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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

machte aus dem Glase eine politisch-patriotische Reliquie und stellte sie als heiliges Symbol hoch an einem Orte auf, wo ihr Anbetung gezollt werden konnte. In der Kneipe aber bildete sich ein besonderer Cultus, ein Orden der rothen Reaction, des Weißbiers, der Eisbeine und bairischen Würste. Wie bei den Mohamedanern heißt es hier allabendlich: Allah il Allah, aber nicht Mohamed war sein Prophet, sondern der kleine schwarzköpfige Minister. Auch die Physiognomie dieser frommen Reactionäre zeichnete sich sehr aus. In ihr lag schon die selbstbewußte Ruhe des politischen Sieges.

Die versammelten Männer durften sich der errungenen Trophäen freuen, ihre Würste mit Sauerkraut in vollkommener Sicherheit essen, daß nicht zwischen dem fetten Bissen und dem offenen Maule Generalmarsch geschlagen, bei einem Minister Volksbesuch abgestattet und eine ungesetzliche Rede unter freiem Himmel gehalten würde. Als politisch unverdächtige Wesen, wie sie Cäsar bei Shakespeare um sich haben wollte, waren sie Alle wohlbeleibt und von bürgerlich wohlhabendem Anstrich. Von jenem verkümmerten Schuhflickerthum war nicht die geringste Spur zu bemerken. Hatten die oben beschriebenen armen Kümmerlinge sich einem reactionären Vereine angeschlossen, um Hoffnung auf Erwerb zu erhalten, sich hochgestellten Gönnern zu empfehlen, vortheilhafte Verbindungen mit gutgesinnten Kutschern, Portiers, Jägern und Lakayen anzuknüpfen, so sah man diesen behäbigen Herren an, daß ihr geregelter Erwerb und nahrhaftes bürgerliches Geschäft durch die Beruhigung der beweglicheren Elemente des Staates wiederhergestellt und neu befestigt worden war. Sie sprachen in der Tonart biederer Grobheit von ihren Erwerbszweigen und Speculationen, und bekümmerten sich merkwürdiger Weise nicht im Mindesten um Politik. Hätte man ihnen genügende Garantie gewährt, daß sie auch in einer rothen Republik ihr Leder verkaufen, ihre Strumpfwaaren anfertigen, ihren gebrannten Kaffee absetzen könnten, sie wären sofort daran gegangen, die gläserne Reliquie zu zerschlagen. Sie waren Reactionäre, weil sie am besten mit der Reaction fuhren. Den fremden Beobachter, der sich kühnlich neben die alten Stammgäste setzte und jene Merkwürdigkeit betrachtete, sahen sie deshalb auch nicht scheel an oder rückten vor ihm bei Seite; es that ihnen anscheinend wohl, ausnahmsweise von einem Gaste beehrt zu werden. Im Ganzen trat in ihnen sogar etwas von dem moralischen Eunuchenthum hervor, welches dem Constitutionalismus von seinen Gegnern vorgeworfen wird, und wahrscheinlich gab es damals schon manchen Unschlüssigen unter ihnen, der seitdem von dem Novembermanne abgefallen ist und den Finanz- oder Kriegsminister als Deputirten gewählt hat. Das Aeußere dieser Herren trug einige philiströse Würde zur Schau. Je weniger Entschlossenheit der Ansichten sie besaßen, und je mehr sie darauf angewiesen waren, sich an eine starke Partei zu lehnen und von ihr gängeln zu lassen, desto männlich selbstständiger gebehrdeten sie sich. Da die Staatsmänner und Minister von heute nicht mehr den historisch großartigen Anstrich der Diplomaten des vorigen Jahrhunderts besitzen, so zeigten sie, wie sie an einer langen ungedeckten Tafel saßen, einige Aehnlichkeit mit den derzeitigen lebenden Inhabern der Stühle am Ministertisch in der Kammer.

Weit interessanter, als diese beiden Gattungen von politischem Krummholz sind die höheren Reactionäre, welche der Forscher noch heute an einigen exclusiven Orten der Residenz findet. Wir meinen die alten Junker und solche gutsituirte Bürgerliche, welche es zu sein wünschten, und sich deshalb zu jenen halten. Allen Männern und Jünglingen, welche Morgens oder Abends Verlangen nach einer kräftigen Herzstärkung aus den Kellereien des Bacchus oder Gambrinus tragen und dazu ein vortreffliches Gericht essen wollen, können wir die „reactionäre Kneipe“ aus eigener Erfahrung angelegentlich empfehlen. Niemand braucht darum seine politische Meinung zu verleugnen, aber wir wollten ihm doch rathen, wenn das Local besetzt ist, sie wenigstens zu verschweigen, falls sie der Fahne des Ortes nicht entspricht. Er könnte sonst auf eine ungemein heftige manuelle Weise aus der Versammlung entfernt werden. Zunächst muß Jedem die Stellung des Wirthes zu den Gästen auffallen. Sie ist durchaus patriarchalisch correct und die eines Mannes, der Alles daran setzt, um selbst mit zeitweiligen eigenen Opfern die Gesellschaft zufrieden zu stellen und an sein Haus zu fesseln.

