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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

auch stand sie nicht von ihrem Sitze auf, um ihn zu begleiten, wie es sonst Brauch in diesem Hause war.

Fünf und zwanzig Jahre war sie in ihrer Ehe mit dem Hofrath glücklich gewesen, kein Wölkchen hatte den Himmel ihrer Häuslichkeit getrübt. Bei einem mäßigen Einkommen wußte sie ihr Familienleben reizend zu gestalten, sich und ihm das Haus so angenehm zu machen, daß Beide nur selten daran dachten, außerhalb eine Zerstreuung zu suchen. Die beiden Kinder, eine reizende Tochter und ein talentvoller Sohn, der in Kurzem sein Doctor-Examen ablegen sollte, verursachten ihnen die größte Freude und brachten durch ihre jugendliche Heiterkeit eine fröhliche Abwechslung in ihr stilles Dasein. Als die Kinder heranwuchsen, erweiterte sich auch der beschränkte Kreis; es kamen Freunde des Sohnes, Bewerber um die Hand der Tochter und damit eine neue Geselligkeit; man las, musicirte und spielte allerlei unschuldige Spiele, vergnügt bei einer Tasse Thee und einem frugalen Abendbrod. Wenn der Hofrath seine Arbeiten beendet und die Acten bei Seite gelegt hatte, nahm er an der Unterhaltung der jungen Leute Theil und scherzte um die Wette mit ihnen. Nirgends amüsirte man sich besser, als hier, und wenn man in der Stadt eine glückliche Familie nannte, so war es sicher das Steinert’sche Haus.

Allmählich und fast unmerklich hatte sich das geändert, seit einem halben Jahre ungefähr war die schöne Harmonie gestört, nicht für die Welt, die meist nur nach dem äußeren Scheine urtheilt, aber wohl für das schärfer blickende Auge der Hausfrau. Auf wiederholtes Drängen eines alten Freundes war der Hofrath Mitglied einer der vielen Ressourcen geworden, wo sich höhere Beamte und meist wohlhabende Kaufleute einfanden, um von den Geschäften des Tages sich zu erholen.

„Du lebst,“ sagte der wohlmeinende Freund, „wie ein Einsiedler in Deinem Hause und erfährst nicht, wie es in der Welt zugeht. In der Ressource findest Du Unterhaltung und Zerstreuung, alte Bekannte, mit denen man sich ausspricht, Männer von Bildung und Einfluß, die Dir später einmal nützen können. Du trittst dort Deinen Vorgesetzten näher, als auf Deinem Bureau, und ein einziger Augenblick, ein vertrauliches Wort zu rechter Zeit kann Dich weiter bringen, als Jahre langes Sitzen über Deinen Acten. Mancher hat schon sein Glück einer Whistpartie zu danken und durch feines Spiel die Protection eines hohen Gönners gewonnen. Bei Deiner jetzigen Lebensweise kannst Du nie vorwärts kommen; denn man muß sich der Welt zeigen, wenn man von ihr Etwas haben will. Bei Deiner Zurückgezogenheit kommt nicht viel heraus; versuche es daher einmal auf andere Weise.“

Diese Auseinandersetzung leuchtete dem Hofrath vollkommen ein; im Grunde genommen halte er selbst im Stillen zuweilen es schon empfunden, daß er doch ein gar zu beschränktes Familienleben führe und sich von der Oeffentlichkeit mehr zurückziehe, als es schicklich und vernünftig sei. Freilich waren diese Gedanken nur vorübergehend: er hatte sie bald wieder aufgegeben, da er sich bis jetzt innerhalb seiner vier Pfähle am wohlsten fühlte. Aber Zureden hilft und die wiederholten Aufforderungen des alten Freundes weckten von Neuem das frühere verlangen, bis er endlich den Entschluß faßte, der ihm vorgeschlagenen Ressource als Mitglied beizutreten. Es kostete ihm allerdings einige Ueberwindung, seine Frau mit diesem Vorhaben bekannt zu machen; er fürchtete nicht ihren Widerspruch, aber doch ihr damit weh zu thun, da bis jetzt ihre Unterhaltungen und Vergnügen stets gemeinschaftlich gewesen waren. Gegen seine Erwartung nahm sie seine Nachricht freundlich und gelassen auf.

„Du hast Recht,“ sagte sie beipflichtend. „Ein Mann muß zuweilen auch in die Welt gehen. Ich kann es Dir nicht verdenken, wenn Du mitunter ein Stündchen auf der Ressource zubringst, die Zeitungen liest und mit vernünftigen Leuten ein unterhaltendes Gespräch führst. Nur wünsche ich nicht, daß Du, wie so viele Männer, daraus eine Gewohnheit machst, den ganzen Abend und bis spät in die Nacht dort verweilst und darüber Deine Häuslichkeit aufgibst.“

„Das hast Du von mir nicht zu fürchten. Du weißt, daß ich am liebsten bei Dir und den Kindern bin. Auch in der besten Gesellschaft halte ich es nicht lange aus ohne Euch.“

In der That blieb auch der Hofrath die ersten Male nur kurze Zeit auf der Ressource; er kehrte immer schnell zu den Seinigen zurück. Im Vertrauen gestand er sogar seinem alten Freunde, daß er sich eigentlich dort langweile und durchaus nicht das Vergnügen finde, das er sich davon versprochen hatte. Die meisten Herren spielten, und die Unterhaltung drehte sich gewöhnlich nur um Politik oder um Geschäfte, die den Hofrath weiter nicht interessiren konnten. Fast war er schon entschlossen, wieder fortzubleiben, wenn ihn nicht die Hoffnung, einigen Vorgesetzten, welche sich ebenfalls einfanden, näher zu treten, noch zurückgehalten hätte.

