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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

immer wieder von der einen und einheitlichen Idee predigen. Viele von diesen rühren von Vela, dem Bildhauer des Tages her, der ein merkwürdiges Gemisch der Anfänge aus dem fünfzehnten Jahrhundert, aus der Zeit Donatellos und des crassesten Realismus in seinem Talente vereinigt. Er war früher Professor in Mailand. Die Akademie der Brera ernannte ihn zu ihrem Mitgliede; eine hohe, durch die Tradition geheiligte Ehre, nach der jeder italienische Künstler strebt. Aber Bela erfuhr, daß in derselben Sitzung auch Radetzky und Strassoldo zu Mitgliedern der Akademie ernannt worden, und er schickte der Brera das Diplom zurück, mit dem Bedeuten, daß er solche Collegen nicht haben wolle. Darauf wurde ihm angezeigt, daß er binnen wenigen Tagen Mailand zu verlassen habe. Nun aber ist es nicht so leicht, sich mit zehn bis zwölf Marmorblöcken in die Diligence zu setzen; Bela vertheilte sie an seine Freunde und ging nach Turin, wohin sich Alles flüchtete, was solche und ähnliche Diplome nicht erstrebte, und schuf daselbst die zahlreichen nationalen Monumente und andere mehr oder weniger schöne Kunstwerke.

Solcher kleiner Geschichten könnte man aus der modernen Zeit Italiens Hunderte und Tausende erzählen. Sie würden alle beweisen, wie die Einheitsidee in Allen lebte, die irgendwie Bildung, Intelligenz, Talent besaßen. Wir wollen uns dabei nicht aufhalten; das Lager Garibaldi’s, das man so gern als ein Nest von Räubern darstellt, spricht laut genug, und es bedarf neben diesem keines andern Beweises, daß die beste und edelste Kraft Italiens in den Kampf zog. In seinem Pioniercorps, das anfangs nur aus hundert Mann bestand, befanden sich damals nicht weniger als einundsiebzig Ingenieurs, die Aemter und Arbeiten verließen, um dem Vaterlande zu dienen. In den andern Corps wimmelte es von Gelehrten, Schriftstellern, Künstlern jeder Art, die als gemeine Soldaten dienten, unter diesen auch die beiden hoffnungsvollsten jungen Maler des jetzigen Italiens.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Eine Schauspielerin auf der Reise. Fräulein B. vom Theatre Français in Paris machte eine Reise in die Provinz, um dort einige Gastrollen zu geben. In einer kleinen Stadt in Burgund wurde gehalten, um zu Mittag zu essen; sie wollte sich aber nicht lange aufhalten, um noch vor der Nacht an den Ort ihrer Bestimmung zu kommen. Kaum war sie in der „blauen Glocke“ abgestiegen, als ein Gensd’arm die Reisende um ihren Paß ersuchte.

Fräulein B. war unüberlegt und übermüthig, sie glaubte dergleichen nicht nöthig zu haben, sie lächelte stolz und sagte mit würdevollem Tone:

„Sie müssen wissen, Gensd’arm, daß solch gewöhnliche Dinge nicht für mich gemacht sind.“

Der Gensd’arm war erstaunt über diese Worte und über das wahrhaft königliche Aussehen derjenigen, welche sie aussprach; er sagte sehr ehrfurchtsvoll: „Es ist möglich, Madame, daß so gewöhnliche Sachen Sie nichts angehen, aber ich habe nun einmal den Befehl des Herrn Bürgermeisters, von jedem Reisenden den Paß zu fordern. Haben Sie daher die Güte, mir wenigstens Ihren Namen zu sagen, damit der Herr Bürgermeister selbst entscheidet, ob Sie ohne Paß reisen können.“

„Nun gut, Gensd’arm, sagen Sie Ihrem Herrn Bürgermeister, daß Phädra hier in der blauen Glocke ist.“

Der Bürgermeister war zufällig ein leidenschaftlicher Theaterfreund, er ahnte sogleich eine Schauspielerin und ließ Fräulein B. bitten, sich zu ihm zu begeben.

