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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Wenige Monate später stand Adam als Fahnenjunker im Studentencorps unter den Vaterlandsvertheidigern gegen die Engländer, welche Kopenhagen angriffen; Anders wurde um dieselbe Zeit Assessor des Hof- und Stadtgerichts in Kopenhagen und führte seine Sophie heim; und Hans trat eine zweijährige wissenschaftliche Reise nach Deutschland, Paris, Brüssel, Harlem und Amsterdam an, die ihn zu einer großen Anzahl strebsamer Geister in persönliche Beziehung brachte. Wir nennen nur die Deutschen Schelling, die Gebrüder Schlegel, Fichte, Schleiermacher, Ludwig Tieck, Zacharias Werner, Franz Baader, Erman, Kielmeiler, Rumford, die Mineralogen Hausmann und Weiß und vor Allen den ihm so theuer gewordenen Chemiker Ritter. Wenn auf der einen Seite sein lebendiger Geist und seine ungewöhnliche Gelehrsamkeit imponirten, so gewannen ihm seine jugendliche Frische und seine anspruchslose Kindlichkeit Aller Herzen. Ihm selbst brachte die Reise großen geistigen Gewinn. – –

Im Jahre 1809 kehrte Adam von einer fast fünfjährigen Reise nach Deutschland, Frankreich und Italien, die er zumeist mit einem Reisestipendium des Kronprinzen gemacht, in die Heimath zu seiner Braut, zu seiner Schwester, zu seinen Freunden in Kopenhagen zurück. Auch er hatte die Liebe der bedeutendsten Menschen in diesen Ländern gewonnen. Goethe war ihm väterlicher Freund geworden.

Adam war kein Advocat geworden, sondern ein Dichter, und zwischen seinen Jugendfreunden und Schwägern Hans und Anders an der Festtafel sitzend, die zu seinem Empfang geschmückt war, legte er ihnen drei in der Zeit seiner Abwesenheit gedichtete, aber schon berühmt gewordene Dramen, „Aladdins Wunderlampe“, „Hakon Jarl“ und „Correggio“ mit den Worten auf den Tisch: „Ich glaube, es ist mir doch ein guter Wurf gelungen.“ Sie stießen jubelnd auf den gelungenen Wurf an.

Adam wurde Professor der Aesthetik an der Kopenhagner Universität und glänzt für ewige Zeit als der größte dänische Dichter der Neuzeit, aber auch als einer der vorzüglichem deutschen Dichter; denn er gehört beiden Nationen an.

Die Leser wissen nun schon, daß unser glücklicher Werfer Adam Oehlenschläger war.




Am 21. December 1819 hatte der königlich dänische erste Deputirte der Staatskanzlei und Generalprocurator Anders Sandöe Oersted[WS 1] seinen Bruder, den Professor der Physik, Hans Christian Oersted[WS 2], und seinen Schwager, den Professor der Aesthetik, Adam Georg Oehlenschläger, mit ihren Frauen zur Feier seines einundvierzigsten Geburtstags eingeladen. Die Herren standen sich noch eben so nah, wie in ihrer Jugend, ja man hätte glauben können, ihr Freundschafts- und Herzensbund habe an Wärme und Innigkeit zugenommen. Sie waren eben wie drei sich zärtlich liebende Brüder. Mit dem Dessert wurde Champagner aufgesetzt und die Unterhaltung muntrer und lebendiger. Die Herren riefen Erinnerungen wach. So kam denn auch die Rede auf die zusammenverlebte erste Stunde des Jahrhunderts und wie damals Jeder im Stillen gewünscht habe, einen großen Wurf in der fördernden Geistesarbeit zu thun und seinen Namen zu den glänzenden Namen des vorigen Jahrhunderts zu stellen. – Auf einen Wink des schelmisch lächelnden Gatten verließ Frau Sophie das Zimmer und kehrte gleich darauf mit einer verdeckten Schüssel zurück, die sie, ihrem Bruder und Schwager bedeutungsvoll zunickend, auf den Tisch setzte. Alle Augen hingen neugierig an der Schüssel.

„Du hast Deinen großen Wurf schon vor zehn Jahren gethan, Adam,“ sagte Anders; „Sophie hat da etwas aufgetragen, das ich ohne Selbstüberschätzung auch einen guten Wurf nennen kann, und ich hatte mir vorgenommen, Euch heute damit zu erfreuen.“

Er nahm das Tuch von der Schüssel und nahm das darin liegende dickleibige Manuscript heraus. Es war sein vor wenigen Tagen vollendetes „Handbuch der dänischen und norwegischen Rechtswissenschaft“, das wichtigste und ausgezeichnetste, von einem tiefen philosophischen Geiste durchdrungene Werk der nordischen Rechtskunde, das auf die höhere Entwickelung des Rechtslebens in Dänemark den größten Einfluß gehabt hat. Dieses Buch war ein bedeutender Wurf.

Schwager und Bruder umarmten glückwünschend den glücklichen Werfer und stießen auf den zweiten gelungenen Wurf an.

