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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

rothen Barte vor sich, und als ob sie diese Stimme schon anderswo gehört hätte, klangen ihr immerwährend, selbst durch Schlaf und Traum dessen letzte Worte nach … „wir treffen schon noch einmal zusammen!“




2.

Der dunklen Nacht war ein blauer sonnenheller Himmel gefolgt. Die ganze Gegend schimmerte und flimmerte im reichlich ausgesprengten Thau, die fernen Tannenwälder hoben ihre dunkelgrünen Häupter bestimmt und scharf in die klare Morgenluft empor, ein angenehmer Ostwind schüttelte überall den Duft von frisch gemähtem Heu von den Flügeln, die Lerchen wirbelten hoch in der Luft – es war als ob die Natur sich ebenfalls angeschickt hätte, den Sonntag der Menschen festlich zu begehen.

Von nah und fern, schwächer und deutlicher scholl Glockengeläut’ von den Kirchthürmen, die über die ganze Gegend hin zerstreut sich emporstreckten, um anzuzeigen, daß unter den Bäumen um sie herum sich eine Handvoll genügsamer Menschen zusammen gefunden und den eignen Heerd gebaut hatte. Es war um die Zeit, zu welcher überall der Frühgottesdienst gehalten wurde, und von allen Seiten, nach allen Richtungen hin, einzeln und in Gruppen gingen die Bewohner der kleinern Ortschaften, die keine Kirche hatten, und der Einzelgüter an den Rainen und Abhängen, zwischen Stoppelfeldern und noch üppig schwankenden Getreidefeldern hin, in den Gotteshäusern für das Gedeihen der vergangenen Arbeitswoche zu danken und den Segen zu erbitten für die kommende.

Auch auf dem Huberhofe schickten sich die zahlreichen Knechte und Mägde zu dem frommen Gange und verließen nach und nach im höchsten Sonntagsstaat das Haus. Die Bäuerin wollte ebenfalls fort; aber der Bauer und ein paar Knechte mußten ausnahmsweise zu Hause bleiben, denn der in der Nacht vorgefallene Raub mahnte zu besonderer Vorsicht. Es war hie und da schon vorgekommen, daß die Räuber zu ihren Einbrüchen gerade die Stunden gewählt hatten, wo sie die Höfe wegen des Kirchenbesuchs von den meisten und kräftigsten Bewohnern entblößt wußten.

Der Huberhof lag ganz allein, eingeschlossen von zusammengehörigen Aeckern, Wiesen und Waldung, auf einer schönen, sanft ansteigenden Anhöhe. Das stattliche mehrstöckige Haus mit seinen blanken weißen Wänden, den vielen hellen Fenstern und den freundlichen grünen Läden war stundenweit sichtbar. Seine Pracht und die zahlreichen Nebengebäude verriethen die Wohlhabenheit des Besitzers, und Mancher, der am Fuße des Hügels auf der Landstraße durch das breite trübselige Moor dahinschritt, mochte einen Augenblick stille halten und den Glücklichen beneiden, dem ein solches Eigenthum geworden.

Gegenüber, jenseits des Moors, stieg eine ähnliche Hügelreihe empor. Auf ihr, fast eingeschlossen von einem kleinen Tannengehölz, lag das in der vergangenen Nacht beraubte Brandlgut.

Auf der Bank vor dem Huberhofe saß dessen Besitzer; er hatte die Hände über den etwas hinaufgezogenen Knieen zusammengelegt und blickte in den blitzenden Morgen und die leuchtende Landschaft hinaus. Sein Blick war aber nicht der des freudigen Naturfreundes oder des frohen Besitzers, der sich an dem Erreichten erfreut – sein Blick war starr und glanzlos und streifte an den gedankenlosen Ausdruck des Blödsinns. Die Züge des Gesichts waren abgespannt und schlaff und bildeten einen abstechenden Gegensatz zu der Kraft, die sich in dem ganzen gedrungenen Körperbau des Mannes ausprägte.

Unfern des Bauers, um ihn völlig unbekümmert, lehnte an einer Zaunbrüstung ein junger Mensch in bäuerlicher Sonntagstracht, eine schlanke, fast fein gebaute Gestalt mit einem hübschen ausdrucksvollen Gesichte, dem nur der etwas unstäte Blick Eintrag that. Auch die Blässe desselben war störend, weil sie nicht zu dem ganzen Aussehen der Gestalt paßte und unwillkürlich den Gedanken an das wüste Leben hervorrief, dem sie ihre Entstehung dankte. Auch der Bursche sah starr vor sich in die Gegend hinaus, aber auch er sah nichts von der Schönheit des Morgens und der Gegend; wilde leidenschaftliche Gedanken gingen in ihm hin und wieder, und wenn sein Auge an irgend einem Gegenstande mit dem Ausdrucke des Bewußtseins haften blieb, war es das einzelne einsame Brandlgut gegenüber

Das Geräusch eines auf der Landstraße daherrollenden Wagens störte Beide aus ihrem Brüten auf.

