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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die beiden Doppelgänger.
Von Fr. Gerstäcker.
(Schluß.)

„Das glaub’ ich Ihnen“, lachte der junge Arzt – „ich habe die Sache selber nicht verstanden und bin ihr endlich aus dem Weg gegangen, um einmal ein Alibi beweisen zu können. Doch ich will Ihnen einfach erzählen, wie sich Alles zugetragen, und dabei gleich von vornherein bemerken, daß ich meinen Doppelgänger nie von Angesicht zu Angesicht gesehen habe.“

„Und woher wissen Sie da, daß er überhaupt existirt?“ frug Köllern.

„Darüber hat er mich nicht im geringsten in Zweifel gelassen,“ lautete die Antwort – „hören Sie!

„Schon vor zwei Jahren war ich einmal in meiner Heimath in Gesellschaft, und das Gespräch kam auf ein sehr theueres medicinisches Werk, das ich mir gern angeschafft hätte, wenn es nicht zu kostspielig gewesen wäre. Ich äußerte auch etwas Derartiges, wenn ich nicht irre, und Sie können sich meine Ueberraschung denken, als ich etwa acht Tage später das Werk von der Verlagshandlung zugesendet bekam. Ich glaubte erst, es sei von irgend einem der Gesellschaft eine Ueberraschung, und zerbrach mir schon den Kopf, wem ich dieselbe könne zu verdanken haben, aber darüber sollte ich bald eines Besseren belehrt werden. In dem letzten Band lag die Rechnung mit dem Bemerken dabei, wie es bei Buchhändler-Rechnungen gewöhnlich Gebrauch ist: auf Verlangen. Ich konnte jetzt nicht gut anders denken, als daß sich einer meiner Freunde einen Scherz gemacht habe, das Buch für mich zu bestellen, schrieb also an den Buchhändler zurück, ich bedauere sehr, von dem Werk keinen Gebrauch machen zu können, und würde es ihm, um ihm Kosten zu ersparen, durch Buchhändler-Gelegenheit remittiren. An mich hatte er es unfrankirt per Post gesandt. Mit nächster Post bekam ich dagegen einen Brief, daß sich die Buchhandlung sehr wundere, da das Buch nur auf meine eigene feste Bestellung an mich gesandt sei, sie es übrigens zurücknehmen wolle, wenn es mich gereue. Dabei schickten sie mir einen Brief, auf den ich selber geschworen hätte, daß ich ihn geschrieben, und in welchem ich, mit meiner Unterschrift und meinem Siegel, um das Werk bat. Natürlich behielt ich es jetzt, konnte mir aber die Entstehung des Briefes nicht enträthseln.

„Nach einiger Zeit gehe ich einmal durch die Hauptstraße unserer Residenz, und sehe in dem einen Laden ein wundervolles Schreibzeug stehen, das mir außerordentlich gefiel. Da ich aber voraus wußte, daß es zu theuer für mich sein würde, erkundigte ich mich nicht einmal nach dem Preis, sondern ging weiter. An demselben Nachmittag, ohne daß ich mit einem Menschen eine Sylbe darüber gesprochen hätte, und ich dachte in der That nicht einmal mehr an das Schreibzeug, kommt ein Lehrling und bringt es mir mit in’s Haus. Ich fragte, auf’s Aeußerste erstaunt, wer es schicke, er wußte es aber nicht zu sagen, fragte, ob ich es nicht selber gekauft habe, und meinte, als ich es verneinte, es würde wohl ein Geschenk sein. Da ich Niemanden daheim hatte, von dem ich ein so kostbares Geschenk erwarten konnte, wollte ich es wieder zurückschicken; der Bursche behauptete aber, weiter keine Ordre zu haben, als es an mich abzugeben, und trollte ab.

„Wäre mir nun nicht die Geschichte mit den Büchern kurz vorher passirt, so hätte ich das Schreibzeug ganz ruhig als ein Geschenk behalten und mich vielleicht im Tageblatt bei dem unbekannten Geber bedankt. So war ich aber mißtrauisch geworden, ging den Nachmittag in den Laden, mich näher zu erkundigen, und erfuhr hier zu meinem Staunen, daß ich selber an dem Morgen dort gewesen wäre und das Schreibzeug gekauft habe. Ich fragte lachend, ob ich es auch bezahlt hätte, das verneinte aber der junge Mann im Geschäft und meinte, das hätte ja auch nichts zu sagen, Neujahr würde ich die Rechnung schon bekommen. Ich wollte jetzt leugnen, daß ich das Schreibzeug verlangt haben könne, ein anderer Commis aber und der erste Lehrling traten als Zeugen gegen mich auf und versicherten auf das Bestimmteste, mich selber hier gesehen zu haben, wie ich das Schreibzeug erstanden. Ich wurde jetzt ärgerlich und grob, denn ich hielt es für eine neue und schmähliche Art von Prellerei, verweigerte auch direct die Annahme; der Kaufmann aber bestand darauf, daß ich es behalten müsse, da er es sonst eine halbe Stunde später, als es eben eingepackt werden sollte, an einen Engländer hätte verkaufen können. Als ich es trotzdem zurückschickte, verklagte er mich, die Leute im Laden beschworen ihre Behauptung, und das Ende vom Lied war, daß ich das Schreibzeug und die Kosten bezahlen mußte.