Fräulein B. erwartete diese Einladung und froh, ein kleines Abenteuer zu haben, machte sie sich sogleich, von ihrer treuen Zofe begleitet, auf den Weg. Sie kam in dem Augenblick, als sich der Herr Bürgermeister zu Tische setzte. „Sie sind es,“ sagte er zu ihr und lorguettirte sie, „die unter dem Namen Phädra reist?“

„Wenn Sie erlauben,“ sagte ernst die Schauspielerin.

„Sehr gut, und Sie glauben, daß dieser Name einen Paß ersetzt?“

„Wenn dies nicht genügt, so heiße ich auch noch Zaïre, Iphigenie etc., mit einem Wort, ich bin Fräulein B., erste Tragödin am Theatre Français. Ich bin in Chalons erwartet, wo ich einige Gastrollen geben werde.“

Der Bürgermeister rieb die Gläser seiner Brille, und nachdem er Fräulein B. lange betrachtet hatte, sagte er: „Es ist traurig für Sie, Madame, daß ich vergangenes Jahr vierzehn Tage in Paris zubrachte und das Vergnügen hatte, Fräulein B. mehrere Mal zu sehen und zu bewundern, d. h. Madame, daß Ihre List ohne Erfolg ist, und ich gewiß weiß, daß Sie nicht Fräulein B. sind.“

„Das ist zu stark!“ rief Fräulein B. heftig.

„Nein, nein, und hundert Mal nein, Fräulein B. ist vielleicht zehn Jahre jünger als Sie, sie ist viel schöner und, sein Sie nicht ungehalten, blühender als Sie.“

Fräulein B. wurde roth vor Aerger und so hastig gegen den Herrn Bürgermeister, daß dieser genöthigt war, den Gensd’arm zu rufen. Bei dem Anblick ihres Gensd’arms beruhigte sie sich und sagte: „Ich will Ihnen beweisen, daß ich Fräulein B. bin. Geben Sie mir gefälligst eine Viertelstunde, und Sie werden sich von der Wahrheit überzeugen.“

Die Schauspielerin ging in ein Nebenzimmer und nachdem sie nach dem Hotel nach Garderobe geschickt, kleidete sie sich als Iphigenie an. Es war inzwischen dunkel geworden, die Lichter wurden angezündet, die Fenster geschlossen, als Fräulein B. eintrat. Es war nicht mehr die Reisende im Tibetkleide und dem Atlashut, es war die Prinzessin von Aulis mit ihrem Diadem von Gold und Edelsteinen.

Sie trat ein und declamirte die herrlichen Verse von Racine; der Bürgermeister rief voll Erstaunen und ganz entzückt aus: „Jetzt erkenne ich Dich, o göttliche B.! Ja, Sie sind es, Du bist Iphigenie, Phädra und Zaïre, Du bist Alles; ja, Sie können ohne Paß reisen, Sie haben keinen nöthig; wollen Sie, daß ich Sie durch meine Gensd’armen escortiren lasse, große herrliche Tragödin?“

Fräulein B., die im Zuge war, declamirte immer; der Bürgermeister hatte schon lange seinen Racine herbeigeholt und las alle passenden Stellen und Antworten.

Aber plötzlich erhob er sich, er war wie hingerissen, ein dramatischer Dämon hatte sich seiner bemächtigt; er riß das Tischtuch vom Tische, machte sich einen Mantel daraus und nun war er auf der Bühne; er spielte die Rolle des Eriphile.

„Bravo!“ sagte Fräulein B., „bravo, mein bester Herr Bürgermeister, Sie sind gottvoll in dieser Rolle.“

„Sie sind es, o liebenswürdige B.,“ rief der Bürgermeister ganz begeistert, „Sie sind es, welche mir diesen göttlichen Funken eingeflößt hat, Sie machen aus mir einen Künstler. Ich folge von nun an Ihren Schritten, Sie gehen nach Chalons, ich gehe auch hin, und wir spielen mit einander die Tragödien von Racine und von Voltaire.“

Fräulein B. fand den Vorschlag sehr belustigend und ermuthigte den Bürgermeister durch übertriebenes Lob und Schmeicheleien, sie versicherte ihm, er habe ein großes Talent, und brachte es so weit, daß er sich mit ihr in den Wagen setzte und nach Chalons fuhr, wo er sogleich dem Director des dortigen Theatern vorgestellt werden sollte, um am andern Tag mit Fräulein B. in der Rolle des Eriphile aufzutreten.

