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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Sie haben ihn gekannt, Herr Baron Benzing?“ fragte der Unheimliche.

„Nein,“ konnte der Baron mit fester Stimme erwidern.

„Ich wüßte auch nicht. Der Name Baron Benzing kam wenigstens in den Curlisten damals nicht vor. Indeß, ich wollte mich kurz fassen. Der junge Mann selbst ging seinen besonderen Geschäften nach. Im Bade war ein braves Mädchen, nicht mehr ganz jung. Im mittleren Bürgerstande arm geboren, zudem früh Waise, hatte sie zu jenen Armen gehört, die von der Kindheit an dazu bestimmt sind, im sauren Dienst bei fremden Leuten ein Brod zu verdienen, das sie nur unter Thränen verzehren können. Sie fand freilich auch einen Lohn für ihre treuen, braven Dienste; aber der Lohn sollte ihr Unglück werden. Sie war längere Zeit Ladenjungfer bei einer kinderlosen Wittwe gewesen. Die Frau starb im vorigen Frühjahre und setzte sie zur Erbin eines nicht unbedeutenden Vermögens ein.“

Die Herren waren aufmerksamer geworden.

„Hat nicht von der Geschichte etwas in den Zeitungen gestanden, Herr Baron?“

„Ja, eine gerichtliche Bekanntmachung.“

„Wie war der Name der Person?“

„Marianne Bohle.“

„Richtig, sie wurde vermißt.“

„Deshalb bat das Gericht öffentlich um Auskunft über sie.“

„Und von ihr erzählen Sie, Herr Baron?“

„Von ihr will ich erzählen.“

„Sie wissen also von ihr?“

„Darf ich bitten, mir ferner zuzuhören? Die Dame war kränklich. In einem langen, schweren Dienst kann ein armes Mädchen das werden. Sie war in das Bad gegangen, um sich zu kräftigen. Der Herr Urner machte ihre Bekanntschaft. Sie besaß ein baares Vermögen von mehr als zwanzigtausend Thalern. Er gab sich ihr als einen reichen Kaufmannssohn aus Hamburg aus. Er bot ihr seine Hand an. Sie zögerte. Das Reine scheut sich instinctiv vor dem Unreinen. Ein Zufall kam ihm zu Hülfe. In dem Badeorte entstand Feuer, in demselben Hause, in welchem jene schöne Dame die jungen, reichen Herren an sich locken mußte. Die Dame selbst gerieth in die äußerste Lebensgefahr. Der junge Mann, der Herr Urner, rettete sie; ich muß es anerkennen, meine Herren, mit einem seltenen Muthe und mit augenscheinlicher Gefahr seines eigenen Lebens. – Sie sehen mich verwundert an, Herr von Benzing? Was wollen Sie? Auch der größte Verbrecher bleibt Mensch, und der größte Lump ist noch großer Thaten fähig. Bei ihm galt es zudem einen Zweck. Die Gerettete, ohnehin schon in seiner Gewalt, war jetzt vollständig seinem Willen unterworfen. Sie mußte mit ihm eine Komödie aufführen, in welcher sie die Reuige und er den Edelmüthigen spielte. So wurde die arme Marianne Bohle gefangen, und die Verlobte des Herrn Urner. Und darauf verschwand sie, und mit ihr waren ihre zwanzigtausend Thaler verschwunden, auch von einem Herrn Urner hat man seitdem nichts mehr gehört.“ Der Erzähler brach ab, man meinte, er sei mit seiner Geschichte zu Ende.

„Das wollten Sie uns erzählen, Herr Baron?“ –

Er hatte nur eine Pause gemacht.

„Das, meine Herren, stand schon in den Zeitungen. Ich mußte es Ihnen nur wiederholen, um zu der eigentlichen Geschichte zu kommen, die Sie von mir zu hören wünschten.“

„Von der Marianne Bohle, Herr Baron?“

„Und dem Herrn Urner, meine Herren. Aber, Louis, was haben die Hunde wieder?“

„Ich weiß es auch nicht, Euer Gnaden,“ antwortete der Jäger des Barons. „Sie wittern immer dort nach den Felsen hin,“

Die beiden Schweißhunde des Barons Lauer waren unruhiger geworden. Sie hatten sich halb erhoben, ihre Schnauzen waren nur noch nach den Felsen gerichtet, dahin auch ihre brennenden Augen; nur manchmal sahen sie mit diesen sich einander an, als wenn die klugen Thiere sagen wollten: Da ist es! Dann wandten die Augen sich wieder brennender nach den Felsen.

„Halte sie fest, Louis,“ sagte der Baron, „Zwischen den Felsen dort muß etwas vergraben sein, was sie wittern, Sie würden nicht ruhen, bis sie es aufgescharrt hätten. Es ist das so ihre Art. Die würden ihre Kräfte verschwenden, die wir noch für die Jagd brauchen wollen,“

Der Jäger faßte die Leine, an der er die Hunde hielt, fester. Der unheimliche Baron Lauer erzählte weiter:

„Ich komme zu dem Ende meiner Geschichte, meine Herren; wenn Sie wollen, zu der letzten Scene des letzten Acts; doch nein, wohl erst zu der vorletzten, die letzte kommt dann von selbst.“

Er sah in der That unheimlich aus, als er mit spöttischem Humor die Worte sprach. Nicht blos dem Baron Benzing, auch den Andern mochte es etwas kalt und heiß durch die Brust fahren. Auf der Stirn des Baron Benzing standen Schweißtropfen. Aber wie ihm die Stirn auch glühen mochte, sein Gesicht war blaß. Die Andern sahen es nicht.

