Seite:Die Gartenlaube (1859) 705.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

und aufrichtig auf die Sache einging. Der Klerus allein ist noch unzufrieden, wühlt, schürt und intriguirt und wird weder durch die nationale Idee, noch durch das Aufblühen des engeren Vaterlandes von seiner Feindseligkeit bekehrt; ihm allein gehören die Organe, die gegen die Regierung und Volksvertretung eine ernstliche Opposition machen; — aber König, Deputirte, Senatoren, Minister und Beamte sind excommunicirt und die Staatsmaschine fungirt vortrefflich. Vor diesem Decennium hätte man das für eine baare Unmöglichkeit gehalten; für eine baare Unmöglichkeit, daß ein Carignan, der in seiner Familie einen Papst und etwelche Heilige zählt, sich überhaupt excommuniciren lassen, und für eine noch größere Unmöglichkeit, daß die piemontesische Nation dieses Unglück so kaltblütig ertragen könne. Ach, unsere deutschen Kaiser, die armen Heinriche und Friedriche, hatten es nicht so gut; aber die Zeiten ändern sich. Selbst im Klerus gab es Mitglieder, die die neue Epoche mit patriotischer Freude begrüßten und sich den liberalen Ideen aufrichtig anschlossen; daß dies heute weniger der Fall ist, als vor einigen Jahren, daran trägt die Regierung, die in diesen Dingen noch wenig Erfahrung hatte, selber die Schuld. Diese liberalen Geistlichen wurden von ihren Collegen und Bischöfen geplagt und angefeindet, und die Regierung hat sie im Stiche gelassen, anstatt sich ihrer anzunehmen und andere zur Nachfolge aufzumuntern. Dennoch gibt es noch solche, die im Geheimen das Vaterland der Kirche vorziehen, und es darf nur einige Zeit über die Ungeschicklichkeit der Regierung hingehen, und der Liberalismus wird sich vorzugsweise in der niedern Geistlichkeit manifestiren. Habe ich doch selbst schon solche kennen gelernt, die trotz der Besetzung der Legationen mit denen, die sie besetzten, und mit der Regierung des excommunicirten Königs sympathisiren. Gioberti's Bücher haben Früchte getragen, wenn auch nicht ganz solche, wie er selbst zu cultiviren glaubte.

Der König ist populär, sehr populär, wie er es seinem ganzen Wesen nach sein muß. Seine kühle Phantasie hat ihn dem Klerus gegenüber vor jenen Schwankungen bewahrt, welche seinen phantasievolleren Vater, der sich im eigentlichen Sinne des Wortes die Hölle heiß machen ließ, in die Gewalt von Gauklern, Betrügern und Mystikern lieferten und ihn so unglücklich machten. Mit weniger Romantismus im Hirne wurde er, was Karl Albert nur sein wollte, la spada d'ltalia, das Schwert Italiens. Man ist ihm dankbar für diese seine Kühle dem Schrecken der Religion gegenüber und für die Tapferkeit, mit der er leiblicheren Feinden entgegengeht. Dazu kommt sein großes Verdienst, sich in Regierungsgeschäfte so wenig als möglich zu mischen, d. i. ein guter constitutioneller König zu sein, und das Vertrauen, das man allgemein in seinen Willen setzt, es immer zu bleiben. Er liebt die Jagd, die Pferde und die Weiber. Mit der Büchse auf der Schulter das Land durchstreifend, ein Stück Brod, eine Zwiebel, eine Flasche Wein in der Tasche und eine Cigarre im Munde, ist er am glücklichsten. Auf diesen Jagdstreifereien kehrt er in Bauernhütten ein, setzt sich, gekannt oder ungekannt, an den Tisch und ißt mit und wirft sich, wenn er müde ist, auf den harten Boden und schläft vortrefflich. Er hat nicht nur keine Scheu vor der Berührung mit dem Volke, er sucht es auf und fühlt sich wohl dabei. Man sagt, daß er mit einer seiner Geliebten, einer tüchtigen Tambourmajorstochter, heimlich vermählt sei. Als echter Turinese liebt er den Spaziergang unter den Arcaden der Piazza di Castello und der Via del Po. Da sieht man ihn oft mit einem Schlapphute auf dem Kopfe, der ihn der österreichischen Polizei verdächtig machen würde, mit dem Mantel auf einer Schulter, in nichts weniger als eleganter bürgerlicher Tracht, die Cigarre unausgesetzt im Munde, unter dem großen, gewaltigen Schnurrbart, dessen natürliche Grenzen er ausgedehnt, indem er noch ein Stück des Backenbartes dazu nahm. Wer ihn da sieht, der muß sich sagen: da geht, was die Franzosen un gros bonhomme und die Engländer a good fellow nennen. Aber blos gut und was man gewöhnlich mit diesem Lobe zu verbinden pflegt, ist er nicht. Die ihn näher kennen, sagen ihm ein gut Theil gesunden Menschenverstandes nach und nebenbei einen gewissen instinctiven Scharfsinn, der ihn die Stimmungen der Zeit, sowie die Charaktere, die ihn umgeben, rasch erkennen läßt. Auch jene Unthätigkeit hört auf, wo in der Politik seine Person und seine liebsten Ueberzeugungen in's Spiel kommen. Doch am besten wird ihn eine historische Anekdote zeichnen, wie er sie einem Freunde selbst erzählte.

