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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

deren Adresse Sie darauf angegeben finden. Sagen Sie ihr die Ursache meines Todes. Ich konnte es nicht länger ertragen

„Bewahren Sie eine freundliche Erinnerung Ihrem armen Schütz.“

Während sich Meier über den Todten bog, die Wunde zu untersuchen, las von Köllern tief erschüttert diesen Abschiedsbrief, und scheu umstanden indeß die übrigen Männer den Leichnam des Unglücklichen, der so geheimnißvoll gestorben war, wie er unter ihnen gelebt hatte.

Sechs Monate mochten nach jener Zeit verflossen sein. Schütz war damals von seinen Landsleuten an derselben Stelle begraben worden, auf der sein Zelt gestanden hatte, und nur ein einfacher Hügel, mit einem mächtigen Quarzblock zu Häupten, kündete unter jener alten Eiche die Stelle, wo der Unglückliche schlummerte.

Es war Frühjahr geworden, und von Köllern, der die Wintermonate mit Meier zusammen ziemlich glücklich gearbeitet hatte, erhielt Briefe aus Deutschland und beschloß, dorthin zurückzukehren.

Dr. Meier schien erst die Absicht gehabt zu haben, den Sommer noch in Californien auszuhalten. Köllern überredete ihn aber leicht, das wilde Minenleben zu verlassen und die geregelten Verhältnisse in der Heimath wieder aufzusuchen. Da sie die letzten Wochen doch ziemlich erfolglos die schweren Erdarbeiten getrieben hatten, sagte Meier auch zu, und die beiden jungen Leute wanderten zusammen nach San Francisco, sich dort auf dem nächsten Fahrzeug nach den Vereinigten Staaten oder der Heimath einzuschiffen

In San Francisco fanden sie auch rasch Gelegenheit, hier aber stand ihnen noch eine Ueberraschung bevor.

Als sie mit ihrem Gepäck nach dem Landungsplatz hinunter gingen, an Bord zu fahren, arbeitete unten am Werft eine Anzahl von Sträflingen, Männer in grauen Jacken und Hosen mit Ketten an den Füßen, die hier in Californien irgend ein Verbrechen begangen hatten und jetzt ihre Strafe, unter Aufsicht von bewaffneten Polizeidienern abbüßen mußten.

Köllern und Meier wollten rasch an diesen Unglücklichen, auf die sie weiter nicht achteten, vorübergehen, als Einer der Leute mit leiser Stimme sagte:

„Herr von Köllern!“

„Die beiden Freunde drehten sich rasch nach ihm um, und der Doctor rief wirklich erstaunt aus:

„Herr Steinert – was nur Himmels Willen hat Sie in diese Lage gebracht?“

Laßt uns die Unschuld oft im größten Unglück sehen,
Und leidet mit bei fremden Schmerzen;
Dies Mitleid heiligt uns’re Schmerzen“ –

bemerkte Herr Steinert – „wenn Sie vielleicht zufällig ein Stückchen Kautabak oder eine Kleinigkeit der landesüblichen Münzsorte bei sich haben sollten. Meine Lage ist erschrecklich.“

„Wird der faule Strick da vorn arbeiten?“ rief ihm der eine der Wächter in diesem Augenblick in englischer Sprache zu. Steinert warf einen scheuen Blick über die Schulter. Köllern aber hatte ihm schon ein Geldstück in die Hand gedrückt und, rasch des Freundes Arm ergreifend, eilte er mit diesem dem nahen Landungsplatze zu, wo das Boot schon ihrer wartete. – Von Herrn Steinert sahen sie nichts wieder.

Von Köllern hatte nun, in Deutschland angekommen, vor allen Dingen den Auftrag des unglücklichen Selbstmörders auszuführen: das ihm anvertraute Gold mit der Kunde von des Bruders Tod in die Hände der Schwester zu legen. Es war eine traurige Pflicht, aber er erfüllte sie und suchte dann Dr. Meier in –* auf, wie er ihm, als sie sich in Hamburg trennten, versprochen hatte.

Die Wohnung desselben fand er übrigens nicht so leicht, als er sich gedacht, denn zweimal, als er sie schon richtig erfragt glaubte, wurde er durch die Nachricht überrascht, daß Herr Dr. Meier dort in der That gewohnt habe, aber nur zwei Tage geblieben und dann wieder ausgezogen sei. Seine jetzige Wohnung wußte Niemand. Köllern wollte auch den Versuch, ihn zu zu finden, schon aufgeben, als er auf der Post einen Brief erhielt, der dort poste restante gelegen hatte. Darin schrieb Meier nur die wenigen Worte:

„Ich wohne Helmstraße Nr. 15, dritte Etage im Hof. Sagen Sie Niemandem meine Wohnung und kommen Sie so rasch Sie können.