So macht an einem runden Tische, in dem Kreise alter Herren, ein Graukopf ein etwas bedenkliches Gesicht über den Rothwein. Alsbald wird der Wirth citirt und der unzufriedene Graukopf ihm mit Pathos vorgestellt. Man unterwirft die Weinsorte einer strengen Kritik und beruhigt sich erst, als eine genaue Untersuchung der Flasche und des Pfropfens ergiebt, daß letzterer durch ein Mißgeschick, wie es selbst im besten Keller vorkommen kann, etwas schadhaft gewesen sei und dem Rebensaft einen Beigeschmack verliehen habe. Der Wirth nimmt daran keinen Anstoß, weil er weiß, daß nirgends in der Welt treuere und ausgiebigere Kunden gefunden werden, vorausgesetzt, daß man ihnen stets das Beste liefert. Dafür genießt er aber auch ein großes Vertrauen unter den alten Herren, und es kommt vor, daß sie sich zusammenthun und ihm eine ansehnliche Summe Geldes zur Erweiterung des Geschäftes mit geringen Zinsen vorschießen. Andere Gesellschaft, als eine aristokratisch und reactionär zusammengesetzte, sehen sie dagegen in dem Locale nicht gern. Der Ton der eigenen Unterhaltung ist stets etwas gereizt und verbittert, hat aber diese unangenehme Klangfarbe erst seit dem Jahre 1848 angenommen. Vorher lebte der Gutsbesitzer und Wollzüchter, der active und pensionirte Officier, der Arzt und Geistliche adliger Kreise in einem Zustande idyllischer Unschuld; die Kreuzzeitung war damals noch nicht begründet. Erst durch dieses Blatt wurde ihnen Allen der Staar gestochen und klar gemacht, was hienieden in Preußen gut und böse sei. Jetzt haben sie Alle eine politische Meinung gewonnen und den Frieden der Seele verloren; jener Zeitungsengel hat sie aus dem Paradiese mit dem Flammenschwerte des Zuschauers vertrieben. In ihren Augen ist die Erde nur von Seraphim, den Reactionären, und Dämonen, den Revolutionären, bevölkert. Gegen Letztere muß durch Polizeimaßregeln, Verbote, Beschränkungen des Vereinsrechtes, Landräthe, Wahlumtriebe und kleine Kreisblätter, diese wilden Aepfel des Baumes der literarisch-politischen Erkenntniß, unausgesetzt ein Vertilgungskrieg geführt werden. Die alten Herren sind daher immer auf Seiten der äußersten Gewalt in allen Ländern und ganz gegen Volksbildung, da sie sich durch lange Erfahrung und persönlich überzeugt haben, daß der Staatsangehörige mit einem äußerst geringen Maße derselben verhältnismäßig glücklich leben kann. Menschen, die ihre Namensunterschrift durch drei Kreuze ersetzen müssen, gelten ihnen natürlich mehr, als jene großen Männer, die ihren Namen durch die Feder unsterblich gemacht haben; ja, sie sehen in diesen die noch heute fortwirkende Ursache sämmtlicher Revolutionen.

Alles, was in den fünf Welttheilen und auf den sie umgebenden Gewässern geschieht, erfahren sie nur aus dem genannten einflußreichen Journal, welches von ihnen deshalb auch schlechtweg „die Zeitung“ genannt wird. Wenn vornehme Personen, selbst von fürstlichem Geblüt, den Grundsätzen der Reaction abtrünnig werden, rechnen sie dieselben unbedenklich unter die Revolutionäre und verleihen ihnen allerlei Spitznamen, die immer mit einem seltsamen höhnischen Schmunzeln leise ausgesprochen werden. Für feinere Parteiunterschiede haben diese alten Herren keinen Sinn und verabscheuen Jeden, der ihr Programm nicht bis auf das letzte Komma unterschreibt. Kommt eine etwas liberalere Richtung an das Ruder, so verfallen sie in den sogenannten „Staatsschmerz“, ein Leiden, bei welchem ihnen bei jedem freisinnigen Lüftchen Alles im Leibe wehe thut und sie den Untergang des Vaterlandes fürchten läßt. Der Wirth fühlt sich dabei ungemein wohl. Sie verzehren während dieser Krankheit mehr gebratene Speisen und hitzige Getränke, denn je, und versammeln sich häufiger als sonst, um einander ihr tiefes Leid zu klagen. Die militärisch zugestutzten Schnurr- und Backenbärte herrschen in diesen Reunionen vor, und in die Wehklagen über den Verfall des Staates mischen sich nicht selten unwillige Aeußerungen über Zurücksetzung im Avancement. Die Erwähnung des Programmes von Eisenach vermag bei einigen Rigoristen sofortige Gesichtszuckungen hervorzurufen, und gegen die deutsche Einheit nähren sie in sich denselben Abscheu, welchen nach der Naturgeschichte die Hunde gegen den Gedanken einer Union mit dem Katzengeschlechte hegen sollen.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_626.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)