie will, sie wird eine Andere werden. Laß mich Theil haben an dem guten Werke.“

„Wir gehen zusammen zu ihr, Marianne.“

„Noch heute?“

„Heute Abend.“

Die glücklichen Verlobten verließen die verschwiegene Laube und empfingen die lauten Glückwünsche der ungeduldig harrenden allen Damen. Zum Abend holte Max Urner seine Braut ab, um an ihrer Seite den Dank der Geretteten zu empfangen.

Die Dame war nach ihrer Rettung Allen im Bade bekannt geworden, wenigstens auf Aller Zungen. Sie hatte desto mehr sich zurückgezogen, in eine entlegene Gasse, in die kleine, unscheinbare Wohnung einer armen, ehrbaren und braven Wittwe, Dahin führte Urner seine Verlobte.

Es war eine große, schöne Dame, zu der sie in ein enges, bescheidenes Stübchen traten. Und bescheiden, wie die Wohnung, war die schwarze Trauerkleidung der sonst so rauschend eleganten Dame, und ihr befehlender, siegender Stolz, wenn sie auf der Promenade oder an dem Spieltische stand, hatte einem stillen, trauernden, fast demüthigen Wesen Platz gemacht.

Marianne reichte ihr die Hand. „Sie wollten meinem Verlobten danken,“ sagte sie freundlich.

Die Dame hatte gezögert, die Hand zu nehmen, als wenn sie die reine Hand zu beschmutzen fürchte. Dann nahm sie dieselbe und wollte sie an ihre Lippen führen. Es schien doch in dem Allen etwas Gemachtes zu liegen. Aber auf einmal ergriff ein anderer Geist sie. Sie warf einen dunklen, glühenden, fast wilden Blick auf den jungen Mann, der neben seiner Verlobten stand. Dann drückte sie heftig, leidenschaftlich die ihr dargebotene Hand. „O, mein Fräulein,“ rief sie, „wie sind Sie gut!“ Dann wandte sie sich an den jungen Mann. „Mein Herr –“ Sie hatte sich erhoben, ihre ganze Gestalt, stolz, mit Würde. So war auch der Ton ihrer Stimme.

Aber ein Blick aus seinem Auge traf sie, ein einziger Blick. In demselben Momente brach sie wie vernichtet zusammen.

„O, mein Herr,“ stammelte sie demüthig, unterwürfig, „haben Sie doppelten Dank. In der vergangenen Nacht haben Sie mir, der dem Tode schon Verfallenen, das Leben wiedergegeben. In diesem Augenblicke geben Sie mir mehr wieder, die Kraft zu dem, wodurch allein das Leben wieder Werth für mich gewinnen kann.“ Sie hatte die Worte nur mühsam hervorbringen können. Sie zitterte so heftig, daß sie sich auf einen Stuhl niederlassen mußte.

Die arglose Marianne hatte nur ihren Versuch sich zu erheben und dann das Zusammenbrechen der Dame gesehen. Sie fand in ihrer frommen Güte genügenden Grund dafür. „Arme!“ sagte sie. „Aber mit diesem edlen Vorsatze wird Ihr Leben wieder reich werden an Tugend und an dem Glücke, das die Tugend gibt. Ich darf wieder zu Ihnen kommen. Sie sind heute zu sehr angegriffen.“

„Und auch Du bist es, Marianne,“ sagte mit einem besorgten Blick auf sie ihr Verlobter.

Sie nahmen Abschied von der Dame. Marianne sah es wohl nicht, wie der junge Mann leichter aufathmete, als sie aus dem kleinen Hause in die enge Gasse traten. Sie sah aber auch gleich darauf etwas Anderes nicht. Ein langer, hagerer, sehr ernst aussehender Mann kam in der Gasse hinter dem Paare her. Als er sie erreichte, ging er rascher. Er schritt an ihnen vorbei. In dem Momente warf er einen Blick seiner ernsten Augen auf Max Urner. Zwar nur einen einzigen, doch der junge Mann war plötzlich wie von einem zerschmetternden Blitzstrahle getroffen.

Es war der Unheimliche, der an ihm vorbeigeschritten war, der den zerschmetternden Blick auf ihn geworfen hatte. Der Unheimliche hatte nicht wieder zu fragen brauchen: „Du hier, Elender?“ Sein Blick sagte: „Du bist verloren, Elender! Jetzt unrettbar!“

Und Max Urner hatte die Sprache dieses Blicks verstanden, und wenn er den Unheimlichen vielleicht hier zum ersten Male wieder sah, er hatte sich keinen Augenblick darauf zu besinnen brauchen, wann und wo er ihn vorher gesehen habe. Er mußte sich Gewalt anthun, sein innerliches Beben zu verbergen und an dem Arme der Verlobten weiter zu gehen.

Der Unheimliche verschwand in der engen Gasse.

Am andern Tage holte Urner seine Verlobte ab, um mit dieser den versprochenen wiederholten Besuch bei der Geretteten zu machen. Aber die Dame war nicht mehr da. Sie war am Morgen früh abgereist, wohin, konnte ihre Wirthin nicht sagen.

Die „schöne Bertha“ war vor dem Feuer unter den jungen Herren der Badewelt bekannt gewesen. Nach dem Feuer hatte Jedermann wenigstens von ihr gesprochen. Zugleich hatte man dabei aber auch gesagt, sie sei eine Büßerin geworden. Daher wohl erregte ihr Verschwinden wenig oder gar nicht die Aufmerksamkeit. Nach drei Tagen sprach Niemand mehr von ihr.

Nach zwei Tagen waren auch Marianne Bohle und Max Urner aus dem Bade abgereist; Beide zugleich. Von der Abreise der Ersteren nahm die eigentliche Badewelt gar keine Notiz. Diese Welt hatte das einfache, bescheidene Mädchen nicht gekannt. Urner wurde höchstens Einen Tag vermißt. Den einen Tag nämlich waren die vornehmen Damen neugierig, den schönen, muthigen jungen Mann zu sehen, der mit Aufopferung seines Lebens ein Menschenleben gerettet hatte, und sie fragten nach ihm. Als sie dabei aber zugleich hörten, daß er sich mit einer ältlichen und kränklichen Ladenmamsell verlobt habe, fragten sie natürlich nicht mehr nach ihm, und er war vergessen.

In dem Kreise der alten Damen erhielt sich jedoch das Andenken Beider länger.

Marianne hatte zwar nicht persönlich von ihnen Abschied genommen, auch Urner nicht, und darüber wollten die Damen im ersten Augenblicke zürnen. Aber Marianne hatte in ihrem und Urner’s

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_598.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)