Ihr californischer Freund.“

Nicht einmal unterschrieben hatte er sich, und Köllern wußte gar nicht, wie er sich das zusammenreimen sollte. Natürlich suchte er ihn augenblicklich auf und fand ihn endlich draußen in der äußersten Vorstadt in einem wahren Versteck von einer Wohnung, an deren Treppe aber trotzdem schon wieder zwei gepackte Koffer standen. Meier kam ihm in Reisekleidern entgegen.

„Das ist ein Glück, daß Sie mich gefunden haben, Köllern“, rief er ihm schon an der Treppe zu – „Sie sendet mir der liebe Gott, und ich wollte mich schon eben in die Zeitung setzen lassen.“

„Wozu aber denn dies Versteck, und das geheimnißvolle Poste restante?“ lächelte Köllern.

„Es hilft mir nichts mehr“, rief Meier in komischer Verzweiflung. „Sie hat mich hier auch aufgefunden.“

Sie? – wer ist das?“

„Ja so, Sie wissen die ganze entsetzliche Geschichte ja noch gar nicht. Mein Doppelgänger hat geheirathet.“

„Ihr Doppelgänger?“ lachte Köllern, „das ist kostbar, und darüber sind Sie in Verzweiflung?“

„Hören Sie nur weiter“, rief aber Meier, „das ist das boshafteste, nichtswürdigste Wesen, das auf der Welt existirt. – Wie er merkt, daß ich wieder da bin, verschwindet er, und natürlich fällt mir jetzt die Frau in’s Quartier und droht mit Klagen, daß ich sie böslich verlassen hätte.“

„Ist sie hübsch?“

„Ja, aber hol’s der Teufel, wenn ich eine Frau haben will, such’ ich sie mir selber aus, und heirathe wahrhaftig nicht meine eigene Wittwe.“

„Aber so erzählen Sie doch nur –“

„Die Sache ist so geheimnißvoll, wie einfach“, sagte der Doctor. „Eine junge Frau hat mich hier, kaum nach –* zurückgekehrt, überfallen, versichert mit Thränen in den Augen, daß ich ihr Mann sei, der sie vor ein paar Tagen böslich verlassen habe, und verlangt, daß ich wieder mit ihr gehe und ihr versprechen soll, in Zukunft immer ordentlich und treu bei ihr zu bleiben.“

„Und Sie?“

„Ich habe ihr erklärt, daß sie sich in der Person irrt. Ich bin auf der Polizei gewesen und habe dort meine Beweise vorgelegt, daß ich mich die ganze Zeit in Californien aufgehalten. Ich habe sogar die Polizei aufgefordert, Jenen, der sich für mich ausgibt, zu verhaften –“

„Nun, und –?“

„Die Folge davon war“, fuhr der Doctor fort, „daß ich selber am nächsten Morgen, als ich auf die Post gehen wollte, arretirt wurde und mit einem Holzkopf von Polizeidiener durch die halbe Stadt und am hellen lichten Tage auf die Polizei mußte, mich dort als wirklichen Dr. Meier zu legitimiren. Ich zog rasch in eine andere Wohnung, umsonst – die Frau fand mich auf – ich wechselte wieder – umsonst, ich brachte sie nicht von meiner Fährte und war schon im Begriff, abzureisen und –* für immer zu verlassen, als ich heute Morgen eine neue Vorladung erhalte, und jetzt müssen Sie mit mir gehen, für mich zu zeugen.“

„Aber seit wann ist denn jener Doppelgänger verschwunden?“ fragte Köllern.

„Wie es scheint, ein paar Tage vorher, ehe ich ankam, und zwar sehr apropos, seinen Gläubigern zu entgehen, die nicht übel Lust zu haben schienen, gleich über mich herzufallen. Der Lump hat eine rasende Menge von Schulden in meiner Abwesenheit und alle auf meinen Namen gemacht.“

„Die Sie jetzt bezahlen können.“

„Ich werde mich hüten. Gott sei Dank, daß ich in Californien die Vorsicht gebraucht habe, meine dortige Anwesenheit rechtskräftig beweisen zu lassen. Sie selber können mit gutem Gewissen beschwören, welche Zeit wir dort zusammen gearbeitet haben. Ebenso besitze ich noch meinen Passageschein, mit dem ich über See gekommen bin, lauter Alibis, die meinen nichtstwürdigen Doppelgänger hier in der Patsche sitzen lassen.“

„Und seine Frau?“

„Was geht die mich an?“ rief Meier in komischem Zorn, „ob hier ein Zufall oder der Teufel sein Spiel hat, weiß ich nicht – ist mir auch gleichgültig, aber soviel ist sicher, daß ich nicht gesonnen bin, Einem oder dem Andern als Spielball zu dienen. Hier kann ich nicht mehr bleiben, denn jenes verzweifelte geisterhafte Ungethüm, das die Güte gehabt hat, meine Stelle während meiner Abwesenheit zu vertreten, scheint mich so tief hineingeritten zu haben, daß ich ein Lebensalter dazu brauchte, nur meinen guten ehrlichen Namen wieder herzustellen. Vor allen Dingen muß ich jetzt mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_611.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)