„Das wird sich geben,“ tröstete ihn der gute Freund. „Du mußt nur öfters kommen und vor allen Dingen ein Partiechen machen; das vertreibt die Zeit und gewährt Unsereinem das beste Vergnügen.“

Der Hofrath hatte allerlei Bedenken, dem an sich unschuldigen Rathe zu folgen. Als junger Mann hatte er zwar zuweilen gespielt, aber seit seiner Verheiratung keine Karte mehr in die Hand genommen, da seine Frau stets dagegen eiferte.

„Man stellt sich immer,“ pflegte sie zu sagen, „ein geistiges Armuthszeugniß aus, wenn man zu den Karten greift; es ist dies gleichsam ein Geständniß, daß man sich nicht zu unterhalten weiß. Bei Geschäftsleuten, die der Zerstreuung bedürfen, will ich es mir noch gefallen lassen; sie kommen meist abgespannt und den Kopf voll Sorgen aus ihrem Comptoir. Aber ein Beamter, der keine gewagten Speculationen macht und regelmäßig alle Vierteljahre seinen Gehalt bezieht, bedarf nicht eines solchen Mittels, um sich von seiner Arbeit zu erholen.“

Einstweilen sah er daher aus purer Langweile den Spielern zu, bis er eines Tages eine Aufforderung erhielt, an einer Partie Theil zu nehmen. Er konnte unmöglich zurücktreten, da sich unter den Herren der Ministerialdirector befand, dessen Untergebener der Hofrath war. Sehr geehrt durch eine solche Auszeichnung und an die Worte seines Freundes denkend, nahm er an dem Spieltische Platz. Als dritter Mann hatte sich ein wohlhabender Kaufmann eingestellt, dessen einziger Sohn schon seit längerer Zeit in dem Hause des Hofraths viel verkehrte und, wie es schien, sich eifrig um Lina’s Hand bewarb.

Alles ging an diesem Abend auf das Beste; man spielte aus Grundsatz nicht zu hoch, nur um einen halben Groschen das Trick, so daß Niemand viel verlieren und dadurch in üble Laune gerathen konnte. Wie es zu geschehen pflegt, wurden die Herren während der Partie bekannter und fanden gegenseitig so großes Wohlgefallen an einander, daß sie mit dem Versprechen schieden, am nächsten Abend sich wieder um dieselbe Zeit einzustellen und ihr Spiel aufzunehmen. Der Hofrath begleitete den Ministerialdirector noch eine Strecke Weges in angelegentlichem Gespräche; nie war dieser so freundlich und vertraulich gegen ihn gewesen, zum Abschiede reichte er ihm sogar die Hand, was der etwas hochmüthige Vorgesetzte früher nie gethan hatte. Steinert träumte schon von Gehaltserhöhung, einem Orden, obgleich er sonst nicht an Eitelkeit litt, und vergaß darüber, daß es spät geworden war.

Aengstlich über sein ungewohntes Ausbleiben, trat ihm seine Frau entgegen; er beruhigte sie indeß und erzählte ihr haarklein die Ereignisse des heutigen Abends, indem er allerdings mit einigem Zögern ihr gestand, daß er auch Karte gespielt habe.

„Hm!“ sagte sie. „Das ist mir nicht lieb zu hören.“

„Aber, mein Kind!“ entgegnete er, „es ging nicht anders. Der Herr Ministerialdirector und der Vater des jungen Laurenberg, der uns in letzter Zeit so oft besucht, forderten mich dringend auf.“

„Du hättest nicht annehmen sollen.“

„Aber bedenke nur, ein Vorgesetzter, der mir zu befehlen hat –“

„So lange Du im Amte bist, nicht aber auf der Ressource.“

„Er war die Freundlichkeit selbst; ich habe ihn bis an sein Haus begleitet, und er hat mir die Hand gedrückt. Ich hoffe, daß diese Bekanntschaft von großem Nutzen für mich sein wird.“

„Auf solche Bekanntschaften, die man am Spieltische macht, lege ich keinen großen Werth.“

„Du bist ungerecht, weil Du einmal die Karten nicht leiden kannst. Mein Gott! es wird doch kein Verbrechen sein, wenn man von Zeit zu Zeit ein Partiechen spielt.“

„Gewiß nicht; dagegen habe ich auch nichts, wenn’s eben nur von Zeit zu Zeit geschieht, obgleich ich immer glaube, daß vernünftige Leute sich weit besser unterhalten können. Meine selige Mutter pflegte zu sagen –“

„Ich weiß schon, was sie sagte,“ unterbrach er sie gereizt.

„Es schadet aber nichts, wenn Du es noch einmal hörst. Die Karten sind des Teufels Gebetbuch und wer sie fürwitzig anrührt, kann sich leicht die Finger verbrennen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_678.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)