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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

bisher so wenig lebende Nilpferde zu uns kamen. Fast jedes andere Thier ist leichter in die Gewalt des Menschen zu bekommen und fortzuschaffen, als ein Nilpferd! –

Bei Berücksichtigung der eigenthümlich plumpen Gestalt, des merkwürdigen Lebens, der Schädlichkeit und Gefährlichkeit des Nilpferdes erscheint es mir sehr natürlich, daß der Sudahnese, wie der Neger Guinea’s das wüste Vieh gar nicht für ein rechtes, natürliches Wesen, sondern eher für einen Auswurf der Hölle ansieht. Schon der sudahnesische Name „Aeësint“, dessen Bedeutung Niemand kennt, deutet auf etwas Ungewöhnliches hin.[1] Dazu kommt nun die Bedenken erregende Mißachtung aller, auch der kräftigsten Amulete seitens des Ungethüms. „Möge Gott die Affen verfluchen in seinem Zorn“, sagte mir ein Sudahnese; „denn sie sind verwandelte Menschen und Spitzbuben, Söhne, Enkel, Nachkommen von Spitzbuben, aber möge er uns bewahren vor den Kindern der Hölle, jenen Nilpferden! Denn ihnen ist das Heiligste Schaum und das Wort des Gottgesandten ein leerer Hauch. Alle Elephanten halten, weil sie gerechte Thiere sind, Gottes Wort in Ehren, wie Adamssöhne, aber die Nilpferde zerstampfen den „Gottesbrief“ mit ihren Füßen!“ Das Nilungeheuer ist also in den Augen der Eingeborenen gar kein von Allah erschaffenes Wesen, sondern nur die Maske eines verruchten, dem Teufel – vor welchem der Bewahrer die Gläubigen bewahren möge! – mit Leib und Seele angehörigen Zauberers und Sohnes der Hölle, welcher nur zu Zeiten diese Satansgestalt annimmt, sonst aber in seiner Hütte als Mensch erscheint, um andere Adamssöhne abzulocken vom Pfade des Heils. Mit anderen Worten: das Nilpferd ist der Gottseibeiuns selber, wenn auch mit etwas auffallenden und unzierlichen Pferdefüßen und Schwanz!

Dafür gibt es hundert Belege. Viele Menschen haben durch jenen Höllensohn ihr Leben verloren, und ihre Seele ist ihnen aus dem Körper gestampft worden, ohne daß der Leib gefressen worden wäre; – und unter den Todten war sogar ein Fakhïe oder Khorahnverständiger! Ferner ließ einer der Statthalter Ost-Sudahns, Churschid-Pascha, als er einst mit einem Fähnlein seiner Krieger an den Strom kam, diese auf ein Nilpferd Jagd machen, obwohl ihm ein weiser Schëich wohlmeinend davon abrieth; denn dieser wußte, daß das vermeintliche Nilpferd blos die Maske eines verwunschenen Menschen war. Zwar wurde der vom Anbeginn der Welt verfluchte Zauberer getödtet und seine rothe Seele der Hölle zugesandt, aber Churschid-Pascha entging seinem Schicksale nicht. Er war immer hart verfahren gegen die Zauberer des Landes; deshalb bannten ihn diese durch den Blick ihres scheelen Auges. Sein Leib versiechte, weil seine Eingeweide langsam verdorrten, und er wollte, auch krank, noch immer die Meinung der Ulema und des Khadi nicht gelten lassen; denn anstatt sich einem Kundigen des Gotteswortes anzuvertrauen und den Zauber durch diesen bannen zu lassen, vertrauete er den ungläubigen Aerzten aus Frankistán und welkte und siechte dahin. Möge sein Leib in Frieden ruhen und seine Seele begnadigt sein! Uns aber möge der Bewahrer bewahren, der Schützende schützen vor allerlei Zauber und Höllenwerk!




Eine neue Perle im Industrie-Gürtel Englands.

(Mit Abbildung.)

Wie die Göttin der Schönheit ihren Liebreiz einem Gürtel verdankte, hat sich England mit einem massiven Gurte der Kraft industrieller Production umgeben. Er umspannt die langgestreckte englische Hauptinsel in der Hüfte von Yorkshire, von Liverpool und Manchester bis herüber in die Nordsee in der weiten Mündung des Humberflusses mit den Häfen von Hull etc. und den riesigen Grunsby-Docks, und besteht aus einer Hunderte von Meilen langen und zehn bis funfzig breiten, fast ununterbrochenen labyrinthischen Reihe von Dampfschlotten, Rauch- und Dampfschichten in der Luft, massiven Palästen und endlosen Strecken von Arbeiterwohnungen und Städten, Canälen, Flüssen, Eisenbahnen, Omnibus, Krahnen, Spindeln, Rudern, Hebeln, Pumpen, Flaschenzügen, Gewinden und unsäglicher Masse von Maschinerie, die täglich Tausende von Centnern Baumwolle, Wolle und Seide in den verschiedensten Gemischen verschlingen und als gewebte Stoffe von tausenderlei Farben, Formen und Werthen wieder von sich geben, mehr als genug für die ganze Welt, so daß die Engländer fast immer in den fernsten Welttheilen und in der Nähe Krieg führen, um fremden Völkern diese ungeheuern Waarenvorräthe aufzuzwingen, obwohl sie dabei immer mehr zusetzen, als ihnen der gewaltsam und feindselig abgeschlossene Handelsvertrag je einbringen kann, obwohl Mars und Mercur nie Compagnons waren, nie werden, und auf ganz nüchterne, mercantile Weise längst viel größere Handelsvortheile gesichert worden wären, als sie bis jetzt mit Kanonen und Eroberungen erreicht haben.

