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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Eine verlassene Stätte.
Das alte Schloß Wittekind’s. – Des Sachsenherzogs letzte Tage. – Raub seiner Leiche. – Wittekind’s Freunde, die Sattelmeier. – Des Herzogs Grab. – Ein Sattelmeier in Schleswig-Holstein. – Die verlassene Stätte.

Zu den Orten, denen die Eisenbahn den vollständigen Todesstoß gegeben, gehört auch das in nordwestlicher Richtung von Herford liegende westphälische Landstädtchen Enger, das einst als große, stolze Stadt des mächtigen Sachsenherzogs Wittekind Burg umschloß und den ganzen weiten Gau der Angrivarier beherrschte.

Als noch die Posten und nicht die Dampfwagen jene Strecken Westphalens durchfuhren, hielt sich doch wenigstens mitunter ein durch Enger reisender Fremder an dem einstmals so berühmten Orte auf und besuchte die Kirche, die Wittekind’s Grabstätte ist; jetzt, wo die gerade Linie der Cöln-Mindener Eisenbahn die Gegend durchschneidet, fällt es nie mehr einem Reisenden ein, an der Zwischenstation Herford einen Haltpunkt zu machen, um sich nach dem etwas vom Wege ab befindlichen, einsam liegenden Städtchen zu begeben.

Wittekind’s Grabmal in der Kirche zu Enger.

Vor Zeiten fanden vielfach Wallfahrten zu Wittekind’s Grabe statt. Namentlich am Feste der heiligen drei Könige wurde die Stätte nicht leer von frommen Betern und inbrünstig Flehenden, denn man schrieb einem an seinem Grabe verrichteten Gebete wunderthätige Kraft zu und entfernte sich von der Stätte mit festem Vertrauen auf sichere Erhörung seiner Bitte.

Jetzt ist es schon lange her, daß jene Wallfahrten nicht mehr Gebrauch sind, und vergessen, wie so Vieles auf Erden, über das Jahrhunderte dahin gezogen, ist auch jene alte Sitte. Noch bis auf heutigen Tag wird aber am Dreikönigsfeste Mittags von zwölf bis ein Uhr zu Ehren Wittekind’s in der Kirche zu Enger geläutet; doch der Ton und Schall des Glöckchens, der am sechsten Januar durch das einst so berühmte Angerthal erklingt, er ruft in jener einsamen, verödeten Gegend Westphalens nur hier und da bei Einzelnen eine flüchtige Erinnerung an die fernen Zeiten wach, wo des alten Sachsen-Herzogs starke, feste Burg sich stolz und kühn im Angergau erhoben und dieser tapfere Kriegsheld, nachdem endlich Frieden im Lande herrschte, dort in Enger, im Kreise treuer Freunde und wackerer Waffengefährten, von den Mühen und Drangsalen seines reichen und vielbewegten Lebens ausruhte.

Kirche und Thurm zu Enger.

Daß gerade das Angerthal den Vorzug erhalten, Wittekind’s Burg auf seinem Boden erstehen zu sehen, und es ihm gelang, den mächtigen König (die Volkssage bezeichnet Wittekind stets als König) an dieser Stelle des westphälischen Landes zu fesseln, hatte seinen Grund einzig in einer List des Baumeisters, der die Kirche zu Enger aufgeführt.

Nachdem nämlich Wittekind, nach seiner Bekehrung zum Christenthume, von Karl dem Großen mit dem Herzogthume von Westphalen und Enger belehnt worden und der Friede im Lande hergestellt war, beschloß er, sich in dem ihm verliehenen erblichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_633.jpg&oldid=- (Version vom 20.10.2023)