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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Reisenden diejenige Strömung zu wählen im Stande sind, welche sie für die vortheilhafteste halten.

Um mit Schiffen oder Städten in Verbindung treten zu können, wird der Ballon hundert kleine Fallschirme und eben soviel Kautschuksäcke mit Briefen und Zeitungen mit sich nehmen und dieselben auf große Schiffe und auf Städte hinablassen, über die man hinfährt. Daß es dem neuen Fahrzeuge an den verschiedensten Instrumenten nicht fehlt, versteht sich von selbst, da mehrere Naturforscher die Reise mit zu machen und allerlei Experimente anzustellen gedenken.

So viel man von den Regionen weiß, welche die kühnen Reisenden durchschiffen wollen, gibt es eine Luftströmung, die unveränderlich, in einer gewissen Höhe, von Westen nach Osten geht. Das Hauptbestreben wird also zunächst sein, diese Strömung zu erreichen und zu benutzen. Gelangen sie gleich im Anfang dahin und bleiben sie auf der ganzen Fahrt darin, so würden sie Spanien schon nach drei Tagen erreichen. Sollte die Luftströmung abweichen oder der Ballon aus derselben herausgetrieben werden, so gedenkt man entweder im Norden, in England oder Frankreich, oder im Süden, in Spanien, Portugal oder Afrika, zu landen.

Die Stube im Korbe.

Damit es der Reise auch an einer ausführlichen und getreuen Beschreibung nicht fehle, wird die Expedition ein New-Yorker Journalist begleiten, und um nichts zu versäumen, was von dem Fortgang der Reise etwa Nachricht geben kann, nimmt man auch eine Anzahl Brieftauben mit, die mit Reiseberichten von Zeit zu Zeit losgelassen werden sollen.

Es bleibt nur noch zu erwähnen, daß Carlincourt Lowe, der Unternehmer, ein junger Mann von siebenundzwanzig Jahren ist, der Chemie studirte und sehr bald der Luftschifffahrt sich widmete. Bereits hat er sechsunddreißig glückliche größere und kleinere Luftreisen gemacht, und die Vorbereitungen zu der Fahrt über den Ocean beschäftigen ihn seit länger als einem Jahre. Sein großer Ballon mit der ganzen fertigen Einrichtung ist gegenwärtig in New-York ausgestellt, die Zeit der Abfahrt aber noch nicht fest bestimmt.




Wunderdoctoren und Magnetiseure.[1]

Der Arzt Paracelsus. – Sein Mumiensaft. – Bereitung der Waffensalbe aus Menschenschädelmoos. – Wie zwei Personen mittelst eines sympathetischen Alphabets correspondiren können. – Die Besessenen. – Besessene Weiber. – Mesmer, der Begründer des thierischen Magnetismus.

Der wunderbare Einfluß der Einbildungskraft bei der Heilung von Krankheiten ist eine bekannte Sache. Eine Bewegung der Hand oder ein Blick des Auges versetzt einen schwachen und leichtgläubigen Patienten in Schweiß oder Krämpfe, und eine Brodpille bewirkt, wenn sie mit genügendem Glauben eingenommen wird, eine Cur, besser als alle Heilmittel, welche die Pharmakopöe aufzuweisen hat.

Bei der Belagerung von Breda curirte der Prinz von Oranien alle seine Soldaten, die zu Dutzenden am Scorbut starben, durch eine philanthropische Charlatanerie mit Vorwissen der Aerzte, als alle anderen Mittel sich als fruchtlos erwiesen hatten. Der Prinz schickte nämlich den Aerzten zwei oder drei kleine Phiolen, die einen Absud von Kamillen, Wermuth und Kampher enthielten, und befahl ihnen, vorzugeben, es sei eine Medicin, die mit ungeheuren Kosten und unter vielen Gefahren aus dem Orient herbeigeschafft worden, und so stark, daß zwei bis drei Tropfen davon einer ganzen Kanne Wasser unfehlbare Heilkraft mittheilten. Die Soldaten hatten Vertrauen zu ihrem Commandanten, nahmen die Medicin mit freudiger Zuversicht und genasen in kurzer Zeit. So oft sich der Prinz sehen ließ, umringten sie ihn in Gruppen von zwanzig und dreißig Mann auf einmal, lobten seine Geschicklichkeit und überhäuften ihn mit Betheuerungen ihrer Dankbarkeit.

Dergleichen Beispiele ließen sich zu Hunderten erzählen, besonders aus der Geschichte des Hexenwesens.

Zu der Zeit, als die Goldmacherei und Alchymie überhaupt allmählich in Verfall kam und sich immer mehr Stimmen dagegen zu erheben begannen, trat plötzlich ein neuer, auf die eben besprochene Macht der Einbildungskraft gegründeter Schwindel zu Tage und fand thätige Apostel unter den Alchymisten. Die meisten derselben gaben ihr altes Gewerbe auf und wurden Magnetiseure.

Diese neue Charlatanerie erschien erst in der Gestalt des mineralischen und später des animalischen Magnetismus, unter welchem letztern Namen sie sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat und noch fortwährend Tausende hinters Licht führt. Den mineralischen Magnetiseuren gebührt als den würdigen Vorgängern der Charlatane unserer Zeit zunächst unsere Aufmerksamkeit.

Die für Paracelsus in Anspruch genommene Ehre, daß er der erste der Rosenkreuzer[2] gewesen sei, ist mehrfach bestritten worden, dagegen läßt sich schwerlich bezweifeln, daß er der erste der Magnetiseure war. Paracelsus war Arzt, wie fast alle hervorragende Adepten, und behauptete, nicht blos Gold machen und Unsterblichkeit verleihen, sondern auch alle Krankheiten heilen zu können. Er war der Erste, der in dieser letztern Hinsicht dem Magnet verborgene und geheimnißvolle Kräfte zuschrieb. Anscheinend von der aufrichtigen Ueberzeugung beseelt, daß der Magnet der Stein der Weisen sei, welcher, wenn auch nicht Metalle verwandeln, doch alle menschliche Leiden lindern und den Fortschritt der Hinfälligkeit hemmen könnte, reiste er viele Jahre lang in Persien und Arabien, um den Magnetberg aufzusuchen, von welchem in orientalischen Fabeln so viel erzählt wird.

Während er als Arzt in Basel prakticirte, gab er einem seiner Geheimmittel den Namen Azoth. Es war dies ein Stein oder Krystall, der, wie Paracelsus behauptete, magnetische Eigenschaften hatte und Epilepsie, Hysterie und andere in das Gebiet der Krämpfe


  1. Da neuerdings an allen Orten und Enden wieder Wunderdoctoren und Magnetiseure auftauchen, die nicht nur vom „Volke“, sondern just von den Vornehmen und sogenannten „Gebildeten“ am meisten aufgesucht werden, so dürfte der obige ausführliche Artikel als ein abkühlendes Mittel wohl zur rechten Zeit kommen. Den Gläubigen dürfte es dann wie Schuppen von den Augen fallen, daß der neue Schwindel schon ein sehr alter ist.
    Die Redaction.
  2. Eine geheime Gesellschaft, welche kirchliche und alchymistische Zwecke verfolgte.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_737.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2023)