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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 45. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Nur eine Putzmacherin.
Eine stille Geschichte.
(Fortsetzung.)

„Wozu soll ich mein Capital bis zu meinem Tode brach liegen lassen?“ fuhr Emilie nach einer Pause fort. „Ist es nicht besser, daß ich es noch zu meinen Lebzeiten Zinsen tragen sehe? Auch mache ich Bedingungen.“

„Welche?“ fragte Aline lebhaft.

„Sie dürfen nie von dem Gelde sprechen und auch nicht von dem, was ich Ihnen sagte. Ich liebe es nicht, alte Geschichten aufzurühren, denn ich bin körperlich zu schwach, um das öftere Gedenken an die Vergangenheit zu ertragen; auch stört mich das ja in meiner Arbeit. Dann müssen Sie Alles ohne Widerrede annehmen, was ich für Sie thun kann. Dafür sind Sie mir keinen Dank schuldig, nur den Vorsatz, Andere zu unterstützen, wenn Sie es einst im Stande sind – wenn nicht, dann fällt diese Verpflichtung natürlich weg, und wir sind quitt.“

So lange hatte sie gewiß seit Jahren nicht geredet, auch nicht in so leichtem, heiterem Tone; sie wollte dadurch dem jungen Mädchen die Annahme der Unterstützung weniger drückend machen und das Ganze in einen Scherz verwandeln.

Aline war indeß zu tief ergriffen, nicht nur von dieser Großmuth gegen sie, sondern auch von dem Blick, welchen sie in das Innere des armen Mädchens that, welches bei seinem Leid auch noch Verkennung ertrug. Sie empfand innige Theilnahme für Emilie und wünschte heiß, daß sie etwas für sie thun könnte. Ihre Bewegung war zu lebhaft, um ihr Worte zu gestatten, aber indem ihre Thränen wann auf die bleiche Hand flössen, welche sie an ihre glühenden Lippen preßte, gelobte sie sich, töchterlich für die Einsame zu sorgen, wenn sie einst der Pflege bedürftig sei.

Emilie schien in ihren Gedanken zu lesen, und einen Augenblick neigte sich ihre hagere, verkümmerte Gestalt zärtlich über die vollen Formen der jugendlichen Gesellschafterin. Ihre Stimme zitterte, und ein Anflug von Röthe überhauchte ihr Gesicht, als sie leise sagte:

„Ich habe kein Kind, und Sie haben keine Mutter – lassen Sie mich die Stelle Ihrer lieben Verstorbenen vertreten.“

Nach wenig Augenblicken fügte sie indeß gefaßt hinzu: „Doch jetzt wollen wir fleißig sein – auch kommt da Jemand.“

Therese trat ein, und Aline beugte ihr Gesicht tief über ihre Arbeit.

Von jetzt ab arbeitete sie Nachmittags immer bei ihrer neuen Freundin, und diese schickte sie gewöhnlich schon um vier Uhr nach Hause. Auf die Einwendungen des jungen Mädchens antwortete sie lächelnd: „Gehen Sie nur, Sie müssen ja fleißig sein. Für die vier Thaler, welche Sie monatlich bekommen, arbeiten Sie genug, und ich will schon verantworten, was ich thue; Madame Albrecht wendet gegen meine Anordnungen nie etwas ein!“

Das geschah in der That niemals, und Jeder wunderte sich über die Rücksicht, welche die Prinzipalin für ihre Demoiselle hatte. Der Studiosus begriff das nun vollends nicht, und es machte ihm Vergnügen, die alte Schachtel, wie er sie nannte, etwas burschikos aufzuziehen, wenn er ihrer ansichtig wurde. Emilie schien es nie zu bemerken, wenigstens achtete sie nicht darauf; überhaupt interessirte sie anscheinend nichts so lebhaft, als die Façon eines Hutes, oder das Modell einer Haube. Der Putzhändlerin gefielen indeß diese Neckereien nicht, und sie verwies sie einst dem Uebermüthigen ungewöhnlich ernst.

„Aber Mutter, in welchem Verhältniß stehst Du nur zu diesem alten Haubenstock!“ sagte er scherzend. „Sie scheint eine verwünschte Prinzessin zu sein, und wenn das ist, so will ich ihr alle mögliche Ehrfurcht erweisen – will sie sogar erlösen, wenn ich vermag. Mit natürlichen Dingen kann es überhaupt nicht zugehen, daß ein Menschenkind so versessen in Putzsachen ist, wie sie, und wenigstens mußt Du zugeben, es ist entsetzlich langweilig, mit diesem stummen, gespensterhaften Wesen umzugehen und mir nicht zu verdenken, wenn ich schlechte Witze mache, nur um ihr altes gefaltetes Gesicht zu vergessen.“

„Nun, so gewaltig alt ist sie nicht – ich bin wenigstens fünfzehn Jahre älter!“ sagte Madame Albrecht.

Ihre Söhne, denn auch der Baumeister war anwesend, schauten sie überrascht an. Sie war im Anfange der Fünfzig, blühend und etwas stark; in dem reichen, geschmackvollen Anzüge konnte sie für eine sehr gut conservirte Frau gelten. Wie alt, fast greisenhaft, sah Emilie neben ihr aus, und sie sollte fünfzehn Jahre jünger sein?

„Kummer und noch viel mehr anhaltende, unausgesetzte Arbeit hatten sie vorzeitig gealtert!“ sprach Madame Albrecht ernst weiter. „Allein, das gibt Niemand ein Recht, über sie zu spotten und am wenigsten einem meiner Kinder. Ohne sie wäre ich arm geblieben, nur ihren fleißigen, geschickten Händen verdanke ich es, daß ich meinen Kindern eine anständige Erziehung geben konnte, daß ich selber eine geachtete Stellung einnehme und wohlhabend bin. Ihr wundert Euch? Und doch ist dies buchstäblich wahr. Ihr wisset, daß ich nach dem frühen Tode Eures Vaters unser Galanteriegeschäft aufgab, das immer ziemlich schlecht gegangen war, und ein Putzgeschäft anfing. Dieses hatte auch keinen besondern Fortgang,

denn ich bin kein Putzmachergenie, und bei den Directricen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_645.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)