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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

näher rücken, so daß Du Deine Hände hinter seine Schultern bringen und damit langsam an dem Rückgrat und den Schenkeln bis zu den Knieen oder Füßen herabfahren kannst.“

Dies ist das von Deleuze vorgeschriebene Verfahren beim Magnetisiren. Daß schwächliche, überspannte, nervenkranke Frauen dadurch in Convulsionen versetzt werden konnten, wird selbst der hartnäckigste Gegner des thierischen Magnetismus gern zugeben. Eben so klar ist, daß Personen von stärkerem Gemüth und gesünderem Körper durch diese Proceduren in Schlaf versenkt werden konnten. Es bedarf aber weder des Magnetismus noch einer überirdischen Kundgebung, um uns zu überzeugen, daß Schweigen, eintönige Ruhe und langes Verharren in halbliegender Stellung sehr bald Schlaf erzeugen, oder daß Aufregung, Nachahmungstrieb und lebhafte Einbildungskraft einen schwachen Körper in Convulsionen versetzen können.

Ein anderer nicht lange nach dem Erscheinen von Deleuze’s Buch auftretender berühmter Magnetiseur, der Abbé Faria, bewies durch seine Experimente, daß es zum Gelingen derselben keineswegs eines Fluidums, sondern nur einer hinreichenden Einbildungskraft bedurfte. Er setzte seine Patienten in einen Lehnstuhl, hieß sie die Augen schließen und sprach dann in lautem befehlenden Tone das einzige Wort: „Schlaf!“ Er machte von keinerlei Manipulationen Gebrauch, hatte kein baquet oder sonstigen Apparat, und nichtsdestoweniger gelang es ihm, Hunderte von Patienten in Schlaf zu versenken. Er rühmte sich, auf diesem Wege fünftausend Somnambule gemacht zu haben. Oft mußte er das Commando drei oder vier Mal wiederholen, und wenn der Patient dann immer noch nicht einschlafen wollte, so umging der Abbé die Schwierigkeit dadurch, daß er ihn fortschickte und erklärte, er sei für magnetische Einwirkung nicht empfänglich.

Ueberhaupt darf nicht unbemerkt bleiben, daß die Magnetiseure keinen Anspruch auf allgemeine Wirksamkeit ihres Fluidums machen. Starke und gesunde Personen, sagen sie, Ungläubige und Denker können nicht magnetisirt werden, wohl aber die Schwachen an Körper und Geist und die, welche festen Glauben haben. Und damit nicht aus dem einen oder andern Grunde Personen der letztern Classe dem magnetischen Zauber widerstehen, erklären die Apostel der Wissenschaft, daß es Zeiten gibt, wo sie selbst auf diese nicht einwirken können, denn die Anwesenheit eines einzigen Spötters oder Ungläubigen kann die Macht des Fluidums schwächen oder die Wirkung desselben ganz zerstören. Deleuze sagt in seinen Instructionen ausdrücklich: „Man magnetisire niemals in Gegenwart von Neugierigen!“

Wir können unsere kleine Abhandlung nicht besser schließen, als mit den Worten: „Der Magnetismus,“ sagt ein geistreicher Mann, „ist für die Philosophie, die ihn verwirft, nicht ganz nutzlos gewesen, denn er ist ein neues Beispiel von den Verirrungen des menschlichen Geistes und ein erstaunlicher Beweis von der Stärke der Einbildungskraft, sodaß er über jene immer noch ungelöste Frage – den Einfluß des Geistes auf die Materie – wenigstens ein schwaches und unvollkommenes Licht verbreitet hat.“




Blätter und Blüthen.

Ein Räthsel für die Feiertage. Ich ward, als Gott sprach: Es werde Licht! Kind des Augenblicks leb’ ich doch ewig. Nichts wiederholt sich öfter und beständiger, wie ich, und doch bin ich der Ausdruck für jede Unbeständigkeit. Ich stehe zwischen Winter und Frühling, Sommer und Herbst, Tag und Nacht, Frost und Hitze, Schlaf und Wachen, Essen und Trinken, Gehen und Sitzen, Leben und Tod.

