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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Warst Du bei ihm, als er starb?“

„Leider nicht, denn der Tod trat plötzlich ein.“

„Aber war doch nicht allein damals?“

„Keineswegs, meine Geschwister und meine Mutter waren bei ihm,“ – Als ich meine Mutter nannte, verneigte sich der Alte sehr höflich und frug dann:

„Wie geht es Deinen Brüdern?“

„Es lebt nur noch Einer, und ihm geht es gut.“

„Wohnt Ihr zusammen in derselben Stadt?“

„Ja wohl.“

„Wie beschäftigt er sich?“

„Er ist Künstler.“

„Und Deine Kinder, wie geht es ihnen?“ (Jetzt kam also die dritte Generation zur Sprache.)

„Ich habe keine, ich lebe noch allein.“

„Aber Deines Bruders Kinder, sind sie wohl?“

„Vollkommen, so viel ich weiß.“

„Hast Du kürzlich Briefe von Haus empfangen?“

„Vor vierzehn Tagen in Istambul die letzten.“

Es half mir nichts, daß ich meine Antworten möglichst kurz und trocken gab, der Alte war viel zu höflich, als daß er sich nicht nach Allem, ausgenommen die Frauen, erkundigt hätte. Nur nach der Mutter frug er einmal indirect. Er wollte dadurch zeigen, einen wie innigen Antheil er an mir und meinem Schicksal nähme. Nach den Familien-Angelegenheiten kam meine Reise an die Reihe, und er erkundigte sich auf’s Genaueste nach Constantinopel, wo er vor fünfzig Jahren einmal gewesen war, frug dann, wohin ich später ginge, und als er hörte: Egypten, schwieg er eine Weile still, als erinnere ihn der Name an etwas. Ich erkundigte mich, ob er etwa dort gewesen sei, was er verneinte, und dann, da er hörte, daß ich in Unruhe sei, etwa traurige Erinnerungen in ihm geweckt zu haben, fügte er hinzu, sein ältester Bruder sei dort vor einigen Jahren gestorben. Nun war ich aus Höflichkeit verpflichtet, mich nach seiner Familie zu erkundigen und alle die Fragen, die er vorhin an mich gethan, jetzt in ähnlicher Weise auch an ihn zu richten. So verstrich wohl fast eine Stunde, und ich wurde nachgerade ungeduldig, so sehr ich auch meine Vorrathskammern der Geduld an jedem Morgen anzufüllen pflegte. Ich sah ein, daß ich für die Zukunft dieselben noch erweitern und vergrößern müsse, wenn ich auskommen wollte. Das ist denn auch in Egypten im größten Maßstäbe geschehen. – Ich benutzte also später eine Pause, als eben der Alte geantwortet hatte, um ihn nun zum dritten Male nach den Teppichen zu fragen. „O, das hat ja Zeit, mein Bester!“ erwiderte er. Ich war aber andrer Meinung und äußerte dies dahin, daß ich sie jetzt zu sehen wünschte. Als der Türke dies hörte, sah er mir scharf und forschend in’s Gesicht, als wolle er aus meinen Augen lesen, ob das mein Ernst sei. Seine Beobachtung mochte wohl herausgefunden haben, daß ich nicht länger warten wolle, denn er legte die Pfeife weg, stand auf, schlüpfte im Herabsteigen mit den Füßen in die am Boden stehenden rothen Schuhe und öffnete eine kleine Thür, die in ein Hintergemach führte. Wir folgten. Hier waren die Wände ringsum auch mit Fächern versehen und enthielten, außer an der vierten, nichts als Teppiche von allen Größen, Farben und Arten. Er legte uns zuerst einen vor ohne Plüsch, als ich ihn aber entschieden abwies und sagte, ich wolle einen sogenannten Challie-Teppich, d. h. der auf der einen Seite einen dichten Plüsch hat, lächelte der Alte sehr freundlich und erwiderte: „Ganz, wie Du willst! Ich gebe Dir, was ich irgend habe. Du sollst mit mir zufrieden sein!“

Nun ging er zu der linken Seitenwand, hob einen Packen herab und breitete den Teppich auf dem Boden aus. „Der ist mir zu grob; ich will von den feinsten, die Du hast! Und zwar einen von mittlerer Größe.“ Denn ich sah, daß er eben einen solchen wie ich wünschte, aber nur sehr kleinen auf den schon am Boden liegenden ausbreitete. „Gut, wie Du willst!“ und dabei nahm er aus einem andern Fach einen heraus und ließ ihn auf die frühern fallen.

