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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

auch gegen Goethe gerichtet waren. „Goethe,“ so hieß es z. B. in einem von Archenholz geschriebenen Artikel in der Minerva (Jahrg. 1805, S. 548), „Goethe war der vieljährige vertraute Freund Schiller’s, er war Minister in Weimar, und that nichts zur Verherrlichung von Schiller’s Todtenfeier!“ Man beschuldigte ihn der Theilnahmlosigkeit, des kalten Egoismus. Goethe aber, als man ihm zwei Tage nach Schiller’s Tode die Trauerkunde nicht mehr verheimlichen konnte, verschloß sich in sein Zimmer, vergoß heiße Thränen und klagte, daß ihm die Hälfte seines Daseins entrissen sei.

„Die Selbstsucht sollt’ aus härtrem Stoff bestehen!“

Später äußerte sich Goethe mit wehmüthiger Befriedigung darüber, daß man, dem Willen der Frau von Schiller gemäß, den Freund still und einfach zur Ruhe getragen hatte. „Unangemeldet und ohne Aufsehen zu machen, kam er nach Weimar,“ sagte Goethe, „und ohne Aufsehen zu machen, ist er auch wieder von hinnen gegangen. Die Paraden im Tode sind es nicht, was ich liebe.“

Die sogenannte Collecte, die kirchliche Todtenfeier für Schiller, wurde am folgenden Tage Nachmittags drei Uhr gehalten. Die Nr. 39 des Weimarischen Wochenblattes vom Jahre 1805 bringt darüber folgende officielle Notiz:

Beerdigte bei der Stadtgemeinde.

„Den 12. Mai, des Nachts 1 Uhr, wurde der in seinem 46. Lebensjahre verstorbene Hochwohlgeborene Herr, Herr Dr. Carl (irrig statt Johann Christoph) Friedrich von Schiller, Fürstl. S. Meiningscher Hofrath, mit der ganzen Schule erster Classe, in das Landschaftscassen-Leichengewölbe beigesetzt und Nachmittags 3 Uhr des Vollendeten Todesfeier mit einer Trauerrede von Seiner Hochwürden Magnificenz, dem Herrn Generalsuperintendent Vogt in der St. Jacobskirche begangen, und von Fürstl. Kapelle vor und nach der Rede eine Trauermusik aus Mozart’s Requiem aufgeführt.“

Diese Collecte fand in sehr ergreifender Weise und unter allgemeiner Theilnahme statt, die geräumige Kirche vermochte die Menge der Zuhörer bei weitem nicht zu fassen, sodaß der größte Theil derselben vor den Eingangsthüren dicht gedrängt stand.

Durch jene Beerdigungsanzeige des Weimarischen Wochenblattes wurde Hoffmeister in seinem bekannten Werke über Schiller veranlaßt, zu sagen:

„Alle Schüler der ersten Classe des Gymnasiums gingen dem Sarge voran,“

wobei er sich auf jenen Artikel des Wochenblatts bezieht. Zu diesem Irrthum wurde er veranlaßt durch den Ausdruck „mit der ganzen Schule erster Classe,“ womit man in Weimar, wie in vielen andern Orten, eine der Abstufungen in der Art der kirchlichen Beerdigungsfeier und in den dafür zu entrichtenden kirchlichen Gebühren bezeichnete.



II.

Der Consistorialrath Günther hatte pflichtgemäß dafür gesorgt, daß Schiller auch „standesgemäß“ beerdigt wurde. Schiller war nicht in die Reihe der gewöhnlichen, bürgerlichen Todten gekommen; über seinem Grabe erhob sich kein mit freundlichem Grün und Blumen geschmückter Hügel, sondern ein kleines, düsteres Gebäude stand über der Gruft, in welcher der edle Dichter in Gemeinschaft mit 22 vornehmen, meist adligen Todten, den ewigen Schlaf schlief. Da lagen sie untereinander, die Gebeine von Excellenzen, Geheimräthen, Kammerherren und Hofdamen bis herab zu den Hofräthen, untermischt mit den Trümmern zerfallener Särge. Da lagen sie Alle, meist vergessen und verschollen, und nur der unsterbliche Name Schiller schwebte wie ein Stern über dem kleinen, finsteren Hause. Dieses Haus mit dem darunter befindlichen Grabgewölbe war Eigenthum der sogenannten Landschaftscasse und hieß daher das Cassengewölbe. Es war nur wenige Fuß lang, breit und hoch, von Stein erbaut und mit einem spitz zulaufenden kleinen Schieferdach bedeckt. Der einzige darin befindliche kleine Raum hatte keine Fenster und erhielt seine düstere Beleuchtung nur durch die in der oberen Hälfte aus Eisengittern bestehende Thüre. Der Boden war mit Steinen gepflastert, und in der Mitte befand sich eine große Fallthüre, durch welche die Särge an Seilen hinab in die Gruft gelassen wurden. Auf einer bis zu dieser Fallthüre reichenden alten Leiter konnte man hinab in die von Moder und Verwesung erfüllte Gruft steigen.