Auf mir beruht das Dasein der ganzen lebendigen Welt. Sobald ich aufhöre, stirbt der Organismus, aber nur um mich auf’s Neue zu gebären, denn ich bin unsterblich. Wenn die Erdkugel auch in Atome zerstieben würde, doch bliebe ich thätig im letzten dieser Atome. Alle Krankheiten der Menschen, der Thiere, der Pflanzen sind nur Folgen des Bruchs meiner Gesetze.

Mein Werth, meine Geltung sind unbeschränkt, so weit civilisirte Menschen wohnen. Ich kann ebensogut Millionen repräsentiren, wie Pfennige, obgleich ich an und für sich kaum einen Pfennig werth bin. Aber wer mich hat, der besitzt mich nur in der Hoffnung, mich möglichst rasch und sicher wieder los zu werden.

Willst Du eine complicirte Bewegung ändern bei jenen Wundern der Neuzeit, die, gleich dem Ungeheuer der Tiefe, tausend Gelenke zugleich regen, so schiebe mich ein, und was rechts war, wird links, was vorwärts ging, schreitet rückwärts. So klein ich bin, so hängt doch von der Genauigkeit meiner Ausführung, meines Eingreifens oft die Wirksamkeit des gröbsten Mechanismus ab, wie des feinsten.

In meinen Pfaden geht, was scheu stiebt vor den tödtlichen Gewalten, mit welchen der Mensch seine Intelligenz verbündet. Aber umsonst – denn er sucht und findet mich, und dann biet’ ich ihm gerade die sicherste Gelegenheit, seiner Zerstörungslust zu fröhnen. Auf mir ist schon gar vieles unschuldige Blut geflossen und wird noch ferner fließen, ohne Sühne, ohne Strafe.

Ich bin „das Ding, das Wenige schätzen,“ in einer gar schönen Gegend des Vaterlands von Männiglich so geheißen, ein Ueberbleibsel aus den Zeiten der alten Römer, die dort Castra und Coloniä gründeten. Zwar taug’ ich nicht viel, aber mit zäher Liebe hängt der Landmann an mir fest und wo ich wandle, sproßt, hinter mir freudige Saat gemischter Halme.

Und wie froh begrüßt meine ersehnte Ankunft der Jünger der Wissenschaft, dem ich stets zu lange aus- und zu kurz bei ihm bleibe. Leider bin ich heutzutage vielfach der Maßstab geworden, nach welchem man ihn taxirt.

Tief im Schooß der Erde, den gierig der Mensch nach Schätzen durchwühlt, bin auch ich zu finden. Dem armen Kinde, das kriechend eine schwere Last durch finstre Gänge zieht, gewähr’ ich einen Augenblick des Athemholens, dann aber dräng ich es weiter, hinweg!

Aber auch auf der Landstraße triffst du mich, wenn du dahin fliegst, vor Dir „vier Rappenschweife,“ als ein Freiligrathscher Pascha, und lustig begrüßt mich des Hörnleins Trarah und das Wiehern der ermüdeten Rosse.

Unzählbar ist die Menge der Gegenstände, mit welchen ich mich verbinde, sei es im Gesicht, sei es im Rücken. Bald nehm’ ich vor mich das Kind der Blüthe, dann werd’ ich zum Gesetz für den Mann der Scholle, bald schlepp’ ich nach das Kleid flüchtiger Thiere und werde zur Koboldgabe, zum Fluch des friedlichen Hauses. Die Zeichen himmlischer Kunst auf der Stirne, durchstieg ich die Länder, auf welchen Gewitterschwüle liegt, und drohend schwingt dann hinter mir der Gott des Kriegs seine Fackel. Wie quäl’ ich den Armen, auf den ich mich senke in erhöheter Potenz meines Gefolges; ich spiele mit ihm, wie die Katze mit der Maus! Trag’ ich vor mir her den Hebel der Welt, so werd’ ich zum einträglichen Geschäft, aber seht Euch vor, daß nicht ein Fall nachher Euch Ungelegenheiten bereitet. Sehnsüchtig harren Liebende, daß ein Reif sich mir verbinde, und in dämmerlicher Laube fügt sich zwiefach tönend zu mir holder Klang. In die Ferne und heimwärts bring’ ich Gruß und Botschaft, wenn der Stimme Stellvertreter mir voranläuft, aber wehe, wenn mich ein Reiter verfolgt! Das kostbarste Gut, das freieste Eigenthum des Menschengeistes steht vor mir, zum Tausch bereit, aber es findet sich nicht immer in der bedingten Form eines Gleichklangs hinter mir. Lastet eine Schuld auf meinem Rücken, so ist sie doppelt gefährlich; geht mir hingegen ein Leiden voran, so mag es sich auch zum Besseren wenden.