„Im Spätsommer vorigen Jahres,“ fuhr der Baron Lauer fort, „hielt, etwa vier bis fünf Meilen von hier, eines Abends an einem Eisenbahnhofe ein junger Herr mit einem Einspänner, den er selbst führte. Er schien auf den nächsten Eisenbahnzug zu warten, der weiter nach Hamburg ging. Eine Post kam an, sie hielt. Eine Dame stieg aus; sie schien gleichfalls Jemanden zu erwarten. Der junge Herr fand sie. Sie hatten sich gegenseitig erwartet. Er führte sie zu seinem Einspänner und fuhr mit ihr davon in die Richtung zu diesen Forsten. Die Gegend ist hier im Sommer schön, besonders eine halbe Meile weit von hier, wo der Wald sich öffnet. Ein paar Liebende schwärmen gern, wenn auch nicht gerade für, doch in einer schönen Gegend, und romantisch ist es, in stiller, lauer Sommernacht durch einen dichten Wald zu fahren, der Morgenröthe entgegen, um die Sonne über eine prachtvolle Gegend aufgehen zu sehen; Arm in Arm, still und fest aneinander gedrückt, von keines Menschen Auge gesehen, allein mit seiner Liebe und dem Geliebten. Um Mitternacht ist das Pferd müde geworden. Man läßt es verschnaufen. Man steigt unterdeß aus. Man ist mitten im Walde. Sein Dunkel seitab vom Wege ist so einladend, das Moos duftet so wundervoll aus dem Dunkel heraus; die Tannen schwirren leise in dem linden Nachtwinde; die Luft ist so sanft, so weich; das Herz wird weit, es wird eng, es wird weh in Liebe, in Sehnsucht. „Gehen wir ein paar Schritte in den Wald.“ Das Pferd wird angebunden. Sie gehen in das Dunkel des Waldes. Es scheint ein Instinct zu sein, daß die Liebe und das Verbrechen das Dunkel suchen. Der Geliebte umfaßt die Geliebte; sie hängt sich an seinen Arm und sucht durch das Dunkel sein Auge; er findet das ihrige und beugt sich zu ihr nieder. Sie hängt sich an seinen Hals. Er umschließt ihren Nacken, und – – – ein furchtbarer Schrei von ihren Lippen, dann ist sie still; es ist Alles vorüber. Er hat sie erwürgt, und trägt die Leiche in den Wagen, bindet sein Pferd los, und jagt im Galopp von dannen.“ –

Der Erzähler machte wieder eine Pause. Seine Zuhörer waren sämmtlich erblaßt. Das Gesicht des Baron Benzing war nicht mehr allein weiß, es war nur bleifarbiger, als die anderen. Sie sahen sich Alle einander an; aber Keinem fiel es auf, daß sie so blaß aussahen, auch dem unheimlichen Erzähler nicht.

„Meine Herren,“ fuhr er fort, „ein Mord ist eine schwere Sache; eine noch schwerere ist es aber, den Mord zu verbergen. Unser junger Mann hatte kaltes Blut genug, um es mit Geschick auszuführen. Der Wald war groß und menschenleer. Im Sommer wird nicht gejagt, gibt es nicht einmal Holzdiebe. Kein Mensch hatte ihn gesehen; er hatte keines Menschen Spur wahrgenommen. Er fuhr etwa eine Meile weiter, langsamer, damit das Geräusch des Wagens nicht etwa doch zum Verräther werden möge. Das weiche Moos eines Waldweges kam ihm zu Statten. An einer dichten Stelle des Waldes machte er Halt und band sein Pferd wieder an. Er nahm die Leiche aus dem Wagen. Er nahm auch ein Instrument mit, das er in dem Wagen verborgen hatte. Wenn man etwas ausführen will, so muß man sich dazu vorsehen. Er trug die Leiche in das tiefere Dickicht. Er fand einen versteckten Platz. Es war zugleich ein hübscher, anmuthiger Platz, meine Herren, –“

Der Erzähler sah sich auf dem Platze um, auf dem sie sich befanden. Da sah er auch wieder die beiden Schweißhunde. Die Thiere waren beinahe ungeduldig geworden; der Jäger hatte Mühe, sie zu halten.

„Ich weiß nicht, was das heute mit den Hunden ist,“ sagte der Baron. „Am Ende ist es doch besser, ihnen den Willen zu lassen. Sie könnten nachher, wenn sie loskämen, hierher zurückkehren und uns die ganze Jagd verderben. – Louis, laß sie los!“ rief er dann auf einmal dem Jäger zu.

Der Baron Benzing fuhr bei dem Rufe hoch in die Höhe. Der Jäger ließ die Hunde los. Die Thiere rannten in rasender Hast zu den Felsen. Im Laufe stießen sie ein wildes Gebell aus, wie einen Freudenschrei. Es war nur ein einziger Schrei,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_616.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)