„Da einmal vom Werfen die Rede ist,“ nahm Hans in seiner alten kindlich-anmuthigen, anspruchslos lächelnden Weise das Wort, „so kann ich heute auch mit etwas aufwarten, das vielleicht wie ein guter Wurf aussieht. Ihr wißt, daß ich diesen Winter ein Privatissimum für einige Provectiores lese. Gestern nun in der Vorlesung, als ich eben von der von mir schon seit Jahren geahneten nahen Verwandtschaft der elektrischen, galvanischen und magnetischen Strömungen sprach, drängte sich mir plötzlich die Ueberzeugung von dieser Verbindung auf. Die Entscheidung blitzte in meine Seele herein, wie die erfüllte Hoffnung eines Adepten, wie die Empfängniß der Idee eines Dichters. Ich unterbrach die Vorlesung und stellte zu meiner Ueberzeugung sogleich die praktische Prüfung an, die mir die Gewißheit gab, daß eine bestimmte Wechselwirkung zwischen elektrisirten Körpern und dem Magnet stattfindet. Schon heute habe ich die Ueberzeugung, daß die durch diese Wechselwirkung zur Erscheinung gekommene neue Kraft eine allgemeine Naturkraft ist, die sich in allen Körpern zu offenbaren vermag, und ich lade Euch ein, mir in mein Laboratorium zu folgen, damit Ihr Euch selbst von meiner Behauptung überzeugen könnt.“

Die beiden Andern erhoben glückwünschend die Gläser und wollten auf den dritten gelungenen Wurf anstoßen, aber Hans wehrte mit den Worten ab: „Erst abwarten, ob sich die Sache als ein Wurf bewährt!“

Der freundliche bescheidene Apotheker! Er hatte einen jener ungeheuern Geisteswürfe gethan, die, wie bald darauf ein deutscher Physiker sich ausdrückte, „kaum alle tausend Jahre in das Loos eines Sterblichen fallen“, einen Wurf, der ihn zu Guttenberg und Franklin stellt und ihn zu einem der größten Wohlthäter der Menschheit macht. Er hatte den Elektro-Magnetismus erfunden.

Es sind noch nicht volle vierzig Jahre seit jener Erfindung, der größten und wichtigsten für die Entwickelung des Geisteslebens seit der Erfindung der Buchdruckerkunst, verflossen, und schon läuft der verkörperte Gedanke mit Blitzesschnelle an den Drähten durch alle Länder und durch die Meere, die Menschen aller Himmelsstriche mehr und mehr zu einer großen Familie verbindend. Diese Kupferdrähte sind die Nerven des Riesenleibes der Menschheit geworden an welchen der Geist hinzuckt, sein Licht in die entferntesten Gegenden tragend. Erst seit dieser Erfindung darf man mit Zuversicht behaupten, daß auch die letzten Verschanzungen des Aberglaubens und selbstsüchtiger Anmaßung fallen müssen. Der elektromagnetische Apparat wird und muß die Welt erobern, wie es kein Weihwedel und keine Kanone vermocht hat. Mit seinen mächtigen Verbündeten, der Dampfmaschine und der Buchdruckerpresse, wird er der aus der Naturerforschung gewonnenen Wahrheit den Sieg auf dem ganzen Erdboden über allen Wahn, über alle Künste des Lugs und Trugs, über alle trotzige und patzige Dummheit verschaffen und die Menschheit zu jener Sonnenhöhe des Geistes erheben, die ihr allein ein wahres würdiges Glück gewähren kann.

Wenn die dichterische Vorstellung Adam Oehlenschlägers in jener feierlichen Stunde von einem jungen Genius des neunzehnten Jahrhunderts eine reale Wahrheit gewesen wäre, so hätte dieser Genius dem Jüngling Adam einen Lorbeerkranz gewunden; denn er wird in Dänemark und Deutschland noch lange als Dichter gefeiert werden, – aber ein urschöpferischer Dichtergeist war er nicht, und sein Wurf, wenn auch ein schöner, so doch kein großer. Der Genius hätte dem Jüngling Anders einen Eichenkranz aus den Wäldern des Nordens gewunden; denn er wird in der Geschichte der Rechtsphilosophie und der vernünftigen Gesetzgebung lange als einer der tiefsten und schärfsten Denker glänzen, wie er denn auch zum Premierminister des Königreichs Dänemark emporstieg, aber auch er ist keiner der urschöpferischen Geister, die da neue Bahnen brechen; sein Wurf war ein guter und segensreicher, aber ein großer war er nicht. Dem bescheidenen Apotheker Hans, dem kindlichen Dichter der kleinen, die Naturkräfte behandelnden Gedichte, würde der Genius des neunzehnten Jahrhunderts einen Sternenkranz gewunden haben; denn sein Wurf ist einer der größten in der Weltgeschichte, und alle Zeiten und alle Völker werden seinen Namen mit staunender Dankbarkeit aussprechen.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_749.jpg&oldid=- (Version vom 5.12.2023)