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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Ihre Leute sehen wie Ferkel aus, die sich soeben aus der Streu eines unsauberen Stalles herausgewühlt haben. Wär’ ich Euer Oberst, ich ließ Euch mit Ziegelmehl scheuern und mit einer Striegel das Haar glatt kämmen. Lassen Sie die westphälischen Schinkenfresser forttreten, sonst kriegen sie Maden, wenn sie die Sonne bescheint.“

Als wir uns außerhalb der Festungswerke befanden, hielt der Oberst sein Pferd an und verlangte nach seiner Tabakspfeife, die sammt der Frühstückstasche der Obhut der Ordonnanz anvertraut war. Der Kanonier überreichte die bereits gefüllte Pfeife dem Alten und beeilte sich Feuer anzuschlagen.

Als er ihm den glimmenden Schwamm reichte, sagte der Alte mit der ganzen Gutmüthigkeit, zu welcher er seine gewaltige Baßstimme moduliren konnte: „Na, so ist es recht. Ein tüchtiger Kanonier muß immer Feuer haben; Feuer im Herzen, Feuer in jeder Bewegung und endlich auch Feuer in der Tasche, um sich, wenn es der Dienst erlaubt, den Glimmstengel anzünden zu können.“

Und indem er die ersten Züge aus seiner Pfeife in dichten Wolken mit Wohlgefallen und sichtbarem Behagen in die klare Morgenluft blies, fuhr er fort: „Ein Soldat, der nicht Tabak raucht, kommt mir wie ein Hund ohne Schwanz vor. Sind Sie nicht auch der Meinung, Herr Lieutenant?“

„Ich bedauere, Ihnen nicht ganz beistimmen zu können,“ entgegnete der Adjutant, indem er sich eine Cigarre anbrannte. „Der österreichische Artillerist darf bekanntlich nicht rauchen, ich habe aber nicht gehört, daß er dadurch an seiner Tüchtigkeit oder militairischen Würde Abbruch erleidet.“

„Na, bleiben Sie mir mit den Herren Holters aus dem Tornister,“ erwiderte der Alte lachend. „An Pedanterie und Kleinigkeitskrämerei sind uns dieselben weit voraus, sonst aber habe ich von ihnen nicht viel Erhebliches gesehen.“

Sein Pferd wieder in Bewegung setzend, fuhr er fort: „Da muß ich Ihnen doch eine Geschichte erzählen, die für das, was ich gesagt habe, bezeichnend genug ist.“

Darauf theilte er uns eine Geschichte aus dem Kriegsjahre 1814 mit, die allerdings sehr komisch war und nicht sehr zu Gunsten der österreichischen Artillerie sprach, die aber hier besser unerzählt bleibt. Sie dauerte ziemlich lange, und der Alte hatte sich durch diese Mittheilung aus seinen Erlebnissen, in eine Gemüthlichkeit hineingeredet, welche die Derbheit seiner Züge fast ganz auflöste und die Güte seiner innersten Natur erkennen ließ. Er erzählte viele Schnurren aus seinem vielbewegten Leben, die ihn immer liebenswürdiger erscheinen ließen und außerordentlich unterhaltend waren. Die Zeit war dabei wunderbar schnell vergangen. Die bedeutendste Strecke des öden staubigen Weges hatten wir hinter uns und wir traten bereits in den Schatten des dichten Fichtenwaldes, der den Schießplatz in nicht zu großer Tiefe von allen Seiten umgibt. Der Alte klopfte schon die Pfeife aus und gab sie an die Ordonnanz; nur noch einige Minuten, und wir mußten auf dem Platze sein.

Da schallte uns plötzlich von einem Fußwege, welcher aus dem hohen Holze kam und an der Stelle, wo wir uns gerade befanden, die Chaussee kreuzte, eine kräftige, angenehme Männerstimme entgegen, die das Reiterlied aus Wallensteins Lager meisterhaft vortrug. Der Alte schien angenehm überrascht zu sein. Er hielt sein Pferd an und lauschte mit sichtbarem Vergnügen den wohlklingenden Tönen, die sich melodisch über das dichte Blätterdach der alten Föhren erhoben. Der fröhliche Sänger, der von unserer Gegenwart noch keine Wissenschaft zu haben schien, kam uns mit jeder Minute näher und mußte in der kürzesten Zeit gerade vor dem Platze, an welchem wir hielten, die Chaussee betreten.

Es währte auch nicht lange, so tauchte aus dem dichten Unterholze, welches den Fußweg zu beiden Seiten einfaßte, ein umfangreicher, rother Regenschirm empor. Der Kopf des Sängers ließ sich noch nicht wahrnehmen, weil denselben der Schirm verbarg, mit welchem sich der Mann gegen die schon empfindlichen Strahlen der Sonne zu schützen suchte. Aber ich erkannte mit Entsetzen, daß der Besonnenschirmte die Uniform der Brigade trug, und konnte mir sofort die Scene vergegenwärtigen, welche erfolgen mußte, wenn der Oberst einen Kanonier seiner Brigade in einem so durchaus dienstwidrigen Aufzuge erblickte. Doch uns waren noch weitere Ueberraschungen vorbehalten. Noch immer singend, hatte der Harmlose bereits die Chaussee erreicht, ohne uns zu bemerken. Da donnerte ihm plötzlich ein „Halt“ des Obersten entgegen, welches mit so zornigem Gebrüll ausgestoßen wurde, als käme es aus der Kehle eines Löwen. Dem Kanonier entfiel das unglückliche Sonnen-Parapluie, er brach beinahe zusammen und konnte sich nur zitternd aufrecht erhalten. Er stand unmittelbar vor dem Pferde des Brigadiers und stierte uns mit Entsetzen und Grauen wie gespensterhafte Erscheinungen an.

