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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Moose, man ist in süßes Nichtsthun versunken, sogar zu bequem, eine nahe Erdbeere zu pflücken, selbst wenn man keine so „müden Knochen“ in sich trägt, kurz, man begreift wohl, wie schwer es fallen muß, wieder zu dem heißen kahlen Platze zu gehen, zu dem die schwere Axt mit ihrem von vielem Gebrauche blanken Stiele winkt.

Eine Uhr besitzen die Holzmacher nicht. Der Stand der Sonne und der Vogelsang verkündet ihnen die Tageszeit bestimmt genug. Endlich, endlich! Die „Zippe“ (Singdrossel) stimmt den Feierabendruf an. Nun geht es zur Hütte. Die Abendsuppe wird verzehrt; dann greift Alles zur Pfeife und sieht „discurirend“ die Nacht hereinbrechen. Oft kommt Besuch aus der nächsten Hütte. Das ist ein süßes Plauderstündchen am flackernden Feuer! Man bespricht die Neuigkeiten des Tages; der hat eine Auerhenne gesehen, jener einen „Mordhirsch“, auf den man den Förster aufmerksam machen will; der Eine hat Nachrichten aus dem Dorfe, der Andere spricht seine Muthmaßungen über den Ausfall der Kartoffelernte aus; ein Dritter erzählt, was er vom „Apolijon“ gehört, der Krieg anfangen will; manchmal ergehen sie sich auch in launigen Späßen und barocken Phantasien. Als sich einmal eine Gruppe berieth, was sie sich wünschen würden, wenn ihnen eine Bitte an’s Schicksal frei stünde, war der Vorschlag des Einen: eine Knackwurst, so groß wie ein Fichtenstamm, der des Zweiten: den Floßteich voll Bier, der Dritte wünschte sich bescheiden genug eine Million Finken, aber lauter gute Schläger und Futter für dieselben. Meist dreht sich aber unter den älteren Leuten das Gespräch um die „gute alte Zeit.“

Die alte Zeit, sie war nicht etwa besser, weil sie höhern Lohn gewährte. Bewahre! Sonst waren die Löhne niedriger und im Walde weniger Arme nöthig, denn wer kümmerte sich um die „Stocke“! Einst fehlte es den Holzhauern nicht selten an Arbeit, jetzt ist überall Nachfrage nach Waldarbeitern. „Wir stehen uns,“ sagen die verständigen Waldleute, „mit den 120 Thalern, auf die wir’s bringen können, zwar nicht ganz so gut, als manche Fabrikanten; aber unser Brod ist sicher, und wir brauchen nicht in der Stube zu hocken. Ja, erträglich haben wir’s schon, besser als sonst; aber die alte Zeit war doch die gute Zeit!“ Und nun kommen Geschichten von früheren Jahren, die beweisen sollen, wie viel fröhlicher man sonst gelebt hat, und wie es ehedem doch ganz anders war. Ach, wer fühlte nicht, daß die gute alte Zeit immer da blühte, wo man jung und fröhlich war!

Uebrigens ist auch heutigen Tages die Fröhlichkeit „auf dem Walde“ (so bezeichnet man die höchsten Theile des Gebirges, während die niederen „vor dem Walde“ heißen) keineswegs ausgestorben. Noch klingt die Cither in dem kleinen Stübchen der Holzhauer, noch singt manche Familie an Winterabenden in traulichem Chor geistliche und weltliche Lieder; auch im Kunstgesang schulen sich manche junge Holzhauer neuerdings. An den dritten Feiertagen und zu Fastnacht macht sich der Waldarbeiter bei Spiel und Tanz gründlich lustig; da sieht man einzelne bemooste Häupter, denen man solche Beweglichkeit nicht zugetraut, im raschen Walzer Großes leisten.

Wer in den schlichten Waldleuten besonders abergläubische Menschen vermuthet, irrt sich. Vor einem Menschenalter freilich war’s anders. Da galt ein Holzhauer, der wöchentlich zwei bis drei Klaftern mehr fertig brachte, für verbündet mit dem Bösen. Jetzt lacht man über solchen Wahn.

Mittwoch und Sonnabend machen die Holzhauer früher Feierabend, um in’s Dorf zu wandern. Kaum hat der müde Arbeiter Frau und Kind begrüßt, so sieht er nach seinen Vögeln und freut sich an diesen Lieblingen, den Finken und Kreuzschnäbeln.

Behaglich setzt er sich dann auf die Bank vor den weißgescheuerten Tisch, um einmal mit Manier zu essen; dann verbringt er ein Stündchen, auf der Hausthürschwelle sitzend, mit dem Rauchen aus einer langen Pfeife, wobei er dem Getreibe des Dorfes ernst zusieht. Abends macht er ein vorläufiges Schläfchen auf der Ofenbank oder auf dem Höllsteine, dann labt er sich gründlich in seinem „Federhausen“, das ihm nach längerer Entbehrung gewiß so gut wie ein Eiderdunenbette behagt. Auch sein Haus dünkt ihm wohl im Vergleich mit dem Waldzelt ein wahres Schloß. Der trauliche Ofen, die tickende Wanduhr, die Muskatblätterstöckchen im Fenster – Alles lacht ihn an. Sie sind wirklich meist wohnlich und sauber, diese Holzhauerstübchen, wenngleich manche Fensterscheibe durch Dachspäne ersetzt ist. Die Diele ist rein, und auf weiße Wäsche zu halten, ist Ehrensache dieser Gebirger.