Daß ich ein Gelenk hinter mir nachschleifen kann, wird Vielen unbekannt sein, während die vielberufenen Werthmesser der Leute vor mir eine Nothwendigkeit der Mode und des Wohlseins bilden. Zieht eine Besatzung vor mir auf, so fällt ein großer Theil des schönen Geschlechts der betreffenden Oertlichkeit in Betrübniß; einen Zahn auf mich bekommen alle Kinder. Der Aberglaube schreibt mir vielen Einfluß zu, wenn ich dem stillen Abendwandler folge; tret’ ich zu rasch ein auf den Fersen des Hippotadensohnes, dann bangt dem Schiffer aus seinem gefahrvollen Pfade. Ein Platz, dem ich vorstehe, gewinnt an Bedeutung für die Ferne, aber eine Bahn vor mir bringt Aufenthalt und Unbequemlichkeiten. Und so ließe sich noch vielfach spielen mit meinen Beziehungen und Verbindungen, wenn es dessen nicht übergenug schon wäre zu meiner Errathung.

Ich bin, zum Schluß, wie der große Dichter sagt, dessen hundertjährigen Geburtstag das seit langer Zeit zum ersten Male wieder einige Deutschland vor Kurzem festlich beging, der Prüfstein des menschlichen Geistes. O möchte die Begeisterung für Glück und Einheit des Vaterlandes von nun an nie mehr durch mich getrübt werden!



Nicht zu übersehen!


Mit dieser Nummer schließt das vierte Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das erste Quartal des neuen Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen.

Vom nächsten Quartal ab dürfen wir unsern Lesern, außer den trefflichen Beiträgen von Bock, Roßmäßler, Beta in London, A. Brehm, A. v. Sternberg, E. Willkomm, Hirzel, M. Ring, W. Hamm, etc., einen neuen artistischen und literarischen Genuß in dem Erscheinen künstlerisch ausgeführter Illustrationen:

Die wichtigsten Momente deutscher Größe und deutschen Strebens und Scenen aus dem Leben deutscher Dichter

versprechen, die, von den tüchtigsten Künstlern ausgeführt und von kernigen, freisinnigen Darstellungen begleitet, neben den naturwissenschaftlichen und technischen Abbildungen einen bleibenden Werth für alle Zeiten behalten werden. Zum Abdruck kommen im nächsten Quartale unter Anderm:

Novellen von Herm. Schmid – Claire v. Glümer – Lev. SchückingTemme – Magier und Geister in Berlin (Psychographen und Tischklopfer) von Ernst Kossak. – Das Nervensystem von Bock. – Der alte wandernde Spielmann von Ludw. Storch (keine Novelle). – Sophie La Roche von Jul. Rodenberg. – Menschenkäuze von Ludw. Walesrode. – Die Auffindung der Franklinschen Reste. – Im Gefängniß der Königin in London (Schuldthurm). – Italienische Fragmente von Moritz Hartmann. – Ein Jagdtag im Hinterriß von Gerstäcker. – Der Aufruhr in Hessen von Heinr. König. – Russische Genrebilder (Originalmittheilungen). – Karl v. Holtei. – Bilder aus Thüringen von Sigismund. – Am Waldsee von Guido Hammer. – Die Alpenwirthschaft. Mit Zeichnungen von Rittmeyer. – Eine Reihe national historischer Artikel mit guten Abbildungen.

Die Verlagshandlung.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_772.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)