Der Gürtel von industriellen Palästen in Yorkshire sieht in den älteren Theilen entsetzlich aus in seiner Unendlichkeit von Rauch und Schmutz, von Abfällen und Schlackengebirgen; aber neuerdings erheben sich immer mehr grandiose Phalanstèren der Fabrikation, Paläste, gegen welche die stolzesten Fürstenschlösser zu todten Grimassen hohlen, zehrenden Glanzes zusammenkriechen. Wir könnten Hunderte dieser neueren und neuesten Prachtbauten und Werkstätten der Groß-Industrie nennen und schildern, wählen aber eine statt aller, eine der neuesten und am praktischsten angelegten. Es ist die blos für Alpaca und Mohair bestimmte Manufactur Saltnire an der Ostseite des großen Industrie-Gürtels, eine halbe Meile westlich von Shipley im malerischen Thale des Aire-Flusses, zwischen Eisenbahn und Canal, mit denen beiden die Anstalt in unmittelbarer Verbindung steht. Sie erhebt sich auf sechs Morgen Landes. Die verschiedenen Etagen in der Fabrik, den Waarenlagern, Schuppen, etc. bilden auf dieser Oberfläche noch ein Terrain von zusammen 111/2 Morgen.

Die Hauptgebäude haben die Form eines T. Der horizontale Strich im Süden ist die Fabrik selbst, erbaut im kühnen, italienischen Style mit einer imposanten, eleganten Façade, 550 Fuß lang und 72 hoch mit den sechs Etagen, die in der Mitte durch die Maschinen-Räume, auf beiden Seiten des Haupteinganges, getheilt sind. Nur die oberste Etage bildet einen Raum, den bis jetzt größten unter einem massiven Dache (Krystall-Palast unter Glas-Dach natürlich ausgenommen); die verschiedenen Etagen ruhen auf Bogen, gemauert von patentirten, hohlen Mauersteinen, welche mit ihren Oeffnungen eine vortreffliche Ventilation und Luftreinigung unterhalten. Herrliche Reihen gegossener Eisensäulen und Eisenbalken geben dem Ganzen im Innern Kraft und Eleganz. Auch die Dächer sind von Eisen. Grosse, prächtige Fenster mit riesigen Spiegelglas-Scheiben, wie leuchtende Augen in der noblen Façade, geben dem Bau von dieser Seite das Gepräge eines grandiosen Kunstwerks der Architektur. Alle Bestandteile sind feuerfest.

Der perpendiculäre Strich des T deutet die Waarenlager an, die nördlich 330 Fuß weit bis an den Canal sich ausdehnen. Da hier der Boden abfällt und die Höhe der Gebäude eine gerade Ebene bildet, bekommt das Dach am Canale eine Höhe von 90 Fuß mit 7 Etagen, deren Dach unter Anderem eine gußeiserne Cisterne enthält mit Raum für 70,000 Gallonen Wasser, welches durch eine besondere Dampfmaschine an der anderen Seite des Canals hinaufgepumpt wird und die Anstalt, wie die benachbarten Arbeiter-Wohnungen versorgt.

Die Winkel und Ecken des T sind mit Arbeitslocalen, besonders dem Webeapparat, gefüllt. Der ungeheure Apparat des Kämmens nimmt die ganze westliche Ecke ein, mit Wasch-, Trocken- und Sortirungs-Räumen. Darunter ein Filter mit Reservoir, groß genug, um 500,000 Gallonen Regenwasser von allen Dächern zum Waschen der Wolle aufzunehmen. An der westlichen Ecke reihen sich hinter einer schönen Façade von 240 Fuß Breite Vorrathsräume und Bureaux.

Der Haupt-Dampfschlott, unten 18 Fuß ins Geviert bedeckend und 250 Fuß hoch, verbindet das Nothwendige mit möglichster Schönheit, wie die ganze Anstalt und mehr oder wenige alle englische Architektur neuesten Datums für große industrielle Zwecke. Unten und an der Spitze ist er so construirt, daß der Effect eines


  1. An anderen Orten nennt man das Nilpferd „Djamuhs el Bahhr“ – Wasserbüffel.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_703.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2023)