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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

der reichlichen Bezahlung ihrer Demoiselles bekannt. Die Töchter anständiger Familien drängten sich dazu, in ihrem Geschäft zu arbeiten, oder das Putzmachen zu erlernen.

Die Arbeitsstube lag nach dem Hofe hinaus, damit die jungen Damen nicht durch Blicke aus dem Fenster oder durch Vorübergehende gestört würden. In dem großen, saalähnlichen Gemach arbeiteten an einem langen Tisch gewöhnlich zwölf bis fünfzehn Mädchen. Die Aufsicht führte eine arme Verwandte der Principalin, die hier schon manches Jahr den Scepter oder vielmehr die Zuschneidescheere führte. Indeß war sie nur dem Namen nach Directrice; in allen schwierigen Fällen zog sie sich in ein kleines Zimmer zurück, das von der Arbeitsstube weit entfernt lag, und erholte sich Raths bei einem alten Inventarium der Handlung, dem Niemand ansah, welche wichtige Stelle es hier bekleidete.

Das Gespräch verstummte selten an dem großen Arbeitstisch, und häufig erklang auch ein herzliches Gelächter. Die jungen Mädchen waren immer zum Scherzen aufgelegt, und Fräulein Therese, die Directrice, stimmte gern selber mit ein. Die Heiterste von Allen, Aline Munk, war seit einigen Wochen ungewöhnlich still und ernst und wurde deshalb oft geneckt.

Eines Vormittags fiel die Rede auf das, was Jede sich wünschte, und da kamen denn sehr verschiedene Dinge zum Vorschein, fast Alles, was Mädchen zu reizen pflegt, von dem Pariser Krepphut an, der eben copirt wurde, bis zur Staatscarosse mit vier Pferden und dem galonnirten Lakaien hintenauf; Eine wünschte sich eine Hütte und ein Herz, die Andere einen englischen Lord zum Gemahl, sei er noch so alt und unausstehlich, die Dritte begehrte gar Königin zu sein, aber nur die Königin der Bälle.

„Und Sie sagen gar nichts?“ fragte die Directrice Aline; sie selber hatte sich eben ein so blühendes und rentables Geschäft gewünscht, als das ihrer Principalin.

Aline schlug ihre großen, braunen Augen auf und versetzte lebhaft: „Ich möchte so reich sein, daß ich Unterricht im Deutschen und Französischen, im Zeichnen und der Musik und überhaupt in allem Wissenswürdigen nehmen könnte.“

Einige lachten, Andere waren verwundert über diese Idee, die ihnen Allen sehr fern lag. Ein kleines schnippisches Mädchen aber rief:

„O, das hat seinen Grund, und ich wette, daß ich diesen Grund kenne!“

Man bestürmte sie mit Fragen, während ein dunkles Roth auf Alinens Antlitz flammte.

„Nun, vis-à-vis von Fräulein Aline wohnt ein hübscher, junger Bauführer, der gewöhnlich im Fenster liegt, wenn ich sie Morgens oder Nachmittags abhole!“ antwortete Jene indiscret. „Er soll sehr musikalisch und gebildet sein; da ist es Wohl kein Wunder, wenn gewisse Leute es auch werden möchten!“

Aline leugnete, und das forderte die Glossen und Neckereien ihrer muntern Gefährtinnen noch mehr heraus. Sie machte daher gute Miene zum Spiel und behauptete, die junge Plaudererin hole sie nur deshalb immer ab, weil der Bauführer aus dem Fenster sehe. Dies brachte die Lacherinnen auf ihre Seite, und die Verrätherin wurde nun tüchtig aufgezogen.

Niemand hatte bemerkt, daß eine Person Zeuge der Scene gewesen, welche die Arbeitsstube selten betrat, wenn sie von ihren fröhlichen Inhaberinnen bevölkert war.

Als man ihre Anwesenheit bemerkte, verstummte das Gespräch zum Theil und viele Augen richteten sich neugierig auf diese mittelgroße Gestalt, die viel kleiner aussah, als sie wirklich war, weil der Oberkörper sich stark vorbeugte. Ein dunkles Kleid, so abgetragen und vielfach ausgebessert, daß es das ärmste der jungen Mädchen nicht angezogen hätte, umschloß die schlanke, hagere Figur. Keine Schleife, kein Kragen oder sonstiger Zierrath hob die dürftige Kleidung und eben so schmucklos war das äußerst spärliche, hellblonde Haar geordnet. Das Gesicht war gelblich bleich und die Abmagerung der früher gewiß vollen Wangen hatte manches Fältchen entstehen lassen. Dies Antlitz mochte einst ziemlich hübsch gewesen sein, das war indeß schon lange her. Die matten, bläulichgrauen Augen schauten trübe und glanzlos aus tiefen Höhlen, doch um den entfärbten Mund mit den schmerzvoll herabgezogenen Winkeln lag ein ruhiges, friedsames Lächeln als Beweis, daß stille Ergebung schon die Oberhand über den bittern Harm gewonnen, der hier, gewiß mehr als die Zeit, Lebenskraft und Wohlgestalt zerstört hatte.

Nachdem die still Eingetretene von der Directrice den verlangten Draht erhalten hatte, entfernte sie sich eben so still wieder. Die jüngern Putzmacherinnen schauten ihr nach und die jüngste Novize dieses Ordens, welche sich erst seit einigen Tagen in der Arbeitsstube befand, fragte neugierig, wer das sei.

