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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Das Volk steht auf, der Sturm bricht los!“[1]

Der Aufruf des Königs „An mein Volk“ vom 14. März war wie die Tuba des Auferstehungstages. durch die Welt geklungen, und die Russen waren unter Wittgenstein in Berlin eingerückt, welches Augereau-Castiglione eilig verlassen. Kaiser Alexander, dessen andere Heersäule schon nach Schlesien marschirte, erschien in Breslau. Der französische Gesandte, St. Marsan, war nächtlich von dort abgereist, um mit Bassano zu spät dem Kaiser den Schrecken zu berichten, der ihnen über den Hals gekommen.

In diesen Tagen, wo kein Mann daheim blieb, glich Breslau einer gefüllten Petarde, die nur der Lunte harrt. Das Regierungsgebäude auf der Albrechtsstraße mit seinen Höfen, die weite Aula, sonst der Sitz der Musen, das alte majestätische Rathhaus mit seinen vielen Erkern, gothischen Giebeln und Simsen, den ehernen Eichenbüscheln auf den spitzen Eckthürmen, den steinernen Wahrzeichen, der arabeskenreichen, nunmehr verwitterten Vergoldung, mit der alten Freitreppe, die auf den Markt mündet, wo, von wackligen Buden und Scharren umdrängt, die gespenstig dunkle Staubsäule in mittelalterlicher Grobheit uns zuruft: „Seid ehrlich!“ endlich der umgitterte Platz vor dem königl. Schloß – das waren die Altäre, wo Preußens Volk seine Jugend, seine Habe der Befreiung deutscher Erde darbrachte! O welch Strömen und Jauchzen, welch brünstig Abschiednehmen und Schwören zu den Fahnen! – Der König mit ernster Majestät, Scharnhorst mit Dunois’ Zähigkeit und Ueberblick, Blücher, der wilde Roland Preußens mit flammendem Feuereifer, beseelten und begeisterten die Krieger.

Hier trat ein Musensohn hervor in kantischer Verachtung aller Erdengröße, ohne Rücksicht vor Gefahr und jede Tradition verlachend, dort kam ein Anderer, ein Schüler Fichtes, der die Materie verachtete, dem die Idee allein Wirklichkeit hatte. Der tolle Spitzbubenhumor Spiegelbergs und die animalische Kampfeswuth Schweizers, welche aus Mordlust kämpfen will, neben der Tellsnatur, die Rache zu ihrem einzigen Ideal erhebt, der anarchische Geist Carl Moors neben dem fröhlichen, stolz-sorglosen Gemüthe Egmonts, das heiße Blut Don Juans mit dem Spartanermuthe Zrini’s und die Freiheit lechzende Seele Marqui Posa’s mit dem Brutusstolze Berrina’s, Alles, was die Nation in Wort, Lied und Wünschen barg, mischte sich zu jener furchtbaren todestrunkenen Schaar der schwarzen Gesellen, die unter Blücher, unter Lützow und York die Furien der Schlachten wurden, dem Teufel in die Zähne schlugen und lachend sich mit der Vernichtung selber vermählten, deren Banner getränkt war von Louisens Thränen, geweiht von den Seufzern Friedrich Wilhelms, umrauscht von Herders, Moritz Arndts und Schillers Skaldenklängen! – Theodor Körner, der Dichter, verließ Braut, Eltern und Heimath, um zu Lützows Schaaren zu stoßen, und grüßte den preußischen Adler mit dem Liede:

„Bald werd ich unter deinen Fahnen steh’n,
Bald werd’ ich dich im Kampfe wiedersehn,
Du wirst voran zum Sturm, zur Freiheit weh’n!
Und was dann immer aus dem Sänger werde,
Heil ihm, erkämpft er sich auch mit dem Schwerte
Nichts, als ein Grab in einer freien Erde! –“

Das war ein einziges Erheben, nicht erlebt seit Menschengedenken, und der Preis all dieses Opfermuthes war nur – ein Kreuz, ein Kreuz von Eisen zur Erinnerung an diese eisernen Zeiten! – Es war am siebzehnten März, zwei Tage nach dem allgemeinen Aufruf, als auf dem weiten Plane vor den Wällen des Schweidnitzer Thores zu Breslau ein gigantisches Schauspiel stattfand. Die freiwilligen Jäger des schlesischen Armeecorps sollten das erste Mal inspicirt werden und ein Theil der Truppen unter Blücher sofort in’s Feld rücken. Die weite Ebene, von der Landstraße nach Schweidnitz durchschnitten, ward rings von der Bevölkerung, den Freunden und Verwandten der jungen Krieger umgeben. Auf der einen Seite des Platzes standen die Freiwilligen, Infanterie und Cavallerie, eine lange, endlose, dunkelgrüne Linie, in der Mitte von einem schwarzen Streif unterbrochen, dem Lützow’schen Freicorps. Ihnen gegenüber, am andern Ende des Platzes, stand das reguläre Militair, die Garde, die Linien-Infanterie- und Cavallerie- Regimenter, Artillerie und Pioniere. Hell blitzten die Waffen, die Fahnen rauschten, – man erwartete den König mit seinem Gast, dem Kaiser Alexander von Rußland. In der Mitte des Plans hielt eine zahlreiche Suite von Generalen, die Adjutanten ritten hin und wieder, den einzelnen Commandeuren Befehle überbringend. Da bewegte sich von Kleinburg her, die Landstraße entlang, ein sonderbarer Zug. Vorauf ein Wagen mit Staub und Koth bedeckt, von vier Dorfkleppern gezogen, die keuchend dahertrabten, dahinter eine Schaar Reiter, bis an die Zähne bewaffnet, welcher drei offene Bauerwagen folgten, in denen, Schulter an Schulter, eine Masse Bursche saßen.