Nach dem Frieden zu Villafranca kam der Kaiser der Franzosen zu ihm und sagte: „Ich habe Frieden geschlossen."

„Frieden geschlossen? Nicht Sie haben Frieden zu schließen, sondern ich, dem der Krieg erklärt worden. Ich habe nicht Frieden geschlossen, ich setze den Krieg fort.“

Der Kaiser gab ihm nicht undeutlich zu verstehen, daß er es dann mit zwei mächtigen Feinden zu thun hätte.

„Ich war schon genugsam außer mir; nun stieg mir das Blut zu Kopfe; ich war wie verrückt und — setzte er lachend hinzu — sagte: „Der Kaiser von Oesterreich ist jung; ich schicke ihm eine Herausforderung; er wird sie annehmen, und wir werden die Sache unter uns abmachen.“

Darauf nahm ihn Louis Napoleon am Arme und sagte: „Vous n’êtes bon qu’a faire des romans.“ (Sie können nichts als Romane spielen.)

Als ihm der Kaiser später von der italienischen Conföderation sprach, rief er aus: „Ich mit einem Oesterreicher in derselben Conföderation? Niemals!“

Worauf der Kaiser wieder: „Sie sind italienischer als alle Italiener!“

Diese Anekdoten sind authentisch und bezeichnend. Am Regieren hängt sein Herz so wenig, daß er immer zum Abdanken bereit ist, wenn es irgend wie nothwendig oder nützlich. Zu wiederholten Malen, wenn sich Cavour seinen tollkühnen Vorschlägen im Ministerrathe widersetzte, sagte er begütigend: „Was liegt Ihnen daran, lieber Cavour? Wenn die Sache nicht geht, werde ich Monsieur de Savoye und Sie bleiben der Graf Cavour.“

Diejenigen, die Victor Emanuel hassen, weil er der Vorkämpfer der italienischen Freiheit, überhaupt einer Freiheit ist, wissen nicht, was sie thun, und wissen nicht, was sie ihm zu danken haben. Er hat die Republik getödtet oder wenigstens aufgeschoben; er hat eine bei weitem gewaltsamere und tiefer gehende Bewegung, als die jetzige ist, die ein Beispiel für Europa gewesen wäre und Nachahmung gefunden hätte, vereitelt. An keinen anderen König hätte sich Manin, hätten sich die Garibaldisten und Mazzinisten so aufrichtig angeschlossen; für keinen hätten sie ihre politischen Ideen den nationalen so bereitwillig untergeordnet. Des klugen Mazzini seit dreißig Jahren ausgestreute Saaten hat der einfache Victor Emanuel geerntet und auf die Felder, die jener gepflügt und aufgewühlt, hat dieser neuen Samen gestreut. Ich weiß nicht, ob dies ein Glück für die ganze Zukunft Italiens zu nennen ist; ich spreche kein Urtheil aus, ich referire nur.

Nach dem König, und in einem beschränkten Sinne nach Garibaldi der populärste Mann Sardiniens ist Cavour, doch ist er mehr im Publicum verehrt und bewundert, als in den betreffenden Kreisen, mit denen er in amtlicher Thätigkeit persönlich in Berührung kommt. Er ist eigenmächtig und läßt seine Ueberlegenheit fühlen. Dies Letztere ist es, was auch den König von ihm entfernt, der ihn nicht sehr liebt und der nicht betrübt ist, wenn ihn die politische Constellation, wie im gegenwärtigen Momente, auf einige Zeit aus dem Rathe entfernt. Cavour stammt aus alter Familie, ist im Grunde sehr aristokratisch gesinnt, scheut die Berührung mit dem Volke und hat wenig Sympathie mit Bewegungen, welche tiefere Schichten aufregen und heben. Aber er ist ehrgeizig, klug und thatenlustig und er hat seine Zeit erkannt. Er weiß, daß er seine politischen Pläne nicht mit der bedeutungslos gewordenen Aristokratie durchsetzen kann, und so hat er sich der populären Idee und den Ideen der Epoche angeschlossen. Das Volk rechnet nicht mit ihm und sieht nur seine Thaten, den Eifer, mit dem er seit Jahren arbeitet, die Folgen dieser Arbeit und das günstige Gesicht, das er als Minister und Deputirter zu allen liberalen Gesetzen und Institutionen zeigt. Neben Victor Emanuels Portrait sieht man überall das seinige. Dieses Gesicht aber deutet nicht im Geringsten auf einen Aristokraten. Cavour sieht aus wie der Sohn kleinbürgerlicher Eltern, der es zu etwas gebracht hat, und seine klugen Augen scheinen die Mittel anzugeben, mit denen man es von Nichts zu Etwas bringt. Selbst diese Augen blicken nur proletarisch klug. Er hat Aehnlichkeit mit Proudhon. Auf der breiten und gewölbten Stirne steht in großen Letter» die Inschrift: Zweckmäßigkeit. Aber er ist ein Patriot; ob mehr ein italienischer oder mehr ein sardinischer, will ich um so weniger entscheiden, als dies im Moment gleichgültig ist und der echte sardinische Patriotismus dem italienischen zu Gute kommt. Auch zerbrechen sich die Italiener nicht den Kopf darüber und verehren ihn aufrichtig. Jedes Kind kennt Cavour und Jedermann beschwört es, daß Cavour durchsetze, was überhaupt durchzusetzen ist. Dieses

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_705.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2023)