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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

gibt diesen Blick nur in einer Seitenansicht, während sich freilich auf der andern Seite eine Aussicht auf die Pasterze und auf die Glocknergruppe öffnet, welche man übrigens noch schöner hat, wenn man am andern Tage eine Gletscherreise über die Pasterze von Heiligenblut aus unternimmt. Der Erzherzog Johann von Oesterreich, ein Mann, der nach Schaubach’s und Hoppe’s Tode unter allen jetzt lebenden Menschen die deutschen Alpen wohl am besten kennt und zu würdigen weiß, war ganz meiner Ansicht und hatte mir in einer diesen Gegenstand berührenden Unterhaltung in Wildbad unter allen andern Uebergängen den Uebergang über das Hohe Thor angerathen. Ich war deshalb bis nach Bruck zum Eingange des Fuscher Thals gefahren, und von dort aus zum Fuscher Tauernhaus Tags zuvor hinaufgestiegen. Es hat bereits eine Meereshöhe von 3657 Fuß und steht am Eingange des obersten Thalkessels des Fuscher Thals, seines sogenannten Naßfeldes, einer zwei Stunden langen, grünen, mit Matten, Felsblöcken und Sennhütten bedeckten, kleinen Hochebene, von steilen, nach unten noch bewaldeten Felsen umschlossen. Den Hintergrund bildet eine tiefbeschneite Felsenkette, eine Reihe prächtiger Hochgipfel, zwischen denen vielfach zerklüftete Gletscher sich hinabsenken. Der untere Theil der Fusch bildet eins der schönsten Seitenthäler der Salzach und ist ganz verschieden von den andern Querthälern, welche sich auf das Salzachthal öffnen. Seinen Eingang bildet kein verwildertes Hochgebirgsbild, keine düstere Thalenge, in der eine wilde Ache braust, wie die Oeffnung des Rauriser Thals, kein langgestreckter, hinansteigender Paß mit einem nächtlichen Abgrund zur Seite des an die Felsen hinanklimmenden Weges, wie das Gasteinerthal; sondern das Thal öffnet sich weit, sanft, fast eben ansteigend, auf der mit grünen Matten und grasreichen Wiesen bedeckten Thalsohle, zwischen denen die Ache ruhig hindurchgleitet, braune Sennhütten, weiße Häuser und weidende Heerden. Das Urgebirge steigt zu beiden Seiten hoch hinan, aber es ist vom Scheitel bis zur Sohle bewaldet; nirgends treten die braunen Felsen hervor, nur der Hintergrund hat durch die hie und da heraustretenden, schneegefleckten Felskuppen eine etwas ernstere Färbung. Erst in der Mitte, wo das Weichselbacherthal links hereinzieht, beginnt die Steigung, die Thalwände treten enger zusammen, und man hört das Brausen der Ache in der Tiefe, während die dichte Waldung, welche den ganzen Thalgrund einnimmt, ihre weißschäumenden Stürze verbirgt. Dann erhebt plötzlich der Sonnenwelleck sein schönes, weißes Haupt über einen grünen, das Thal in der Quere durchschneidenden Sattel, und mit jedem Schritt, den man nun bis zum Fuscher Tauernhaus aufwärts steigt, tritt die Tauernkette, welche den Hintergrund des Naßfeldes bildet, immer imposanter und majestätischer hervor.

Es war kaum fünf Uhr, als der Rederer und ich dieser wunderbar großartigen Kette entgegenschritten. Die Sonne war noch nicht über die hohen Thalwände hinaufgestiegen; nur der matte Schimmer des erwachenden Morgens lag über den Schneefeldern und Gletscherabstürzen ausgebreitet. Das Firmament war ohne einen Wolken- oder Nebelstreif; dennoch schritt der Führer tüchtig darauf los, mich mehrmals zur Eile anspornend. Der Rederer ist der zuverlässigste Führer für diesen Theil der nördlichen Tauernkette; Niemand kennt hier das Wetter, den Wind und die Hochsteige so genau, wie er; ich enthielt mich deshalb jeder Opposition, obschon ich in der That nicht begriff, warum und woher eine Wetterveränderung heute so schnell eintreten solle. Wir waren mit Mundvorräthen, Wein und Wachholderbranntwein auf einen ganzen Tag versehen, da der Uebergang selbst bei günstigem Wetter neun bis zehn Stunden in Anspruch nimmt; außerdem trug Rederer ein Seil, Steigeisen und eine Gemsbüchse als Ausrüstung für eine von mir projectirte Gletschertour des folgenden Tages auf dem Rücken. Wir sahen aus, als wenn wir unsere Tour nach Heiligenblut direct über die Eisfelder des Globen oder des Brennkogl nehmen wollten, und ein Senner, der uns entgegenkam, nahm deshalb Gelegenheit, uns wegen einer möglichen Witterungsänderung einen derartigen Versuch durchaus abzurathen. Nachdem wir eine Stunde gegangen waren, stiegen wir links an der Thalwand hinan. Ein uralter, sehr schmaler Saumweg führt von hier in immer sich wiederholenden, ziemlich geschickt angelegten Windungen in vier starken Stunden zum Fuscher Thörl, einem Einschnitt in dem Seitenrücken, welcher die Thäler Fusch und Rauris trennt, hinan. Durch diesen Einschnitt hat man zu steigen, um über den Fuscher Tauern in den westlichen Seitenwinkel der Rauris zu kommen, in den sog. Seidlwinkel, eine öde Steinwüste, durch welche man in wiederum zwei sehr mühsamen Stunden auf das Hohe Thor, einen ähnlichen Einschnitt des Bluter Tauern, gelangt. Hat man das Hohe Thor erreicht, so ist jede Schwierigkeit des Weges überwunden und man steigt dann in drei Stunden ziemlich bequem nach Heiligenblut hinab. Bis hierher hoffte Rederer vor einem Umschlag des Wetters mit mir zu gelangen. Indeß war mit dem Rederer selbst bei schlechtem Wetter der Uebergang recht gut zu wagen; selbst im stärksten Nebelwetter hatte er den Pfad noch nie verfehlt, obschon ich Niemandem rathen möchte, mit einem andern Führer dies Wagestück zu unternehmen. Erst im verflossenen Frühjahr hatte der Seidlwinkel wieder sieben Opfer gefordert. Bauern aus Heiligenblut und aus der Rauris hatten bei Nebelwetter den Uebergang versucht, hatten die Scharte des Hohen Thores nicht ausfindig machen können, und waren nach stundenlangem Umherirren in der Steinwüste und auf den Trümmermeeren erfroren.

