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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

einer Sorgfalt und Zärtlichkeit, wie eine Mutter ihr Kind, hielt Emilie auf ihrem Schooße den Haubenkopf und war ganz vertieft in die Aufgabe, einen Aufputz zu beginnen, der schon in seinen ersten Anfängen reizend zu werden versprach.

Aline unterdrückte einen Seufzer. Wie war es möglich, so stumpf, so prosaisch zu sein und nicht einmal eine Thräne für das vernichtete Glück, für das verlorene Leben zu haben! Aber es war gut, daß die Verlassene in ihrer Beschäftigung Genüge fand, und den Geiz, welchen Andere in ihr tadelten, entschuldigte Aline in ihrem Herzen. Mußte sie doch für ihr Alter sparen, für die Zeit, in welcher sie nicht mehr arbeiten konnte.

„Es schlägt drei Uhr!“ sagte jetzt Emilie. Das war für die junge Arbeiterin ein Wink, nach der Arbeitsstube zurückzukehren. Doch ehe sie die Schwelle erreicht, fragte Jene:

„Und hatte die kleine Schwätzerin Recht? War es ein Baumeister, der Sie wißbegierig machte?“

Aline erröthete stammend und stammelte: „Ein Baumeister – welcher Baumeister?“

„Ihr vis-à-vis!“

„Ach, der Bauführer – nein, der gewiß nicht!“ rief das Mädchen schnell und erleichtert.

„Der gewiß nicht!“ wiederholte die alte Putzmacherin leise, als Aline sich entfernt hatte. „Also ein Anderer.“

Aline war von Allem, was sie in dem kleinen Zimmer gedacht hatte, tief niedergedrückt, Ihre Gefährtinnen zogen sie mit ihrem Ernst, ihrer Schweigsamkeit ans und meinten, sie habe sich drinnen von der alten Jungfer, diesem Gespenst einer Putzmacherin, angesteckt. Die Neckereien wie das Gelächter der jungen Mädchen waren ihr in hohem Grade zuwider, und sie begriff die Abneigung der armen Emilie gegen die Geselligkeit; auch ihr würde jetzt Einsamkeit lieber gewesen sein.

Emilie war indeß nicht so ruhig, wie Aline geglaubt hatte. Als sie allein war, ruhete die sonst so fleißige Nadel, und lange starrte sie wie abwesend auf den schönen Rosenzweig in ihrer Hand, der den Aufsatz zieren sollte, welcher zum Geschenk für eine Braut bestimmt war. Dann stand sie auf und wühlte, um sich zu zerstreuen, in Tüll, Blonden und Spitzen, in Bändern, Blumen und Federn. Welche Masse von all diesen Gegenständen hatte sie schon verarbeitet zu hübschen, geschmackvollen Sachen und darin ihre Vergangenheit zu begraben gedacht! allein das war ihr nicht gelungen, wie sie jetzt wieder einsah. Die Erinnerung malte mit so lebendigen Farben, die vergessen geglaubte Jugend trat wieder vor ihren Geist, und mit all den freundlichen, lockenden Bildern war auch der tiefe Schmerz aufgefrischt, welcher einst ihre Seele zerrissen hatte.

Aber sie hatte nicht Zeit, ihren Erinnerungen und ihrem Weh nachzuhängen. Der Aufsatz war zum Abend bestellt, denn morgen fand die Hochzeit statt, er mußte also fertig werden. Und er wurde es auch und wurde so hübsch und zierlich, daß er allgemeine Bewunderung erregte, als man ihn am andern Tage statt des Myrthenkranzes auf das lockige Haar der glücklichen Neuvermählten setzte.

„Wie reizend – wie geschmackvoll – das mache einmal eine Deutsche nach – es geht doch nichts über die Pariser Eleganz! Die Hauptsache aber ist, wie duftig das Alles aussieht, wie hingehaucht, wie von Elfenhänden zusammengefügt!“ So hieß es hier und da, und Niemand ahnte, daß eine einfache, unscheinbare Deutsche die Verfertigerin dieses als Kunstwerk gepriesenen Häubchens war.

Gegen Abend setzte die Schöpferin manches Kopfschmuckes, der als Wunder von Schönheit gerühmt worden, einen vergilbten Strohhut auf, dessen altmodische Façon in Wahrheit haarsträubend war für jede Putzmacherin und was einer solchen verwandt ist. Der Sommermantel, vor einer Reihe von Jahren aus einem alten Camelotkleide fabricirt, war auch nichts weniger als elegant. Die Principalin hatte ihr oft hübsche Kleidungsstücke schenken wollen, allein sie hatte versichert, die ihrigen seien gut für sie, und sich lieber das Geld ausgebeten. Dieser Geiz hatte sie bei den Wenigen in Mißcredit gebracht, die sich durch ihre Einsylbigkeit und Ungeselligkeit nicht abhalten ließen, sie zu bedauern.

Sie ging zu dem Rector der Töchterschule, einem vielseitig gebildeten Mann, und sagte ihm, sie habe von einer Dame, die nicht genannt sein wolle, Auftrag, einem jungen Mädchen Privatunterricht geben zu lassen. Er erklärte sich dazu bereit und fragte, in welchen Gegenständen.