Gegen Morgen, nachdem der Bürgermeister die ganze Nacht bei kühlem Wetter gefahren war, obgleich immer noch eingehüllt in sein Tischtuch, fühlte er seine Begeisterung gewaltig abnehmen, er überdachte seine Lage und bat Fräulein B., das größte Stillschweigen hierüber zu beobachten und von dem Abenteuer, welches ihn nach Chalons geführt, nichts zu erwähnen. Fräulein B. versprach zu schweigen, und der Bürgermeister kehrte eilig, nachdem er sich seines Tischtuchs entledigt, nach Hause zurück. –




Aus dem Gemüthsleben der Thiere. Eine sehr hübsche Beobachtung aus dem Pflegeelternwesen der Thiere verdient wohl in weiteren Kreisen bekannt zu sein. Der Franzose le Vaillant, ein Sohn des berühmten Naturforschers und Reisenden in Afrika, erhielt zwei Weibchen der kleinen Maus der Berberei (Mus barbarus) mit je vier noch säugenden Jungen. Le Vaillaut brachte beide zusammen in ein Behältniß, bereitete jeder ein Nest und erwartete nun, daß jede Mutter ihren Kindern die nöthige Pflege und Wartung angedeihen lassen werde. Dem war jedoch nicht so; jede der Mütter wollte vielmehr die Pflege aller acht Jungen ganz allein übernehmen. Es entspann sich darüber ein wüthender Kampf zwischen beiden Alten; endlich mußte die Eine, wundenbedeckt, der Andern das Schlachtfeld überlassen und für sich selbst eine ruhige Stätte suchen. Sie bauete sich aus den übrigen Halmen und anderen Reststoffen ein Lager und verkroch sich in demselben. Die Andere übernahm nun sofort die Pflege der Jungen, säugte, leckte und reinigte sie und überdeckte sie mit ihrem Körper, um sie zu wärmen. Sie erfüllte eine Zeit lang alle Mutterpflichten mit großer Liebe und Hingebung; bald aber schwanden ihr hierzu die Kräfte, die Milch versiechte und die Kleinen blieben ungestillt. Das nahm die andere Mutter wahr, und augenblicklich verließ sie ihr Schmerzenslager, kehrte zu den Jungen zurück, bemächtigte sich des Nestes und erfüllte nun ihrerseits die Mutterpflichten an sämmtlichen Kleinen. Die andere Mutter blieb nicht ungerührt, sie schloß Frieden mir ihrer Widersacherin und theilte sich mit ihr freundschaftlich in die Freuden und Leiden der Mutterschaft. Beide Alten übernahmen fortan wechselseitig die Pflege der Kleinen, bis diese heranwuchsen und der Mutterbrust nicht mehr bedurften.

Unter den Vögeln kommen ähnliche Fälle häufiger vor. Faber beobachtete z. B., daß eine Bachstelze einen Schneesporner vom Neste trieb, um dessen Eier zu bebrüten, und erzählt dabei, daß es eine im Norden wohlbekannte Sache sei, verschiedene Enten auf ganz fremden Nestern brütend zu finden. Namentlich die Bergente (Anas marila) treibt gern Andere ihrer Sippschaft von ihren Eiern weg und setzt sich aus das Nest, oder aber scharrt sich aus umliegenden Nestern so viele Eier in ihr eigenes, als sie bedarf, um dasselbe zu füllen. An den Brutansiedlungen der nördlichen Seevögel lauern beständig hagestolze oder unbeweibte Männchen der Alke und Larventaucher auf den Augenblick, an welchem ein brütende Weibchen aus Hunger sein Nest verläßt, um dann die Bebrütung des Eies zu übernehmen etc. Verwaiste oder erkrankte Vögel werden fast immer von Mitleidigen ihrer Art oder ganz Fremden verpflegt und gewartet. – Doch darüber ein anderes Mal ausführlicher. – Jedenfalls wirft obige Mittheilung ein sehr freundliches Licht auf das Gemüth der Thiere.

Dr. A. E. Brehm.




Die zweite Sündfluth. Am ersten November 1570, am Tage aller Heiligen, wurde Ostfriesland von einer Wasserfluth heimgesucht, die eine der größten ist, die sich je an dieser Küste ereignet hat. Sie ist in der Geschichte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_707.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2023)