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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

will. Ich behaupte, daß jenes Verschwinden von werthvollen Kostbarkeiten aus der Schatzkammer der Fürsten von X. sich wiederholen wird, falls nicht in Bälde über das Verbleiben der bereits unsichtbar gewordenen Gegenstände etwas Bestimmtes ermittelt werden kann.“

„Welche Tollheit!“ sprach der Domcapitular. „Wüßte ich nicht, daß nur der Hang, eine absonderliche Meinung für sich allein zu haben, Sie zu einer so absurden Behauptung veranlaßt, ich wäre wahrhaftig im Stande, an Ihrer vollen Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln.“

„Von meinem körperlichen Wohlbefinden können Sie sich überzeugen, wenn Sie meinen Puls fühlen wollen,“ versetzte Aurelio, „und daß ich nicht an geistiger Ueberspanntheit leide, will ich Ihnen beweisen, wenn Sie mich auf die Probe stellen wollen. Aber geben Sie Acht, ich behalte. Recht, immer angenommen, daß der Schleier des Geheimnisses nicht gelichtet wird.“

„Eine solche Wette halte ich für sündhaft,“ sagte Rütersen verdrießlich.

„Ich finde sie spaßhaft,“ versetzte der Graf, „und den Gegenstand ganz zum Wetten angethan, weil wir Beide gerade gar nichts wissen, der Eine also gerade so viel Recht hat oder haben kann, als der Andere. Wetten wir deshalb der bloßen Unterhaltung wegen! Wir sind ja nicht betheiligt, wir kennen nicht einmal die Namen der Personen, um die es sich handelt, wenigstens sind mir Name und Schauplatz ein verhülltes Bild von Sais.“

Der Domcapitular wendete sich schweigend ab, da er dem Manne seiner Nichte, den er so hoch achtete, keine zu unfreundliche Antwort geben mochte.

„Ich mache Ihnen einen annehmbaren Vorschlag,“ fuhr Aurelio von Weckhausen fort. „Werden binnen einem Jahre die Urheber des unbegreiflichen Verschwindens der bewußten, uns jedoch unbekannten Schätze ermittelt und sind dies Menschen von Fleisch und Bein, so verzichte ich zu Gunsten der milden Stiftung für unvermählt gebliebene Töchter unbemittelter Beamter auf jenen Erbschaftsantheil, den Sie vor Abfassung des letzten Codicills zu Ihrem Testamente derselben bestimmt hatten. Tritt dagegen der von mir angedeutete Fall ein, so machen Sie sich anheischig, den alten Schmuck, welchen ich meiner lieben Rosaura schenkte, auf Ihre Kosten anders fassen zu lassen. Sie dürfen dies, weil man Juwelen, welche Sie einem Juwelier einhändigen, nicht so genau betrachten wird, wie von andern Personen überbrachte. Rosaura wünscht diese Fassung schon längst, ich weiß es, und ich bin genöthigt, ihr diese kleine Freude zu versagen, weil ich eine unbezwingliche Scheu habe, mich von Juwelieren, von Menschen, welche Handel in ganz gewöhnlichem Sinne treiben, wenn es ihnen gerade einfällt, examiniren lassen zu müssen.“

Die scherzhafte Art, wie der Graf diesen Vorschlag machte, versöhnte den Domcapitular mit demselben. Es schien ihm nicht wahrscheinlich, daß der von Aurelio für möglich gehaltene Fall sich ereignen könne. Auf der andern Seite hatte man es ihm schon mehrmals verdacht, daß er in einem Anfall von Verdruß der erwähnten Stiftung eine Schenkung wieder entzog, die seine Nichte bei dem bekannten Reichthum des Grafen recht gut entbehren konnte. Endlich hörte er die Stimme Rosaura’s im Nebenzimmer, die ihn jederzeit willfährig stimmte. Er mußte Aurelio in Bezug auf Rosaura Recht geben, auch konnte er den Widerwillen des Grafen gegen Ausfragen Unbefugter sehr wohl begreifen. Dies Alles zusammengenommen brachte Rütersen auf andere Gedanken. Er reichte Aurelio die Hand und sagte:

„Der jungen Gräfin zu Liebe will ich ausnahmsweise einmal Thor mit Thoren sein. Ich nehme Ihre Wette an, Herr Neffe, aber halten Sie nun auch die Augen offen, daß man Ihnen nicht etwa ein X für ein U macht! Verlieren Sie, so sind Sie das Capital, das Ihrem dereinstigen Erben zu Gute kommen sollte, gewiß und wahrhaftig los!“

„Und Sie, mein gnädigster Herr Oheim,“ bemerkte der Graf. „Sie sollen, wenn ich gewinne, gewiß und wahrhaftig mir einen Schmuck einhändigen, wie ihn noch nie ein Mann seiner glücklichen Frau zum Geschenk überbrachte.“




