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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Der Letzte der Hohenstaufen.

Wir hatten Neapel gesehen und seine Herrlichkeiten, sein reiches Museum, seinen rauchenden Berg und seinen prächtigen Golf. Wir hatten uns erbaut und belehrt an den Denkmälern vergangener Größe und verblichenen Glanzes in Pompeji und Herculanum, wir hatten den Zaubergarten von Sorrent, die Sireneninsel Capri und die griechischen Tempelruinen von Pästum besucht, und waren voll des Entzückens über all’ den Reichthum, den Kunst und Natur hier auf diesem kleinen Fleck Erde zusammengehäuft. Ein reicher Gottesgarten, unmittelbar aus der Höhe des Himmels hierher niedergelassen, ein classischer Boden, darauf jeder Schritt uns die stolzen Zeiten römischer Blüthe und Herrschaft ins Gedächtniß ruft, eine große azurüberwölbte Kunsthalle, darin wir allenthalben die Werke der Schönheit erblicken, unser Herz zu erfreuen und unsern Geist zu bilden.

Es blieb uns noch Eins übrig. Der Geschichte des Landes, soweit sie der jetzigen Culturperiode angehört, hatten wir noch wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Und in der That, Neapel und seine Umgebung bieten darin mehr, als man beim ersten Anblick vermuthen sollte. In einer Zeit, wo wieder deutsches Blut die italische Erde genetzt hat, wo wieder auf’s Neue der unselige Kampf entbrannt war zwischen dem deutschen Adler und dem französischen Geier, – da gerade mehr als je geziemt es wohl, sich auch die Denkmäler früherer Kämpfe, die Spuren des kostbaren deutschen Blutes aufzusuchen und als theuere Reliquien zu verehren.

Wir gingen nach der Kirche Maria del Carmine, um dort das Grab des unglücklichen Heldenjünglings Conradin, des Letzten der gewaltigen Hohenstaufen, zu besuchen. Nicht anders wie die Ruinen des Schlosses zu Heidelberg und die Trümmer der Kaisergräber im Dome zu Speyer, nicht anders wie Andreas Hofer in Mantua und die Schill’schen Officiere in Wesel am Rhein, so steht sein Marmorbild hier am Fuße des Vesuv, eine Schandsäule französischer Grausamkeit und französischen Uebermuthes.

Heinrich VI. von Hohenstaufen, Sohn Friedrich Barbarossa’s, hatte 1194 die Tochter Rogers, des Königs von Neapel und Sicilien, geehlicht und dadurch nach dessen Tode dieses Reich auf gesetzmäßige und rechtliche Weise mit der deutschen Kaiserkrone vereinigt. Unmittelbar war es deren rechtmäßiges Eigenthum geblieben, bis Conrad, der zweite Sohn des durch sein kräftiges Auftreten gegen den Uebermuth der Päpste so ausgezeichneten Friedrich II., starb. Sein Sohn, von den Italiänern Conradino, der kleine Conrad genannt, war noch minderjährig. Für ihn führte Manfred, Fürst von Tarent, ein natürlicher Sohn Friedrichs II., die Regierung. Im Jahre 1261 nun bestieg Urban IV. den päpstlichen Stuhl. Sein Hauptbestreben war, die alten Streitigkeiten mit den deutschen Kaisern wieder aufzunehmen, was um so leichter thunlich war, als der Bannspruch noch auf ihnen lastete. Die alten furchtbaren Parteikämpfe der Guelfen und Ghibellinen wurden wieder angefacht, und um das Maß voll zu machen, rief man den Bruder des Königs von Frankreich, Karl von Anjou, Grafen der Provence, herbei und versprach ihm die Herrschaft Unteritaliens, wenn es ihm gelingen sollte, die Kirche und das Land von der angeblich verruchten Herrschaft der Hohenstaufen zu befreien.

Und wirklich, die herbeigerufene Hülfe war würdig des gemeinen Unternehmens. Denken wir uns sämmtliche Barbarei des Mittelalters in einem Manne vereinigt und personificirt, so haben wir ein nur umschriebenes aber klares Bild dieses Befreiers von Italien. So schildern ihn die Schriftsteller seiner Partei und seine eigenen Thaten. Mit vollen Händen griff er, getrieben von seiner ehrgeizigen Gemahlin Beatrix, nach den Bedingungen, die ihm durch eine eigene Gesandtschaft Urban’s vorgelegt wurden, zog im Juni 1265 über die Bergpässe nach Piemont, drang durch Oberitalien und den Kirchenstaat und besiegte 1266 in der Schlacht von Benevento im südlichen Italien mit Hülfe italienischen Verrathes den ritterlichen Manfred. Dieser selbst hatte würdig seiner selbst und seiner großen Vorfahren im Getümmel der Schlacht seinen Tod gesucht und gefunden, als er sich von seinen italienischen Freunden feige und treulos verrathen sah. Sie waren, Richard von Caserta an ihrer Spitze, während des Kampfes zu Karl übergegangen. Nicht lange darnach hielt der Franzose Anjou seinen feierlichen Einzug in die Hauptstadt Neapel und begann von dort aus im Lande umher derart zu morden, zu brennen und zu plündern, daß selbst sein Schutzherr, der Papst, ihm die wiederholtesten und bittersten Vorwürfe machte über „so unerhörte Habsucht, Wollust und Blutdurst.“ Italien war befreit! –

