Seite:Die Gartenlaube (1859) 628.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

sein, und in dieser Zusammensetzung dem Auge als weiß erscheinen; im Prisma aber sollen sich die einzelnen Strahlen von einander sondern und dadurch das farbige Lichtbild hervorrufen. Man hat sogar auf Grund genauer Untersuchungen berechnet, wie viel Schwingungen jede Lichtart in der Secunde macht; so muß der Aether 750 Billionen Schwingungen in der Secunde machen, um die Erscheinung der violetten Farbe hervorzurufen, während das Roth schon durch 500 Billionen Schwingungen erzeugt wird. Seit nun die Physiker berechnet haben, daß jeder Farbe eine bestimmte Art der Aetherbewegung entspricht, hat man sich gewöhnt, unter Licht und Farbe im physikalischen Sinne überhaupt nur Aetherbewegungen zu verstehen, und man verwechselt nun häufig beide Bedeutungen. Ganz ebenso nennt der Physiker gewisse Wellenbewegungen der Luft Töne und gewisse Zustande des Stoffes Wärme, während doch Töne und Wärme im Grunde nichts anders sind als Empfindungen. Es ist sehr wichtig, auf den Unterschied aufmerksam zu machen, weil eine Menge falscher Ansichten allgemein verbreitet sind, die nur in dieser Verwechslung ihren Grund haben.

Wir machen unsre Beobachtungen von der Außenwelt mit Hülfe der äußern Sinne, d, h. die Sinne sind die Pforten, durch welche die Kunde von den Dingen der Außenwelt zu unsrer Seele gelangt. Wenn wir von Sinnesempfindungen reden, so sind das Empfindungen unsrer Seele, die durch eines unsrer Sinneswerkzeuge vermittelt worden sind. Ganz falsch aber ist es, zu glauben, die Sinnesempfindung sitze in unseren Sinneswerkzeugen selbst.

Bei jeder Empfindung haben wir dreierlei zu unterscheiden: erstens die äußere Ursache der Empfindung, zweitens die Veränderung, welche die äußere Ursache in unsern Sinneswerkzeugen und in den Nerven hervorruft, welche die Sinneswege mit der Seele in Verbindung setzen, drittens die eigentliche Empfindung, d. h. einen bestimmten Vorgang in unsrer Seele. Daran reiht sich viertens gewöhnlich ein Urtheil, vermöge dessen wir uns eine Vorstellung von der äußeren Ursache unserer Empfindungen machen. Wählen wir ein bestimmtes Beispiel. Wir sehen den Mond; das Sonnenlicht, d. h. eine Bewegung des Lichtäthers, welche von der Sonne ausgeht, hat sich bis zum Monde fortgepflanzt und ist von diesem aus wieder bis zur Erde gelangt. Hier trifft die Bewegung als Mondlicht unser Auge, durchläuft dasselbe und kommt bis zu der im Hintergrunde unsres Auges ausgespannten Nervenhaut. Die feinen Enden der Sehnerven erleiden in Folge des Bewegungsanstoßes eine Aenderung, welche sich im Grunde ebenfalls auf eine Erzitterung, Schwingung oder sonst welche Bewegung seiner feinsten Theilchen zurückführen läßt. Von diesem Vorgange in den Nervenenden des Auges erhält die Seele dadurch Kunde, daß die Nervenfäden, welche vom Auge zum Gehirn laufen, innerlich erregt werden und diese Erregung, welche wahrscheinlich in einem galvanischen Strome besteht, bis in’s Gehirn fortleiten, wo dann die Seele zur Lichtempfindung angeregt wird, in Folge deren wir das leuchtende Bild des Mondes erblicken.