„Aber das war noch nicht Alles. Von der Zeit an brauchte ich nur einen Wunsch auszusprechen, und ich konnte fest überzeugt sein, daß ich am nächsten Tage das Gewünschte, mit der Rechnung natürlich, zugeschickt bekam. Aus Hamburg und Oesterreich kamen sogar ein paar Mal Sachen mit Postnachnahme und ich sah jetzt die Wahl vor mir, durch die Gutmüthigkeit meines geheimnißvollen Quälgeistes entweder in Schulden oder in eine Unzahl von Processen und Unannehmlichkeiten gestürzt zu werden.

„Ich erließ allerdings eine Erklärung in den Zeitungen, mir selber auf meinen Namen nichts zu borgen, aber die Leute hielten es für einen Witz, bis ich das letzte Mittel ergriff, mich diesem unheimlichen und lästigen Verfolgungen zu entziehen. – Ich wanderte aus, ließ, hier in Californien angelangt, meine Ankunft augenblicklich durch das Gericht constatiren und beglaubigen, melde mich dabei jedesmal, so oft ich nach San Francisco komme, und lasse mir meinen hiesigen Aufenthalt quittiren, wünsche mir dabei fortwährend mächtige Klumpen Gold und will jetzt einmal sehen, was mein Doppelgänger in Deutschland indessen anfangen wird.“

Während die Uebrigen laut über diesen wunderlichen und so auf anderer Leute Kosten gefälligen Doppelgänger lachten, richtete sich Meier plötzlich auf, schützte seine Augen mit der Hand vor der Flamme und sagte: „Geht da nicht Schütz?“

Köllern drehte sich rasch um und erkannte ebenfalls seinen schwermüthigen Freund, der langsam an ihrem Feuer vorüber, ohne sich jedoch nach ihnen umzusehen, zum Zelt hinaufschritt. Dort oben brannte Licht, und Köllern hätte darauf schwören wollen, daß er noch vor wenigen Secunden, als er zufällig hinaufgesehen, den Schatten des Zelteigenthümers an der Leinwand bemerkt habe. – Wie war es möglich, daß er in dieser Schnelligkeit und unbemerkt von ihnen an den Bach hinunter gekommen war und schon von dort zurückkehren konnte?

„Was mag der da unten gemacht haben?“ sagte Meier.

„Er hat gewiß Trinkwasser geholt“, sagte ein Anderer.

„Guten Abend könnt’ er aber doch wohl wünschen!“ brummte Restiz, „das wäre wenigstens nicht mehr, als sich für einen Nachbar schickt und gehört.“

„Bst,“ sagte Meier und faßte Köllern’s Arm. – Oben aus dem Zelt drangen laute Worte zu ihnen nieder.

„Er spricht mit sich selber“, sagte Pauig.

„Ja, wie es scheint, macht er sich selber die schönsten Grobheiten“, lachte Restiz.

Plötzlich war Alles ruhig und Köllern, der mit peinlicher Spannung den Lauten gehorcht hatte, wollte sich eben wieder zum Feuer niedersetzen, als oben im Zelt ein Schuß fiel.

„Großer Gott!“ rief er, erschreckt emporfahrend, „was ist das?“

„Dem ist oben ein Gewehr losgegangen“, sagte Pauig – „oder er hat vielleicht nach einem Knyota[1] geschossen. Die Racker kommen ja oft am hellen Tag zwischen die Zelte und stehlen wie die Raben.“

Von Köllern hörte nicht mehr. Rasch und zitternd Meiers Arm ergreifend, flüsterte er ihm ein paar Worte zu und eilte dann mit ihm, so rasch er konnte, zu dem Zelt hinauf. Die Uebrigen zögerten noch eine Weile, folgten dann aber ebenfalls, zu sehen, was dorten vorgefallen wäre.

Köllern hatte sich nicht geirrt. Auf seinem Bett ausgestreckt, das abgeschossene Pistol neben sich, lag Schütz mit zerschmettertem Hirn und vor dem Leuchter ein offener Brief an Köllern, der, mit Bleistift geschrieben, nur die folgenden wenigen Zeilen enthielt:

„Lieber Köllern,

„Sie sehen, ich nehme die mir von Ihnen gebotene Hülfe an. Ich bitte Sie, Alles, was Sie in meinem Zelte finden, an arme Miner zu verschenken oder sonst darüber zu verfügen. Nur das unter meinem Kopfkissen liegende Päckchen Gold befördern Sie, wenn Sie nach Deutschland zurückkommen, an meine Schwester,

  1. Knyota: die kleinen Steppenwölfe.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_610.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)