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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 43. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.       Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Aus dem Gedenkbuche der Gartenlaube.
So wie ein Mensch am herrlichsten erscheint, wenn er kräftig an seinem Schicksal arbeitet, so sind die Völker am größten, so lange sie mit Energie an ihrer innern Bildung, an ihrer Verfassung, ihrer Stellung gegen andere Völker arbeiten. Ein uneiniges, schlaffes Volk, das sein Glück und seine politische Bedeutung dem Zufall oder der zufälligen Laune seines Herrschers anheimstellt, verdient seinen Untergang.
B. 


Der Unheimliche.
Vom Verfasser der „Neuen Deutschen Zeitbilder“.
(Schluß.)

Man brach zur Jagd auf. Die Herren, die Jäger draußen, die Treiber, die Hunde, Alles eilte lustig und fröhlich zu dem lustigen und fröhlichen Waidwerke.

Man hatte eine glückliche Jagd. Das weitläufige Revier des Baron Steinhaus bot sie. Hasen und Füchse wurden in Menge erlegt; selbst Eber stellten sich zum Abfang. Auch an Abenteuern fehlte es nicht. Wenn die Jäger sich begegneten, mußten sie mit freudestrahlendem Gesichte einander zurufen: Das ist ein köstlicher Tag! – Um neun Uhr Morgens war man, wie verabredet worden, auf die Jagd ausgezogen. Es sollte den Tag über ununterbrochen bis um drei Uhr Nachmittags gejagt werden. Dann sollten die Hörner die Gesellschaft an einem bestimmten Orte im Walde zur gemeinsamen Rückkehr nach dem Schlosse sammeln. So war die Anordnung getroffen.

Es konnte zwölf Uhr Mittags sein, als auf einmal die Hörner zum Sammeln riefen. Drei Stunden früher und ein anderer Platz! Was war da vorgefallen? Was sollte das bedeuten? Die Gäste sahen sich fragend untereinander an. Sie konnten es sich nicht sagen und eilten zu dem Sammelplatze, zu dem gerufen wurde. Auf dem Wege dahin trafen sie den Wirth und fragten ihn. Er wußte ebenfalls nichts, und er war erstaunter und verwunderter, als sie.

„Und Ihr Baron Lauer ist auch nicht gekommen, Steinhaus?“

„Wenn Ihr ihn nicht gesehen habt –“

„Nein.“

„So hat er noch nichts von sich sehen und hören lassen.“

„Ein Mann von Wort scheint er eben nicht zu sein.“

„Wer weiß? Er kann noch immer Abhaltung haben. – Aber,“ unterbrach der Baron Steinhaus plötzlich sich selbst, „aber ein Sonderling bleibt er.“

Sie waren auf dem Sammelplatz angekommen, und Alle standen auf ein Mal wie vor einem fremdartigen Zauber. Es war ein abgelegener kleiner, lichter Platz, mitten im Walde. Auf der einen Seite bildeten hohe, starre Felsen seine Wand, auf den drei anderen Seiten schlossen dicht zusammenstehende, mächtige, uralte Tannen ihn ein. Im Sommer hätte man kaum eine romantischere und heimlichere Stelle in dem Dickicht eines Waldes aufsuchen können. Mitten im Winter war es fast schauerlich hier. Der Boden der Lichtung selbst war mit der weißen Schneekruste bedeckt, auch die Spitzen der Tannen waren weiß und die Zacken der Felsen. Aber dunkelgrau starrten die Wände der Felsen in die Höhe und unter den Zweigen der Tannen war es rabenschwarz.

Allein man konnte kaum darauf achten, und vielleicht nur ein Einziger hatte es beachtet, auf den hatte es aber einen sonderbaren Eindruck gemacht.

In der Mitte des lichten Platzes war eine Tafel gedeckt, voll mit Speisen und Weinen und Allem, was das Herz eines von Glück wie von Beschwerden einer Winterjagd angegriffenen Waidmanns erfreuen kann. Der Boden unter der Tafel war mit warmen Decken belegt, um die Tafel standen harrende Bediente.

Der Baron Steinhaus kannte sie. Es waren die Bedienten des Baron Lauer. Einer der Diener überreichte ihm ein Schreiben seines Herrn. Der Baron bat wiederholt um Entschuldigung seines Verspätens. Nachkommen werde er, er bleibe nie aus; aber für den Augenblick sei er noch immer abgehalten. Er hoffe die Herren bei dem kleinen Waldfrühstück zu begrüßen, mit dem er sie vorlieb zu nehmen bitte.

„Es ist zwar etwas sonderbar,“ sagte der Baron Steinhaus, „aber ein Sonderling bleibt er nun einmal.“

Und die Herren nahmen vorlieb. An der Seite thaten es die Jäger und Treiber, für die der Sonderling gleichfalls Erfrischungen hatte herbeischaffen lassen. Alle wurden gar besonders fröhlich und lustig. Auch der Baron Benzing wieder. Er war es, auf den der romantische, aber auch wilde und grausige Platz jenen sonderbaren Eindruck gemacht hatte. Namentlich nach den Felsen hin hatte er seine Blicke richten müssen, als wenn er auch hier plötzlich und unerwartet sich an einer Stelle wiederfinde, die er schon kenne.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 613. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_613.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2017)