Aber auch wir, und vor Allem der Oberst, sahen mit maßlosem Erstaunen auf den Kanonier hin. Es war kein gewöhnlicher Anblick, den derselbe darbot. Die Gestalt, die gebannt durch das zornsprühende Auge des Alten bewegungslos vor uns stand, war eckig und klein. Der ungemein große Kopf schien unmittelbar auf den Schultern zu sitzen und war bis zu den Ohren von Vatermördern eingerahmt, die handhoch über den Kragen der sehr abgetragenen Dienstuniform hervorragten. Den kurzen Hals umschlang mehrfach ein weißes Tuch, dessen gestickte Zipfel prahlend im Winde flatterten. Der Kragen und die drei obersten Knöpfe der Uniform waren gelöst und ließen eine rothe Plüschweste bemerken, auf welcher sich ein großer Blumenstrauß wiegte, den der Fuchs des Alten sehr begehrlich beroch. Unter der Uniform ragte die Weste fußlang hervor, aus deren Tasche eine Uhrkette von vierfachen Stahlringen in prahlerischen Windungen über den kugelrunden Bauch hing. Die überaus dünnen und sehr krummen Beine waren mit engen Pantalons von englischem Leder bekleidet, auf dem stark behaarten Scheitel prangte eine mit dem verpönten Sammetstreifen geschmückte schirmlose Mütze, die keck auf einem Ohre saß. Die Hände waren mit schwarzen Handschuhen bekleidet und an den Stiefeln mit auffallend hohen Absätzen glänzten lange neusilberne Sporen. In der rechten Hand trug er den schon bezeichneten Regenschirm, in der linken eine kostbare Pfeife mit langem Weichselrohr und dicken Quasten von Glasperlen.

Der Oberst, der noch in jüngster Zeit geschärfte Befehle gegen das Tragen eigener Uniformstücke erlassen hatte, schien zuerst die maßlose Frechheit, mit welcher hier das „Kleid des Königs“ durch den seltsamsten Aufputz verunstaltet war, gar nicht begreifen zu können. Er starrte diese beißende Carricatur auf die ganze Artillerie mit Ungewissen zweifelnden Blicken an und rief mehrmals: „Ein Chinese, ein leibhafter Chinese!“

Doch bald schien die Sache ernsthafter werden zu wollen. Der Alte hob sich mit ungewöhnlicher Elasticität aus dem Sattel und warf sich auf den armen Kanonier. Er packte ihn mit der linken Hand am rechten Ohre, begrub die rechte in die Falten des weißen Halstuches, drehte dies um seine Finger und schob den Gewürgten einige Minuten mit unwiderstehlicher Kraft hin und her, wobei er unarticulirte Laute der höchsten Erregung ausstieß.

Endlich fand er Worte. „Verfluchter Chinese,“ rief er zornbebend, „Cousin des Mondes und der Sonne, ekelhafter Ratten- und Spinnenverzehrer, wie heißt Du, und wie kommst Du in die Uniform meiner Brigade?“

Der Kanonier konnte nicht antworten, weil ihm die Eisenfaust des Alten die Kehle zuwürgte.

„Antworte!“ schrie dieser, „oder ich reiße Dir die funfzigpfündige Bombe, die Dir als Kopf auf Deinen Krötenrumpf gestellt ist, von den Schultern, so wahr ich T. heiße.“

„Wenn der Mann antworten soll, so werden Sie wohl erst seinen Hals freigeben müssen,“ bemerkte der Adjutant, der vom Pferde gestiegen und der Gruppe näher getreten war.

Der Oberst machte seine Finger aus dem Halstuche frei, gab dem Kanonier einen Stoß, daß er zehn Schritte rückwärts taumelte und dann wie ein Klotz auf die Chaussee niederschlug. Er raffte sich aber schnell wieder auf und machte eine Bewegung, als wenn er fliehen wollte. Der Oberst bemerkte dies, riß den Säbel aus der Scheide und rief: „Kerl, steh’, oder ich spalte Dir Deinen Kürbiskopf mit einem Hiebe!“

Der Adjutant, der das Schlimmste befürchten mochte, sprang auf den Kanonier zu, und indem er ihn beim Kragen faßte, als ob er seine Flucht verhindern wollte, flüsterte er ihm zu: „Mensch, Du bist verloren, wenn Du Furcht zeigst. Melde Dich, als wenn nichts vorgefallen wäre, bei dem Herrn Oberst.“

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_656.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)