Aber noch war ein kräftiger Zweig des markigen Stammes übrig. Im Herbste des Jahres 1267 zog der 16jährige Conradin mit 10000 Mann über die Alpen, um sein verlorenes Erbtheil wieder zu erobern. Die Ghibellinen Italiens empfingen ihn mit offnen Armen. Alles jubelte in der frohen Hoffnung, nun bald den päpstlichen und französischen Einfluß los zu werden. Leider jedoch blieb es nicht so. Noth und Geldmangel stellte sich ein unter den Söldnern des jungen deutschen Königs. Nicht weniger als 7000 davon verließen ihn und kehrten nach Deutschland zurück, und die Ghibellinen wurden mißtrauisch in den Erfolg der Hohenstaufen’schen Waffen. Conradin ließ sich nicht irre machen in dem, was er als gut und recht erkannt und durchzuführen sich vorgenommen hatte. Unter mannichfachen Schwierigkeiten drang er bis Rom vor. Hier wurde er von seiner großen und mächtigen Partei im Triumphe eingeholt und nach dem Capitol geführt. Er entzündete Alles durch die Schönheit und Heiterkeit seiner Gestalt und die Liebenswürdigkeit seines Wesens. Papst Clemens – Urban war mittlerweile gestorben – war geflohen. Von Rom ging der Zug bald weiter gegen Süden bis zur palentinischen Ebene, wo Karl von Anjou seiner wartete. Bei Scurcola (Tagliacozzo) kam es zur Schlacht. Die Deutschen schienen bereits so vollständig gesiegt zu haben, daß sie sich schon rücksichtslos ihrer Freude überließen, die Beute vertheilten, sich entwaffneten und sogar theilweise in den kühlen Fluthen des Salto badeten, um sich von den harten und blutigen Anstrengungen des heißen Sommertages – es war der 24. August 1268 – zu erholen. Da brach Erard von Valerz[WS 1] mit 700 französischen Reitern, die bis dahin in einem verborgenen Hinterhalte aufgestellt waren, auf die sorglosen Schaaren Conradins ein. Jede Bemühung sie zu sammeln und zu ordnen war vergebens, die Schlacht, welche nach Karls Bericht an den Papst härter und blutiger war, als die bei Benevent, war verloren. Conradin, sein jugendlicher Freund Friedrich von Oesterreich und einige andere Getreue entkamen nach Astura am Meere, von wo sie nach dem befreundeten Sicilien überzusegeln gedachten, wurden aber hier von Johannes Frangipani, einem Manne, der den Hohenstaufen sein ganzes Glück verdankte, verrathen und an Karl von Anjou ausgeliefert. Gemeinen Verbrechern gleich wurden sie nach Neapel gebracht und vor Karl’s Richterstuhl gestellt.

„Auf unparteiischem, leidenschaftslosem, rechtlichem Wege“ – so erzählt Raumer, dessen classische Darstellung wir unverkürzt wiedergeben wollen – „solle über das Schicksal der Gefangenen entschieden werden: deshalb ließ der König Richter und Rechtsgelehrte aus mehreren Theilen des Reiches nach Neapel kommen, welche untersuchen und das Urtheil sprechen sollten. Jeder von ihnen, das hoffte er, werde der Anklage beistimmen: „Conradin sei ein Frevler gegen die Kirche, ein Empörer und Hochverräther an seinem rechtmäßigen Könige und gleich allen seinen Freunden und Mitgefangenen des Todes schuldig.“ Als die Richter diese Anklage vernommen, erschraken sie sehr, wagten aber, der wilden Grausamkeit Karls eingedenk, lange nicht, ihre entgegengesetzte Ansicht unverhohlen darzulegen. Da endlich trat der edle Guido von Sujara hervor und sagte mit lauter, fester Stimme: „Conradin ist nicht gekommen als ein Räuber und Empörer, sondern im Glauben und Vertrauen auf sein gutes Recht. Er frevelte nicht, indem er versuchte, sein angestammtes väterliches Reich durch offenen Krieg wiederzugewinnen; er ist nicht einmal im Angriff, sondern auf der Flucht gefangen, und Gefangene schonend zu behandeln gebietet göttliches wie menschliches Recht.“ Erstaunt über diese unerwartete Erklärung, wandte König Karl, – das niedrige Geschäft eines Anklägers selbst übernehmend und seine eigene Behandlung Benevents vergessend –, hiergegen ein, daß Conradins Leute sogar Klöster angezündet hätten; – worauf aber Guido ungeschreckt erwiderte: „Wer kann beweisen, daß Conradin und seine Freunde das befohlen haben? Ist nicht Aehnliches von andern Herren geschehen? Und steht es nicht allein der Kirche zu, über Vergehen wider die Kirche zu urtheilen?“ – Alle Richter bis auf einen, den unbedeutenden, knechtisch gesinnten Robert von Bari, sprachen jetzt Conradin und seine Gefährten frei; welches preiswürdige Benehmen den König indeß so wenig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_752.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2023)