Dieser war mir in Größe und Feinheit recht, aber Farbe und Muster gefiel mir nicht ganz. Ich ließ dies dem Kaufherren deutlich machen, und er sah mich dann freundlich an und nickte beifällig mit dem Kopfe, indem er sagte: „Du wirst schon einen finden, der Dir gefällt.“ Nun nahm er ein Stück nach dem andern von dem Lager herab und legte es auf das vorhergehende. Er wurde gar nicht ungeduldig, daß ich so lange und sorgsam wählte; es schien, als werde er mit größtem Gleichmuth sein ganzes Lager vor mir ausbreiten. Es lag bereits ein ziemlich hoher Haufen von Teppichen vor mir, was freilich bei der großen Dicke jedes einzelnen kein Wunder war. Doch da man ein solches Stück für Lebenszeit kauft, so hatte ich mir vorgenommen, nicht voreilig zu wählen. Als ich nun einen fand, der mir sehr gut gefiel, und dies dem Alten sagte mit dem Bedeuten, inne zu halten mit den übrigen, erwiderte er: „O nein! Sieh sie doch alle an, vielleicht gefällt Dir ein anderer noch besser!“ Er warf dann noch zwei oder drei darüber, aber ich erneuerte meine Bitte, es lassen, da mir der bezeichnete ausnehmend wohlgefiel. Er zog ihn mit Hülfe des Knaben hervor und legte ihn obenauf.

„Also dieser gefällt Dir?“

„Ja wohl! Ist er nach Deinem Urtheil gut gearbeitet?“

„Das ist er. Er gehört zu meiner besten Sorte.“

„Dieser aber ist doch noch dichter,“ sagte ich und wies ihm einen andern, sonst sehr ähnlichen.

„Wenn Du den vorziehst, so nimm ihn. Er ist gut, aber dieser ist besser und wird länger halten.“

„Warum? Er ist doch weicher und dünner.“

„Eben darum. Jene Wolle ist härter und straffer und nutzt sich schneller ab. Deine erste Wahl war die beste und zeugt für Deine kundigen Augen.“

„Ich bin weder Fabrikant noch Kaufmann, ich zog ihn nur vor, weil die Wolle sanfter war.“

„Du thust ganz recht. Auch ich halte ihn für besser.“

„Wohl, so nehme ich ihn. Was kostet er?“

„Fünfhundert Piaster.“

„Das ist mir viel zu theuer. So viel habe ich für diesen Kauf nicht bestimmt. Willst Du ihn billiger lassen, gut. Sage mir also Deinen genausten Preis!“

Hier muß ich bemerken, daß man im Orient gewöhnt ist, in den Bazars nur die Hälfte von dem zu geben, was gefordert wird. Denn die Händler verlangen dem Fremden oft unverschämte Preise ab. So sah ich z. B. unter Andern in Constantinopel einem Europäer für ein Paar gestickte Schuh 3 Pfd. Sterling (20 Thaler) abfordern, und er war im Begriff 2 Pfd. dafür zu geben, als er zufällig, da ich neben ihm stand, sich meine Meinung ausbat. Ich sagte ihm deutsch: „Die Schuhe sind höchstens 3–4 Thaler werth, denn das Gold an der Stickerei ist sehr dünn und das Andere, was Sie bewundern, sind Fischzähne, also fast werthlos. Bieten Sie höchstens ½ Pfd. Sterling.“ Er that’s, und der Grieche, der den Laden hielt, lachte mit seinen Genossen ihn darüber aus und bemerkte, er verstehe nichts von der Kostbarkeit der Waare. Der Fremde wurde dadurch irre, blieb aber auf mein Zureden bei seinem Gebot, trotzdem er noch verschiedene Male ausgelacht wurde und wollte eben den Händler verlassen, als dieser aufsprang und uns nachrannte mit den Worten:

„Signor, Monsieur, hier sind die Schuhe – da! für ein halbes Pfund, weil Sie doch einmal so viel nur geben wollen!“ Er hatte uns eingeholt und hielt den fraglichen Artikel in der Linken. Dann griff er mit der Rechten gierig nach dem dargebotenen Gold und eilte zurück. – Der Dolmetscher des Fremden stand seitab und scheute meine Augen, da er wohl längst gemerkt hatte, woher der Wind wehte. Dies nur eins der unzähligen Beispiele, wie es im Orient beim Kauf und Verkauf im gewöhnlichen Bazar für die Fremden hergeht. Der Eingeborne natürlich wird weniger betrogen; wer aber einen einheimischen Führer hat, der sehe sich vor.

Nun war mein Dolmetscher mir zwar unbekannt und ein Grieche, aber er hatte edle Züge, wie man sie in Kleinasien, besonders unter den Frauen, noch häufig findet, denn nicht alle Griechen sind entartet; ich habe unter ihnen höchst ehrwürdige, edle Menschen kennen gelernt, hüben wie drüben am Archipelagus. Zudem war er mir von einem Freunde mitgegeben – und mein Kaufmann war ein Türke. Ich hatte also die Sicherheit nicht betrogen zu werden, doch handeln muß man im Orient immer, und wenn auch nicht die Hälfte, so wird doch stets etwas nachgelassen.

Auf die Frage nach seinem genausten Preis antwortete mein Alter: „480 Piaster“ (= 4 Pfd. Sterling oder 5 Napoleonsd’or).

„Das ist mir immer noch zu theuer,“ erwiderte ich.

„Aber der Teppich ist den Preis werth, und Du wirst Dich später freuen, ihn dafür erlangt zu haben.“

„Nein, denn ich werde soviel nicht zahlen.“

„Doch, Du wirst, denn Du wirst einsehen, daß er dies werth

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_746.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)