„Wie, Sie kennen unsere älteste Arbeiterin nicht?“ versetzte Fräulein Therese. Auf weitere Fragen fuhr sie fort: „Ich kenne sie fast nicht genauer, als die Damen, welche schon einige Zeit bei uns arbeiten, denn ich bin ja erst seit sieben Jahren hier. Sie ist nicht mittheilsam und obgleich sie bei uns wohnt, lebt sie doch wie eine Einsiedlerin. Beim Mittagsessen spricht sie kaum ein Wort, geht niemals aus und trägt Sommer und Winter dieses braune Kleid, von dem ich nicht begreife, daß es so lange zusammenhält. Sie wird von der Familie „Cousine“ genannt, wahrscheinlich, weil ihre Schwester mit dem Stiefsohne der Madame Albrecht, dem Bergwerksdirector, verheirathet ist. Da sie sehr still und ungesellig ist, erlaubt ihr meine Tante, allein zu arbeiten. Dies ist Alles, was ich von ihr weiß, doch wird Allerlei von ihr gesprochen und vermuthet, und darüber können die meisten Damen hier bessere Auskunft geben, als ich. Was davon wahr ist oder falsch, mögen Sie selber herausfinden, ich habe dabei keine Stimme.“

Es kamen nun verschiedene Aeußerungen zu Tage und wurde Alles durchgesprochen, was seit Jahren über Emilie Röder im Schwunge war. Was am meisten Aufsehn erregte, war der Geiz der alten Putzmacherin. Die Principalin zahlte ihr natürlich einen anständigen Gehalt, sie ging immer so dürftig gekleidet, besuchte nie das Theater, hatte überhaupt keine Bedürfnisse, wie andere Menschen. Einige der Anwesenden erinnerten sich, theils aus ihrer Kindheit, theils wußten sie es von Andern, daß Emilie schon seit zwanzig Jahren bei Madame Albrecht war, just so lange, als diese ihre Modellsachen aus Paris bezog. Sie war damals ein blühendes Mädchen gewesen, hatte aber nie an den Vergnügungen der Jugend Theil genommen, sondern vom frühen Morgen bis in die späte Nacht rastlos gearbeitet, wie sie es auch jetzt noch that. Schon damals hatte sie nichts auf ihr Aeußeres verwendet, sondern ihr Geld erspart. Auch hatte sich in der Arbeitsstube von einer Generation der Arbeiterinnen auf die andere das Gerücht fortgepflanzt, daß die Putzmacherin einst einen Bräutigam gehabt. Es war indeß manches Jahr verstrichen, ehe er zu Brod gekommen, und dann war er, wie es hieß, über den Geiz der Braut so entrüstet gewesen, daß er mit ihr gebrochen hatte. Das fanden die frohherzigen Mädchen alle ganz natürlich von dem Mann, denn konnte man sich auch etwas Abscheulicheres denken, als jedem Vergnügen der Jugend und Geselligkeit zu entsagen und mit schnöder Habsucht Geld zusammen zu raffen? Eine der Putzmacherinnen, welche am längsten hier arbeitete, erinnerte sich noch ganz genau, daß kurz vor ihrem Eintritt in’s Geschäft Emilie von ihrer Principalin, die sie merkwürdiger Weise höchst ungern entließ, Abschied genommen hatte, um sich zu verheirathen. Nach kurzer Zeit war sie jedoch zurückgekehrt, bleich und angegriffen, und hatte dann an einem heftigen Fieber lange krank gelegen, wobei die Principalin für sie wie für ein eignes Kind gesorgt.

„Wie für ihr eignes Kind?“ fragte mit großer Ueberraschung Fräulein Malwina, die junge Dame, welche den Grund für Alinens Wißbegier angegeben hatte. „Ist sie denn noch so jung? Oder vielmehr, wie lange ist es denn schon her, seitdem die Hochzeit zu Wasser wurde?“

Die Erzählerin versicherte, sich dessen nicht mehr genau zu erinnern; die Meisten lachten darüber, weil sie wußten, daß Jene es stets vermied, Jahreszahlen zu nennen, nach denen man ihr eignes Alter berechnen konnte. Sie hatte niemals Lust, die Neugierigen über die ziemlich bedeutende Anzahl der Jahre aufzuklären, welche schon über ihren sorgfältig gewellten Scheitel dahingezogen waren. Uebrigens mochte seit ihrem Eintritt in’s Geschäft schon mancher Schnee gefallen und zerronnen sein, denn die verschmähte Braut war dem Anschein nach tief in den Vierzigen.

Die große Zurückgezogenheit und der Fleiß derselben hatten zu einem seltsamen Gerücht Anlaß gegeben, das durch plauderhafte Ladenmamsells oder Stubenmädchen unter’s Publicum gekommen und von neidischen Rivalinnen der Modistin bekräftigt sein mochte. Es hieß nämlich, die stille alte Putzmacherin fertige die Sachen selber, welche angeblich aus der Welthauptstadt der Moden verschrieben waren. Madame Albrecht und Fräulein Therese lächelten nur, wenn die Rede zufällig darauf kam. Und in der That war es ja auch lächerlich, und Jeder, der die stille, verkümmerte Emilie sah,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_630.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)