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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Blätter und Blüthen.

Ein Künstlerleben. Es war im Jahre 1841, als in dem ersten Hotel am Alsterbassin in Hamburg ein Gast einkehrte, der sich in dem Fremdenbuch einfach als „Schauspieler“ anführte, obwohl ihn ein ansehnliches Gefolge begleitete. Der schöne athletisch gebaute Herr mit der kräftigen Baßstimme hatte außer einem Secretär, einem Jäger, einem Bedienten und einem Kutscher noch 5 Pferde, zwei große Doggen und eine Unzahl weißer Mäuse bei sich. Sein Name mußte wohl einen guten Klang haben, denn kaum war seine Ankunft bekannt geworden, als alle Journale sein Lob verkündeten. So oft er später auch auftrat, immer wurde er mit Jubel empfangen und sein Ruhm stieg mit jedem Tage und mit ihm seine Einnahmen. Sein Tisch lag täglich voller duftender Billets, von den schönsten Frauenhänden Hamburgs geschrieben, seine Garderobe war die glänzendste, die jemals von den Bietern geblitzt, die die Welt bedeuten, und wenn er als Otto von Wittelsbach seinen Racheschwur gen Himmel donnerte, war seine Hünengestalt von einer Rüstung bedeckt, die über 600 Thaler gekostet. Alles an und um ihn strahlte von Glück!

Achtzehn Jahre später, im November dieses Jahres, starb in einem ärmlichen Zimmer der Josephvorstadt in Wien ein Mann, dem das Schicksal in seinen letzten Tagen so wenig gelassen, daß es einer Collecte unter Freunden bedurfte, um ihm die letzte Labung zu schaffen. Immerhin ein Trost für den Kranken, daß sich doch Einige fanden, die für den Bettler – bettelten. So arm war der Mann, der sonst Hunderte für das Flitterwerk eines Abends vergeudete, daß fremde Menschen für den Betrag der wenigen Breter gutsagen mußten, die seine müden Gebeine hinaustragen sollten. Es war ein armeseliges, trauriges Schauspiel! Er, der so viele prachtvolle Abgänge im Leben gehabt, verließ heute die Erdenbühne als „abgefallener“ Künstler und nur sein Engagement auf dem Friedhof war nun ein festes! Nicht ein einziger kleiner Kranz war dem geblieben, der sonst mit Kränzen bedeckt wurde, nicht ein einziger von Freundeshand das stille Haus zu schmücken, in dem er heute seine letzte Rolle gab. Ohne Applaus, ohne Glanz und Gepränge, wie er’s doch im Leben so sehr gewohnt war, trat er sein neues Engagement an.

Der stille Mann, den sie vor wenigen Tagen hinaus getragen und der schöne hochgefeierte Herr am Alsterbassin in Hamburg – sie gehörten Beide zusammen und ruhen nun als Leiche des einst vielbeneideten Schauspielers Kunst auf dem protestantischen Kirchhofe in Wien. Als man sein ärmliches Zimmer durchsuchte, fand man nur ein kleines, in Papier eingeschlagenes, sehr einfach gebundenes Buch – eine alte Ausgabe von Schillers „Räuber.“ In dem Buche lag ein schon vergilbtes Briefchen folgenden Inhalts:

„Herrn Wilh. Kunst beehre ich mich, dieses Exemplar von Schiller’s „Räuber“ aus der mir überkommenen Bibliothek meines Vaters, des Verfassers, als Denkmal dankbarer Anerkennung der gestern auf hiesigem Theater ganz ausgezeichnet, gegebenen Darstellung der Rolle des Grafen Carl von Moor mit der ganz ergebensten Bitte zu überreichen: „Sich des Sohnes des Dichters auch in der Ferne freundlichst zu erinnern.“ Trier, den 8. März 1835. Ernst v. Schiller, königlich preußischer Oberappellationsgerichtsrath in Köln.“

Das Buch war des Künstlers ganzer Nachlaß!

K.


An die Redaction der Gartenlaube. In dem Berichte Ihres Blattes über Schiller’s Begräbniß ist des verstorbenen Oberconsistorialraths Günther in einer Weise gedacht, als wenn er, seinem bekannten wohlwollenden Charakter ganz entgegen, die Sache nur eben geschäftsmäßig ohne alle Theilnahme des Herzens betrieben, namentlich die Beisetzung des Sargs im Cassengewölbe aus Standesrücksichten angeordnet hätte. Diese Insinuation zerfällt in sich selbst, wenn man bedenkt, daß überall in Deutschland der Geistliche nicht Leichenbestatter ist und lediglich die Hinterlassenen innerhalb der geschlichen Grenzen über die Art der Bestattung zu verfügen haben. Hat sich also Günther der Sache näher angenommen, so ist dies nur aus Gefälligkeit gegen die Wittwe, in ihrem Auftrage und in den Grenzen dieses Auftrags geschehen. Zu einer solchen Insinuation gegen den längst Verstorbenen war also gar kein Grund vorhanden. Aber auch das Verfahren der Wittwe erklärt sich dadurch, daß damals in Weimar die stillen nächtlichen Beerdigungen üblich waren, und daß sie die Beisetzung im Cassengewölbe nur als eine vorübergehende betrachtete, da sie Aussicht hatte, den Sarg später auf ein eignes Besitzthum der Familie übertragen zu können – eine damalige Lieblingsidee, wie ja auch Bertuch in seinem Garten eine Familiengruft erbaut und Wieland sich in Oßmannstädt ein Grab bereitet hatte.

Das ganze Gerede taucht übrigens jetzt nicht zum ersten Male auf (nur der Seitenblick auf Günther ist neu), und ist auch bereits vor neunundzwanzig Jahren durch die Schwägerin Schiller’s, Caroline v. Wolzogen, in „Schiller’s Leben aus den Erinnerungen der Familie“ etc. auf sein richtiges Maß zurückgeführt worden, wo es S. 307 im II. Theile wörtlich lautet:

„Den vielseitigen, meist aus gutmüthigem Eifer verbreiteten Gerüchten über die Aufbewahrung der irdischen Ueberreste unsers Freundes bin ich folgende Aufklärung schuldig. Der Sarg, mit Schiller’s Namen bezeichnet, ward in einem Gewölbe aufbewahrt. Auf verschiedene Anträge zu einer andern Bestattung ging meine Schwester nicht ein, weil ihr die Idee des wackern Becker und des Grafen Benzel-Sternau, ein Gut für Schiller’s Hinterlassene, das Schillershain heißen sollte, zu erkaufen, wo seine Ueberreste auf Grund und Boden der Familie ruhen sollten, zu sehr am Herzen lag. Die unglücklichen Kriegsstürme, die über das Vaterland hereinbrachen, störten die Ausführung dieses schönen Plans.“

     Jena, den 18. November 1859.

F. J. Frommann.



[Werbung wird nicht transkribiert]



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_740.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)