So werden auch alle andern Sinneswahrnehmungen durch gröbere und feinere Bewegungen vermittelt, welche die Enden unsrer Sinnesnerven treffen. Daß unser Tasten auf Bewegungen beruht, ist Jedem von selbst verständlich; daß das Hören durch regelmäßige wellenförmige Luftbewegungen veranlaßt wird, wurde schon erwähnt. Ganz ähnlich, wie die Lichteindrücke von den unendlich schnellen und kleinen Erzitterungen des feinen Lichtstoffes herrühren, scheint auch den Wärmeempfindungen die Erzitterung der Theilchen eines Wärmestoffes zu Grunde zu liegen. Kurz Alles, was in unsre Sinne kommt, ist Bewegung. Durch diese Bewegungen werden die Sinnesnerven erregt, welche Erregung, so innerlich und unmerklich sie auch ist, sich zuletzt doch auch auf eine feine Bewegung der kleinsten Nerventheilchen zurückführen läßt; diese feinen Nervenbewegungen sind es, welche endlich die Seele zur Empfindung des sinnlichen Eindrucks bringen. Wie der Schlag des Klöppels die Glocke erklingen, wie der Bogen die Saite ertönen macht, so nöthigt die Erregung der Nerven die Seele zur Empfindung, und wie der Ton der Saite von der Art des Bogenstriches abhängt, so auch die Empfindung der Seele von der Art der Nervenerregung. Es ist eine sehr verbreitete Ansicht, daß die Empfindung des Lichtes im Auge, die Empfindung des Schalles im Ohr sitze u. s. w. und der Sprachgebrauch begünstigt diesen Irrthum, da wir zu sagen pflegen: mein Auge erblickte, oder mein Ohr vernahm etwas. Ist man sich klar bewußt, daß jede Sinnesempfindung nie in einem Sinnesorgan, sondern stets in der Seele vor sich geht, so kann man wohl dem bildlichen Sprachgebrauche folgen; wer dies jedoch nicht bedacht hat, macht sich leicht eine ganz falsche Vorstellung von dem Verhältniß der Sinne zur Seele. Die Sinne können nicht empfinden, dies vermag nur die Seele. Auch darf man sich nicht, wie Einige thun, die Seele gleich einem luftigen Wesen den ganzen Körper durchdringend denken, so daß sie im Auge eben so gegenwärtig wäre, als im Hirn, man muß vielmehr einen Theil des Hirns als denjenigen denken, welcher allein in unmittelbarer Wechselbeziehung mit der Seele stehe; etwas Näheres über diesen Theil des Hirns, über seinen Sitz, seine Ausdehnung, oder ob er im Grunde nur ein Punkt im Hirn sei u. s. w. läßt sich freilich nach dem jetzigen Stande unsres Wissens noch nicht angeben. Daß aber die Seele nicht im Auge gegenwärtig sei und daß im Auge überhaupt keine Empfindung entstehen könne, beweisen Fälle von Blindheit, welche in Folge einer krankhaften Veränderung des sogenannten Sehnerven entstehen. Dieser Nerv ist ein Bündel feiner Nervenfasern, welche von der Nervenhaut des Auges durch den knöchernen Schädel ins Gehirn treten. Wird diese Nervenleitung an irgend einer Stelle ihres Verlaufes durch eine krankhafte Veränderung unterbrochen, so erfährt die Seele nichts mehr von den Lichteindrücken im Auge. Thiere, denen diese Nerven durchschnitten werden, sind auf der Stelle blind, obgleich ihre Augen ganz unverletzt geblieben. So ist also das Auge nichts Anders, als ein Apparat, in welchem die Lichtbewegungen in eine Nervenerregung umgesetzt werden; es ist ein Telegraphenbureau, wo unsre Außenwelt die Depeschen ausgibt, die sie unsrer Seele zu melden hat, und das Auge weiß von dem Inhalt der Depesche ebensowenig, als der elektrische Apparat des Telegraphisten, die Nerven wissen davon so wenig, wie die Telegraphendrähte, sie sind bewußtlose Werkzeuge, und nur der Seele erschließt sich der Sinn. Aus alledem ist klar, daß Licht und Farbe nur für die Seele da sind; daß es ohne bewußte Seelen gar kein Licht und keine Farbe auf der Welt gäbe, sondern nur Aetherschwingungen, die eben nur Schwingungen sind und kein Licht, keine Farben. Daher hat der Physiker eigentlich Unrecht, wenn er jene Schwingungen Licht nennt, und ihre besonderen Arten Farben.

Wenn Jemand mit dem Bogen die Saiten der Violine streicht, so haben nur die Saiten den Ton, nicht aber auch der Bogen; ebenso hat nur die Seele Farben, nicht auch der Lichtstoff, dessen Bewegung unserer Seele die Farben entlockt, wie der Bogen den Saiten die Töne. Freilich hängt der Ton mit vom Bogenstriche ab, sowie die Farbenempfindung von der Art der Lichtstoffbewegung; so wenig die kunstvolle Bogenführung einem plumpen Steine Töne entlockt, eben so wenig erregt die Lichtstoffbewegung in bewußtlosen Wesen eine Farbenempfindung. Licht ist also eine Seelenregung, welcher eine bestimmte Stoffbewegung außer uns entspricht; Farbe ist farbiges Licht, also auch eine bestimmte Art der Seelenregung. Dies ist die eigentliche Grundbedeutung des Wortes Farbe. Will man nun auch gewisse Arten der Lichtstoffschwingungen, welche gewissen Farben entsprechen, so nennen, so darf man dabei nie vergessen, daß dies nur im übertragenen Sinne geschehen kann. Dies wäre denn die zweite Bedeutung des Wortes Farbe, d. h. die physikalische Bedeutung. Dazu kommt noch eine dritte Bedeutung, die chemische. Wir unterscheiden farbige Dinge von gefärbten Dingen. Farbig sind diejenigen, welche eine ursprüngliche und durchgehende Farbe haben, gefärbt sind die, welche ihre Farbe durch Färben erhalten haben, sei es nun, daß dies Färben nur in einem vorübergehenden Verhalten! der Lichtstrahlen begründet sei, wie das Röthen der Abendwolken, sei es, daß wirklich ein Farbstoff übertragen worden ist. Solche Stoffe, welchen eine bestimmte Farbe eigenthümlich zukommt, welche man daher zum Färben anderer Stoffe benutzt, sind aber farbige Stoffe, Farbestoffe oder kurzweg Farben. Dies ist die dritte Hauptbedeutung des Wortes Farbe. Ich übergehe den bildlichen Gebrauch des Wortes, denn er kann nicht leicht zu Mißverständnissen führen. Dahin gehört es, daß man von der Farbe eines Tones, einer Empfindung etc. spricht. Jeder weiß, daß ein Ton ebenso wenig Farben haben kann, als eine Farbe Töne, und doch versteht Jeder, was damit gemeint ist. Denn man benutzt sehr allgemein die Bezeichnungen der Eindrücke des einen Sinns, um die eines andern näher zu charakterisiren.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_628.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)