Der Saumpfad, den wir hinanstiegen, war so tief ausgetreten, daß wir nur mit halbem Leibe aus der engen Gasse hervorragten, und zog sich nirgends sehr steil hinan. Dennoch wäre mir selbst bei weit größerer Steilheit der Weg bei der bei jedem neuen Aufstieg sich immer großartiger entfaltenden Aussicht auf die Hochgebirgskette, welche den letzten Kessel des Fuscher Thals umschließt, nicht schwer geworden. Jeder Alpenreisende weiß, daß, wenn man eine Thalwand hinansteigt, sich die gegenüberliegende Thalwand für das Auge immer höher erhebt, je höher man selbst steigt, natürlicherweise, wenn sie selbst die höhere ist. Es ist dies eine Täuschung der Sinne, aber eine Täuschung, welche zu den großartigen Aussichten bei einem Jochübergange sehr viel beiträgt. Alle mir gegenüber sich erhebenden Gipfel hatten eine Höhe über 10,000', alle waren also mit ewigem Schnee bedeckt, und jeder Gipfel sandte einen oder mehrere riesige Gletscher hinab. Ich sah, es war eine der großartigsten Aussichten, welche ich jemals in den Alpen gehabt hatte, welche sich vor meinen Blicken allmählich entfaltete. Nach zwei Stunden Steigens hatten wir die Hälfte des Aufstieges erreicht. Eine wunderbar klare Quelle rieselte aus dem Gestein hervor; es war der Petersbrunnen. Das Bild des Apostels Petrus, durch eine starke Holzblende gegen die Witterung geschützt, hat ihr den Namen gegeben. Wir standen bereits hoch genug, um über die Thalwände des Salzachthals, des Längenthals, auf welches das Fuscher Thal mündet, hinwegsehen zu können. Die Kalkalpen, das Steinerne Meer, der Watzmann, das Tauerngebirge erhoben nordwärts ihre Zacken, Spitzen und Risse. Die Sonne war jetzt vollständig über der Thalwand, an der wir hinanklimmten, hinaufstiegen und beleuchtete die uns gegenüberliegende Kette des Urgebirges und die thalauswärts sich erhebenden Kalkzinnen. Noch konnte ich keine Spur einer Wetterveränderung wahrnehmen. Nach wenigen Minuten Rastens trieb Rederer indeß wieder zur Eile, und wir stiegen eilig in das sogenannte obere Naßfeld des Fuscher Thals hinan. Der Wald war hier gänzlich verschwunden, selbst das Krummholz hatte aufgehört, nur ein spärlicher Graswuchs bedeckte den mit Geröll, Steinen und Felsentrümmern bedeckten Boden. Ein Kreuz bezeichnete uns die Höhe des Aufstiegs. Fast ohne uns umzusehen, stiegen wir in kaum zwei Stunden hinan. Kurz vor der Höhe traten neben der Pyramide des Sonnenwellecks zwei schlanke weiße Spitzen, durch eine Scharte von einander getrennt, hervor: es war der Großglockner.

Was soll ich von der Aussicht sagen, welche sich oben in ihrer ganzen imposanten Größe jetzt eröffnete? Pinsel und Palette des Malers würden nicht im Stande sein, sie wiederzugeben, was vermögen also die schwarzen Buchstaben! Weder vom Wormserjoch, noch vom Gornergrat, weder vom Gipfel des Faulhorn, noch am Montblanc baut sich dem verwunderten Auge ein so imposantes Schnee- und Gletscheramphitheater in so grandiosen Umrissen und in solcher Nähe auf. Die berühmt gewordene Aussicht von der Wengernalp ist gegen diese Aussicht unbedeutend zu nennen. Nur die Breite des hintern Kessels des Fuscher Thals trennte mich von wenigstens funfzehn der bedeutendsten Hochgipfel in den Alpen, zwischen denen über zehn kolossale Gletscher und Eismeere in lichtgrünen Stufen hinabstiegen. Die Reihe dieser Schneeriesen begann zunächst am Fuscher Tauern die runde Kuppel des Brennkogl und der weiße Rücken des Globen, an den sich der Gipfel des Spielmann lehnte. Die zwischen ihm und dem Bärenkopf sich klüftende Pfandlscharte bedeckt ein grünfunkelnder Eisstrom, an dessen anderer Seite die schöngeformte Pyramide des Sonnenwellecks sich erhob und sich an den schneeumhüllten Fuschkahrkopf lehnte. Wie ein plötzlich

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