5. Ein Rechtsfall.

Rosaura, die sich in ihrem Zusammenleben mit Aurelio sehr glücklich fühlte, erfuhr nichts von diesem Abkommen. Der jungen, von Hunderten beneideten Gräfin vergingen die Tage in immer gleicher Heiterkeit und geselliger Zerstreuung. Der Graf selbst sah am liebsten ebenfalls Gesellschaft um sich, und da er gegen seine Gewohnheit diesmal Monate lang daheim blieb, nur der Gesellschaft, seiner Frau und dem Umgange mit den Musen lebend, so erweiterte sich der Kreis der Gäste, welche in dem gräflichen Hause verkehrten, bedeutend. Dieses war überhaupt nach und nach der Mittelpunkt gesellschaftlicher Zusammenkünfte geworden, da es mehr Räumlichkeit darbot als die Wohnung des Domcapitulars. Auch besaß Rosaura in ihrer ausgesucht glänzenden Häuslichkeit eine größere Anziehungskraft für Einheimische und Fremde, als der unbeweibte, zwar höchst zuvorkommende, aber bisweilen doch etwas stumpf werdende Domcapitular.

In dieser Zeit schlossen sich dem engern Gesellschaftscirkel des Grafen von Weckhausen mehrere neue Mitglieder an, unter denen eins der aufgewecktesten und durch seine Stellung im Staate einflußreichsten der Obergerichtsrath Bornstein war. Durch Rütersen in das Haus seiner Nichte eingeführt, fand der Graf sehr bald Gefallen an diesem kenntnißreichen Manne. Bornstein unterhielt sich seinerseits wieder gern mit Aurelio, weil er ein scharfes Urtheil in ihm entdeckte. Die vielen Reisen des Grafen und dessen Kenntnisse von Ländern und Nationen machten längere Gespräche mit ihm zu belehrendem Genuß auch für höher Gebildete.

„Weshalb treten Sie nicht in den Staatsdienst, Herr Graf?“ sagte eines Tages, wo man sich auf eine Discussion über politische Gegenstände tiefer eingelassen hatte, der Obergerichtsrath. „Es ist unrecht, daß Sie Ihr Pfund vergraben, anstatt zum Besten des Allgemeinen damit zu wuchern. Eine Ihren Fähigkeiten angemessene Carriere wäre Ihnen gewiß.“

„Ich liebe die Unabhängigkeit über Alles,“ erwiderte Aurelio mit verbindlichem Lächeln, „und ich muß aus voller Ueberzeugung mit Marquis Posa ausrufen: Ich kann nicht Fürstendiener sein!“

„Das ist sehr edel von Ihnen gedacht, Herr Graf,“ warf Bornstein ein, „indeß ist man nicht eigentlich Diener, wenn man regiert. Man gewinnt durch scheinbare Unterordnung unter einen höher Gestellten Gewalt über diesen und gebietet eigentlich, wo man nur Wünschen nachzukommen vorgibt. Das aber ist eine Wirksamkeit, mit der sich auch der unabhängigste Charakter befreunden kann.“

„Meine auswärtigen Geschäfte, meine Verbindungen, die sich ohne großen Nachtheil für mich nicht würden lösen lassen, gestatten mir die Uebernahme eines Amtes durchaus nicht,“ meinte der Graf.

„Ich bedaure das,“ sagte der Obergerichtsrath, „namentlich auch deshalb, weil ich fürchte, Sie könnten uns eines Tages für immer verlassen.“

„Unmöglich ist dies allerdings nicht,“ entgegnete Graf von Weckhausen. „Meine Frau dringt ohnehin fortwährend mit Bitten in mich, ich solle sie doch endlich einmal mit nach Spanien nehmen. Lange, das fühle, ich, kann ich diesen Bitten nicht mehr widerstehen; sieht aber Rosaura erst dies wunderbare Land, athmet sie die balsamische Luft von Cadix und Malaga, dann wird es ihr schwer fallen, für immer von dieser herrlichen Natur Abschied zu nehmen.“

„In Geschäften zu reisen, auch wenn man eher das Bedürfniß nach Ruhe als nach den Unregelmäßigkeiten eines unbequemen Lebens in Gasthäusern fühlt, muß doch auch seine Unannehmlichkeiten haben,“ warf der Obergerichtsrath ein.

„Für nicht daran Gewöhnte ist es ohne Zweifel lästig,“ sagte Aurelio, „mich zerstreut und erfrischt es.“

„Sie haben aber, wie der Herr Domcapitular einige Male andeutete, nicht selten auch Verdruß und sind bisweilen sogar harten Verlusten ausgesetzt.“

„Romantische Schlagschatten, die nur dazu beitragen, die Lichtseiten eines von Aufregungen mannichfacher Art bewegten Lebens zu erhöhen.“

„Ist Ihnen die fürstliche Familie O* bekannt?“ fragte der Obergerichtsrath, von dem eigentlichen Gesprächsthema abspringend. „Sie muß, wenn ich nicht irre, in der Nähe Ihrer Quecksilbergruben Besitzungen haben.“

„Diese Annahme beruht auf einer Verwechselung,“ versetzte der Graf, „Die Herzöge von O** sind es, deren Ländereien mit meinen Besitzungen grenzen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_726.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2023)