Für den Leser, der sich in eine solche Hütte zu versetzen wünscht, steht hier der Grundriß, nach dem sie alle gebaut sind.

a ist die Hausflur, deren Hinterthür zum Ziegenstall im Hofe führt, b die Wohnstube mit großem Kachelofen und dem Höllsteine, sie ist von zwei kleinen Schiebfenstern erleuchtet, c der Alkoven, das Schlafgemach der Eltern, während die Kinder unter dem Dache, neben dem Heu schlafen, d eine kleine dunkle Küche ohne Heerd (es wird auch im Sommer im Ofen gekocht), e eine Vorrathskammer.

Im Winter ist es in dem mit Fichtenreisig eingemummten Hüttchen traulich warm oder gar heiß. Der Hausherr genießt freilich diese Wärme nur des Abends. Er fährt auf Schlitten Holz an die Meilerstätten und Fahrwege. Dies ist eine nicht ungefährliche Arbeit, wo es steil bergab geht. Dann gibt man dem beladenen Schlitten einen großen, durch Ketten zusammengeschnürten Holzstoß zu schleppen, der als Hemmschuh wirkt. Ein Mann lenkt den Schlitten, ein zweiter den Schlepper; so geht es pfeilschnell die steile „Schleife“ hinab. Bei völliger Unwegsamkeit des Waldes bleibt der Holzhauer daheim und sucht sich durch Schachtelmachen, Schindelspalten oder das Formen von Porzellanfigürchen, das die Kinder vieler Waldleute beschäftigt, einen Nebenverdienst zu erwerben. Im ersten Frühling hilft er bei der Flöße. Er fährt die Scheite an den Waldbach, dessen Fluthen, geschwellt durch den Ablaß eines Sammelteichs, Hunderte von Klaftern an einem Tage thalabwärts befördern. Das Flößen ist die geräuschvollste Arbeit. Das Brausen des über Fälle hinabstürzenden Wassers, das Poltern der wahre Lachssprünge machenden Scheite, die lauten Zurufe der Flößer, unterbrochen von Jauchzen und Singen – das gibt ein Durcheinander, daß man sich in eine Schlacht versetzt wähnt. Von noch fröhlicherem, aber sanfterem Charakter ist die zweite Frühlingsarbeit, bei der die Holzhauer gewöhnlich mitwirken, das Pflanzen. Da hier Mädchen und Frauen helfen, herrscht allgemeine Munterkeit, kaum eine Viertelstunde verstreicht ohne Lied.

Am Sonntag feiert der Holzhauer. Im besten „Staate“ geht er zur Kirche, im Sommer meist eine Blume im Munde. Zu Mittag prangt auf seinem Tische das thüringer Leibgericht, der Kloß aus rohen Kartoffeln, den die Frauen „auf dem Walde“ vorzüglich weiß und locker herzustellen verstehen; neben diesen Bombenhaufen verschwindet fast das niedliche Schweinebrätchen, das einzige Fleischgericht der ganzen Woche. Am Sonntag Abend besucht der Holzhauer das Wirthshaus, um ein Seidel zu trinken. Die Würze dieses die ganze Woche entbehrten Trankes bilden gesetzte Unterhaltungen mit den Kumpanen und die Neuigkeiten, die man in der Gesellschaft hört oder liest. So wenig auch diese Thüringer Wäldler von der großen Welt „draußen im Lande“ wissen, so erfahren sie doch in der Schenke durch die ausliegende Dorfzeitung hier und da Etwas vom Weltgetriebe. Eine gute, nur das Allerwichtigste gebende und der Fassungskraft angepaßte, kleine und spottwohlfeile Wochen- oder Monatszeitung für diese und andere schlichten Glieder des Volkes erscheinen zu sehen, das ist ein Wunsch, der sich oft in mir regte, aber wohl noch lange ein frommer Wunsch bleiben wird. In England hat man seit Jahren dergleichen Zeitschriften „für die Million“, wie sie dort heißen. Ich bezweifle nicht, daß die deutschen „Arbeiter“ ein solches Blättchen für einige zusammengelegte Pfennige halten und am Feierabend lesen würden, wie es die Engländer thun. Die Vereinigung vermag viel. Schon sind durch die Bemühung der Förster Kranken- und Sterbecassen unter den Holzhauern errichtet; vielleicht erleben wir noch, daß Bildungsvereine unter ihnen entstehen. Mancher Städter wird darüber die Achseln zucken, aber das haben Viele auch gethan, als man für die Kinder der ärmsten Classen regelmäßigen Schulunterricht einführte. Nun können alle Erwachsenen lesen, es ist also an der Zeit, ihnen etwas Gutes zum Lesen zu verschaffen. Hier ist ein Feld für edle Wohlthätigkeit, das edle Früchte verheißt. Ist kein Lord Brougham da, um einen Verein zu stiften, der durch eine Pfennigliteratur auch die Aermsten in Verbindung hält mit dem Leben des großen Ganzen?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_689.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)