Dieses Gewölbe wurde zur Beisetzung von Leichen aus den höheren Ständen, deren Familien kein besonderes Erbbegräbniß besaßen, benutzt. Für jeden solchen Fall war ein schriftlicher Erlaubnißschein des Landschaftscollegiums nöthig, der zwar gratis gegeben wurde, aber für welchen man den ihn ausstellenden Secretair mit zwei, drei Speciesthalern, auch mit einem Louisd’or zu honoriren pflegte. Ueber die im Cassengewölbe beigesetzten Leichen wurde in den Acten des Landschaftscollegiums ein sorgfältiges Register geführt, ein Umstand, der sich später bei der Aufsuchung der Gebeine Schiller’s als sehr wichtig herausstellte.

Wie im Leben die vornehme Welt von der Etiquette vielfach geplagt und beengt wird, so waren auch hier in den Räumen des Todes die im Cassengewölbe beigesetzten vornehmen Todten viel weniger gut daran, als die Schläfer, die draußen unter Gras und Blumen jeder sein eigenes Bett hatten. Im Cassengewölbe herrschte ein gräuliches Durcheinander. Die kleine Gruft faßte nur zwanzig bis fünfundzwanzig ihrer stillen Gäste. Die Särge wurden durch die Fallthüre hinabgelassen, oft ohne daß erst der Raum unten freigemacht worden wäre. So kamen Särge auf Särge zu stehen; durch den Moder und durch das drückende Gewicht der oberen Särge brachen die unteren auseinander, und ihre Trümmer lagen mit den herausgefallenen Gebeinen, mit Resten von Leichenkleidern vermengt. Die Verwesung ging in diesem Gewölbe sehr rasch vor sich, da die Feuchtigkeit bei der abhängigen Lage des Ortes ungehinderten Zutritt hatte. Wenn nun der Raum da unten gefüllt war, was etwa alle dreißig bis vierzig Jahre eintrat, so ordnete das Landschaftscollegium an, daß das Cassengewölbe „aufgeräumt“ werden sollte. Dann wurde in einem Winkel des Kirchhofes eine Grube gegraben, die Gebeine und Sargreste in der Gruft wurden herausgeschaufelt, nach jener Grube transportirt und da wieder mit Erde bedeckt, und damit waren die letzten körperlichen Spuren von dem einstigen Dasein der im Cassengewölbe „standesgemäß“ Beigesetzten für immer verwischt.

Ein und zwanzig Jahre waren seit Schiller’s Beerdigung dahingegangen Es war im März 1826, als mein Vater, der seit sechs Jahren Bürgermeister von Weimar war, vernahm, daß ganz in Kurzem eine Aufräumung in der Todtengruft des Cassengewölbes vorgenommen werden solle, wozu bereits der Befehl vom Landschaftscollegium ertheilt worden sei. Da fiel es ihm schwer auf’s Herz, daß durch diese Aufräumung auch Schiller’s Gebeine spurlos und für alle Zeiten verloren gehen würden. Dies zu verhüten, begab er sich sofort zu dem Präsidenten des Landschaftscollegiums, Weyland, von dem er sich den Zutritt zum Cassengewölbe auswirkte, um darin Nachsuchungen nach Schiller’s Sarg anzustellen. Er sprach dabei seine Absicht aus, die Beisetzung der irdischen Ueberreste Schiller’s in einem auf dem seit acht Jahren angelegten neuen Gottesacker zu errichtenden Grabmonumente zu beantragen. Weyland gab gern seine Einwilligung und beauftragte zwei seiner Subalternen das Cassengewölbe für meinen Vater und diejenigen Personen, welche dieser zuziehen würde, zu öffnen.

Es fanden nun jene Nachforschungen nach Schiller’s Gebeinen statt, welche mit Eifer und Begeisterung begonnen, bald ihrer anscheinend völligen Hoffnungslosigkeit wegen wieder aufgegeben, dann aber wieder aufgenommen und endlich mit dem glücklichsten Erfolge gekrönt wurden.

Auf die Einladung meines Vaters fanden sich mit ihm sein Bruder, der Leibarzt Dr. Schwabe, der Oberbaudirector Coudray und der Kanzlist Rudolph, welcher letztere Schiller’s Bedienter in dessen letzten Lebensjahren gewesen war, nebst dem vom Landescollegium bestellten Inhaber des Schlüssels, Registrator Stötzer, am 13. März 1826 auf dem Kirchhof beim Cassengewölbe ein.

Bevor man in die Gruft hinabstieg, versicherten Rudolph und Stötzer, der Schiller’sche Sarg müsse einer der längsten unter den im Gewölbe befindlichen sein. Sodann wurde aus den mit zur Stelle gebrachten Landschaftscollegial-Acten „über Beisetzung von Leichen im Cassengewölbe“ das Verzeichniß derjenigen Personen vorgelesen, deren Leichen kurz vor und kurz nach Schiller beigesetzt worden waren.

Die Hoffnung, sich auf diese Weise die Nachforschung zu erleichtern, wurde sehr durch die Bemerkung des mit anwesenden Todtengräbers Bilke geschwächt, nach welcher die Särge keineswegs mehr in der Ordnung, in welcher sie beigesetzt waren, standen; namentlich waren sie bei den letzten Beisetzungen sehr durcheinander gestellt worden.

Man stieg nun mit einigen Laternen auf der vorhandenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_671.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)