Es war eine einfache Landkutsche, in welcher ein Herr in Uniform mit einem zweiten unscheinbar aussehenden Menschen saß. Es war der vom Landgerichte abgeordnete Assessor nebst Schreiber, die wegen des in der Nacht verübten Raubes den Augenschein vorzunehmen hatten. Der zu Pferde nachtrabende Gerichtsdiener machte die Commission vollzählig.

Der Bauer hatte eine Secunde lang aufgeschaut, sank aber sogleich in seine vorige theilnahmlose Stellung zurück. Der Bursche dagegen richtete sich hoch auf, – wie krampfig, als wollte er etwas zur Abwehr ergreifen, faßte er nach einem der Zaunpfähle und blickte fest auf den heranrollenden Wagen.

Jetzt war derselbe an dem Feldsträßchen angekommen, das von der Hauptstraße nach dem Huberhofe abzweigte. Der Beamte wechselte ein paar Worte mit dem begleitenden Reiter, worauf der Wagen in den Seitenweg ablenkte. „Sie kommen zu uns,“ murmelte der Bursche vor sich hin, „das hat was zu bedeuten!“ Rasch wendete er sich und schritt dem Hause zu, vor welchem er gleichzeitig mit der Kutsche anlangte.

Der Bauer hatte seine Mütze gezogen und stand nun mit gekrümmtem Rücken und blöd lächelnder Miene am Wagenschlage. „Ein’ schön gut’n Morgen, Gnaden Herr Assessor,“ sagte er, „das ist ja eine ganz seltsame Ehr’, daß Sie auf den Huberhof kommen.“

„Ich komme auch nicht zu Euch Huber, das wißt Ihr wohl,“ erwiderte der Beamte, „aber weil der Weg so hart bei Euch vorbeiführt, und weil Ihr doch dem Brandlgut so recht gegenüber liegt, wollte ich doch vorerst fragen, ob Ihr mir nichts erzählen könntet von der unglückseligen Geschichte.“

„Nein, Ihr Gnaden,“ antwortete der Bauer mit stumpfsinnigem Lachen. „Um solche Sachen kümmert sich der Huber nicht. Der Huber weiß von gar nichts.“

„Das glauben wir ihm auf’s Wort,“ sagte der Beamte halblaut gegen den Gerichtsdiener. „Das ist ein wahres Prachtexemplar von Beschränktheit! Der Himmel mag wissen, wie dieser Dummkopf zu einem solchen Weibe gekommen ist!“

Der Schreiber nickte mit grinsendem Lächeln; der Gerichtsdiener aber, eine martialische Figur mit fast ganz kahlem Kopfe und einem riesigen Schnurrbart im rothen Gesicht, stieß einen grunzenden Ton aus, der als Lachen gelten sollte. Dabei riß er den Hut vom Kopfe und machte vom Pferde herab eine so zierliche Verbeugung, als er sie noch aus der Zeit im Gedächtniß hatte, da er Chevauxlegers-Wachtmeister gewesen war.

Der Gruß galt der Huberbäuerin, die, von dem Knechte herbeigerufen, eben im vollsten Putz aus der Thüre trat. Es war ein schönes stattliches Weib von etwas ungewöhnlich großem Körperbau, aber mit einem Gesichte, so weiß und rosig, wie das der feinsten Städterin. Die bestimmten ausdrucksvollen Züge, die großen dunklen Augen und das reiche pechschwarze Haar machten es wohl erklärlich, daß sie in der ganzen Gegend nicht anders hieß, als die schöne Huberin. Daß sie diesen Namen verdiente, zeigte sich am Besten darin, daß nicht einmal die hohe unkleidsame Pelzmütze, die sie nach der Sitte der Gegend trug, die Anmuth ihrer Erscheinung zu schwächen vermochte. Nur die schmalen, etwas eingekniffenen Lippen gaben ihr, wenn sie nicht eben lächelte, einen schlimmen keifenden Zug. Das war aber selten, denn sie lachte gern, entweder weil sie das wußte, oder weil dadurch eine weitere Schönheit sichtbar wurde, – ihre blendend weißen Zähne.

„Nun, Huberin,“ redete sie der Beamte an, „könnt auch Ihr mir nichts erzählen, was uns auf die Spur des Gesindels führen könnte?“

„Wenn ich das könnt’, Ihr’ Gnaden,“ erwiderte sie, indem sie lächelnd an den Wagen trat und die Hand zum Gruße hineinbot, „dann hätt’ ich nicht auf die Frag’ gewartet. Es liegt wohl Niemand mehr daran, daß die Schelmenleute aufkommen, als mir! Wer steht mir dafür, daß der rothe Hannickel nicht in der nächsten Nacht über mein Haus kommt und mich zur Bettlerin macht!"

„Es ist unbegreiflich,“ sagte der Beamte kopfschüttelnd und ernst. „So zu verschwinden, als wenn sie von der Erde eingeschluckt würden!“

„Sie machen’s gar schlau,“ erwiderte die Bäuerin. „Man sieht und hört nichts, und wenn man noch so nahe dabei ist. Ich war diese Nacht mit all’ meinen Leuten keinen Schuß weit vom Brandl weg, und Niemand hat was gemerkt oder gehört, bis das Läuten anging.“

„Wie war das möglich?“ fragte der Assessor. „ Erzählt doch.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_003.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)