Die Putzmacherin war ein wenig verlegen, sagte dann aber einfach: „Ich kann Ihnen nicht nennen, was dem Mädchen zu wissen nöthig ist, denn ich verstehe selbst zu wenig von solchen Sachen. Prüfen Sie die Kenntnisse Ihrer Schülerin und bringen Sie ihr dann Alles bei, was Sie für angemessen hallen uns wozu ihre Fähigkeiten ausreichen!“

Am andern Mittag war Aline nicht wenig überrascht, als ihre Schwester ihr einen Brief einhändigte, der für sie abgegeben war. Ihr Staunen erreichte den höchsten Grad, denn fünf Zehnthalerscheine fielen aus dem Couvert, und auf einem Blättchen stand mit feiner, etwas kritzliger Handschrift: „Vorläufig zu Büchern und zur Entschädigung für die nöthige Zeitversäumniß. Der Rector Molkow ist bereit, Ihnen so viel Unterricht zu ertheilen, als Sie wollen.“

Das Mädchen eilte zum Rector, in der Hoffnung, Auskunft über die Senderin des Geldes zu erhalten. Allein dieser kannte den Namen der Dame nicht, war auch ersucht worden, über die Sache zu schweigen, und beschrieb daher nicht einmal das Aeußere der Person, welche mit ihm unterhandelt hatte. Er kannte die Putzmacherin nicht, und hielt sie für eine Kammerjungfer oder dergleichen.

Alinens Wunsch, etwas zu lernen, konnte nun in Erfüllung gehen, allein sie brannte vor Verlangen, zu wissen, wer sich so großmüthig erwiesen. Sie erinnerte sich genau, daß sie sich fast nur in der Arbeitsstube und gegen Emilie ausgesprochen hatte – sollte am Ende gar diese –? Aber das war unmöglich, man kannte sie ja allgemein als sehr genau und habsüchtig, wie sollte sie also für eine Unbekannte so viel Geld ausgeben?’ Ein anderer Gedanke zuckte durch des Mädchens Hirn, allein der war noch thörichter.

Nachmittags theilte sie der alten Putzmacherin sogleich mit, was ihr widerfahren war, und behielt sie dabei fest im Auge. Doch Emilie blieb unbefangen.

„Das ist ja recht schön,“ sagte sie dann mit einer Theilnahme, wie sie an dem stillen, bleichen Wesen selten wahrzunehmen war. „Was wollen Sie sich aber den Kopf zerbrechen? Denken Sie, ein Erdmännchen oder dergleichen habe Ihren Wunsch erfüllt. Ich will für Sie auch thun, was ich vermag, und unsere Principalin ersuchen, daß sie Ihnen noch eine Stunde nachläßt, damit Sie mehr Zeit haben.“

Aline war ganz niedergeschlagen, daß ihre Wohlthäterin so unbekannt bleiben sollte; gedankenlos ergriff sie ein Hutband, an welchem der Zettel steckte, worauf die Auslagen zu dem eben fertig gewordenen Hute verzeichnet waren. Es war dieselbe feine, etwas kritzlige Handschrift, wie auf dem Blättchen, womit das Geld begleitet gewesen.

„Fräulein – liebes Fräulein – da, ist das nicht von Ihnen geschrieben?“ rief Aline und wies ihr den Zettel, indem sie zugleich das anonyme Schreiben hervorzog.

Daran hatte die bescheidene Geberin nicht gedacht. Sie war unzufrieden, daß sie nun Dankergießungen aushalten sollte, die sie beschämten, allein Leugnen war jetzt unmöglich.

Aline weigerte sich lebhaft, das Geld anzunehmen; sie sei jünger, als Emilie, die das Ihrige selber brauche, und könne arbeiten, behauptete sie.

„Heute geht es hier ja ungewöhnlich laut zu!“ sagte scherzend der jüngste Sohn des Hauses, indem er die Thür öffnete und den Kopf neugierig hineinsteckte. Das hübsche Mädchen zog ihn näher. Er redete die alte Putzmacherin an und nannte sie Cousinchen, wie er und alle seine Geschwister das von Jugend auf gewöhnt waren.

Der Studiosus entfernte sich indeß bald, denn Cousine Emilie war so wortkarg und theilnahmlos, wie immer, und das junge Mädchen schien eben so einfältig als hübsch, denn es antwortete ihm fast gar nicht.

„Machen Sie sich kein unnützes Bedenken über die Annahme des Geldes,“ sagte Emilie nach dieser Unterbrechung. „Ich habe so viel und mehr, als ich verbrauchen werde in meinem Leben; die Meinigen sind so gestellt, daß mein Nachlaß ihnen nicht nöthig ist – sie sollen ihn also auch nicht haben. Ueberdies macht es mir die größte Freude, die ich noch erleben kann. Um Sie ganz zu beruhigen, will ich Ihnen etwas sagen, was ich noch keinem Menschen anvertraute. Ich selber habe schmerzlich erfahren, wie weh Mangel an geistiger Ausbildung thun kann; daher ist es das Hauptstreben meines Lebens, so viel zu erwerben, daß einige andere Mädchen vor meiner Erfahrung bewahrt bleiben können. Ich brauche für mich sehr wenig, habe also schon eine kleine Summe erspart.“


(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_632.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)