„Teufel, meine Herren, was ist das? Sehen Sie nur dort den Aufzug herkommen!“ rief Scharnhorst, eine große, ritterliche Gestalt, wie von Erz gegossen, und wendete den Rappen, mit der Hand nach der Straße deutend. Alle Generale folgten seinem Beispiele und richteten ihre Gläser nach der bezeichneten Gegend.

„Herr von Richthofen, sehen Sie nach, was es ist. – Bei Gott, von hier sehen die Leute wie eine Bande Zigeuner aus,“ sagte Blücher. Der genannte Adjutant gab seinem Pferde die Sporen, jagte über die Ebene, passirte die Truppenlinie und erreichte bald genug den Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit. Von der Stadt der erscholl indeß Trommelwirbel. Eine Cavalcade glänzender Reiter ward unterm Thore sichtbar.

„Die Majestäten, meine Herren!“ rief Scharnhorst, setzte sein Pferd in Bewegung, und die Suite eilte dem Thore zu.

„Hurra!“ dröhnte es durch die Reihen. Die Truppen präsentirten, die Trommeln rasselten; „es lebe der König, es lebe der Kaiser Alexander!“, scholl es aus den Reihen der Zuschauer, und die Regimentsmusik spielte. Die Suite der Generale eilte, die Herrscher zu begrüßen und sich dem Gefolge anzuschließen. – Neben einander ritten langsam König Friedrich Wilhelm und der Kaiser von Rußland die Front herauf, gefolgt von den Prinzen des königlichen Hauses, den Prinzessinnen im offenen Wagen, dem General- Lieutenant Scharnhorst, dem Obristen Prinzen Biron von Curland, dem General-Feldmarschall Grafen von Kalkreuth, Staatskanzler v. Hardenberg, den General-Lieutenants v. Blücher und Kleist, den Grafen Tolstoy, Araktschejeff, Nesselrode, Balacjetschefs, dem General-Adjutanten von Natzmer, Oberstlieutenant v. Wrangel, Regierungschefpräsidenten von Merkel und vielen Adjutanten. – Während die Blicke aller Treuen an diesem glänzenden Zuge wie an dem Hoffnungssterne ihrer Zukunft hingen, sprengte der Adjutant von Richthofen von der anderen Seite her an Blüchers Seite und flüsterte leise mit ihm.

Blücher stutzte, dann lächelte er: „Element, das laß ich gelten!“ und seinem Pferde die Sporen gebend, brachte ihn eine halbe Volte aus der Suite und in die Nähe der Monarchen. Indem sich der General etwa zehn Schritte entfernt, aber in gleicher Linie mit den Majestäten hielt, legte er die Hand an den Tschako. Der König bemerkte ihn.

„Was haben Sie, Blücher?“

Blücher ritt heran. „Etwas, das Ew. Majestät königliches Herz recht freuen wird. Da ist nämlich tief aus dem Glatzer Gebirge eine alte ehrliche Haut von Gutsbesitzer gekommen und bringt uns zwanzig Mann Freiwillige ganz armirt zu Pferde und ein Paar Wagen Linienrekruten.“

„Zwanzig Mann zu Pferde? Blücher, Sie irren sich wohl! Manche Stadt bat nicht so viel gestellt!“ Damit hielt der König sein Pferd an.

„Und doch ist’s so, Majestät, mein Adjutant hat sie selbst gesehen. Sie halten auf der Straße jenseits der Linie.“

Der ganze glänzende Zug hielt still.

„Wenn Ew. Liebden lauter solche Patrioten hat, kann es uns nicht fehlen!“ rief Kaiser Alexander, „der Mann verdient, daß wir ihn sehen.“

„Lassen Sie ihn herankommen, Blücher, damit alle Truppen dies Beispiel der Aufopferung sehen!“ sagte der König.

Blücher legte die Hand an den Schirm, wandte das Pferd und eilte mit seinem Adjutanten der Straße zu. Die Majestäten mit ihrem ganzen Gefolge wendeten sich. Scharnhorst sprengte vor und winkte mit der Hand; die Tambours schwiegen. Eine seltsame Scene bereitete sich vor den Augen der Truppen. Blücher kam langsam zurück. Neben ihm schritt, auf den Stock gestützt, ein alter Herr in der Officiersuniform der ehemaligen Seydlitz-Dragoner, hinter ihm aber, fünf Mann hoch in vier Colonnen, mit gezogenem Säbel zwanzig freiwillige Jäger zu Pferd, commandirt von einem graubärtigen Knaben, der den Wachtmeister machte. In einiger

Entfernung davon folgten etwa fünfundzwanzig bis dreißig Mann

  1. Probe aus dem demnächst erscheinenden neuen Romane von Brachvogel: „Benoni.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_690.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)