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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

die Zelte und die dünnen Decken kaum mehr Schutz gegen das Erfrieren gewährten. Nicht immer fand man so viel Holz, daß ein gutes Feuer unterhalten werden konnte, und dann hatte man noch die Qual, die hartgefrorenen Schuhe in der Nacht an den Füßen behalten zu müssen. War man nicht so glücklich, ein Schneehuhn oder ein Rennthier erlegen zu können, so mußte man sich von Steinflechten ernähren. Endlich wurde die Noth so groß, daß die Reisenden ihre Schuhe verzehrten und halb verfaulte Thierhäute, auf welche sie unter dem Schnee zuweilen stießen, begierig hervorzogen. Die Kräfte hatten durch Hunger und Kälte so gelitten, daß, wenn der eine Theil der Mannschaft auf dem Boden ausruhte, der andere Theil stehen bleiben mußte, um den Gefährten in die Höhe zu helfen. Eine zweite Reise zu Lande, die Franklin 1825–1827 ausführte, war nicht von solchen Leiden begleitet. Beide Unternehmungen lehrten einen langen Küstenstrich kennen, der sich an eine andere von Richardson[WS 1] erforschte Strecke anschloß.

Im Jahre 1844 beschloß die englische Regierung, eine neue Nordpolreise ausführen zu lassen und Franklin die Leitung derselben zu übertragen. Alle Behörden, die eine Stimme bei der Sache hatten, stimmten für eine Landreise, aber Sir John Barrow[WS 2], der als Geograph der Königin und als eigentlicher Anreger der Erforschung des arktischen Kreises ein doppeltes Gewicht hatte, setzte es durch, daß für eine Seereise entschieden wurde. Man gab Franklin zwei Schiffe, Erebus und Terror, die für die Reise besonders ausgerüstet und mit Lebensmitteln auf vier Jahre versehen wurden. Er übernahm den Erebus, Capitain Crozier[WS 3] den Terror. Die Bemannung beider Fahrzeuge bestand Alles in Allem aus 129 Köpfen.

Franklin hatte die Weisung, daß er so schnell als möglich den Lancaster-Sund zu erreichen suchen und bis zur Insel Melville steuern solle. Treffe er dort das Meer vom Eise frei an, so werde er die noch etwa 180 deutsche Meilen entfernte Behringsstraße ohne Hinderniß erreichen können. Am 26. Juli 1845 wurden der Erebus und der Terror zum letzten Male gesehen. Es war in der Melville-Bai, die an der Nordküste von Grönland, dem Jones-Sunde gerade gegenüber, liegt. Die beiden Schiffe wurden von der Mannschaft des Walfischjägers „Prinz von Wales“ gesehen, wie sie an einem Eisberge ankerten und darauf warteten, daß die ungeheuren Eismassen in Bewegung geriethen, die das Meer in unabsehbarer Weite bedeckten.

Die Jahre 1846 und 1847 verstrichen, ohne daß man sich über das Ausbleiben aller Nachrichten beunruhigte. Hatte man doch von den beiden Roß vier Jahre lang nichts gehört, und dann waren sie doch, allerdings abgemagert, aber mit unverletzter Gesundheit, nach England zurückgekehrt. Um Franklin brauchte man um so weniger in Sorge zu sein, als er eine reiche arktische Erfahrung, eine auserlesene Mannschaft, vortrefflich eingerichtete Schiffe und Lebensmittel in Hülle und Fülle besaß. Erst im Jahre 1848 wurden Nachforschungen beschlossen, und nun begann jene Reihe von Reisen, die sich von da fast ununterbrochen bis auf das Jahr 1859 erstrecken. Nicht genug, daß man von beiden Eingängen im Westen und Osten Schiffe in die Polarzone vordringen ließ, gab man ihnen den Befehl, im Winter mit Schlitten die ganze Umgegend ihres Zufluchtshafens zu bereisen, und veranstaltete auch auf dem Festlande Unternehmungen. Einmal waren zwölf Schiffe zugleich in jenen Meeren und im Ganzen sind mit Hinzurechnung der Landreisen etwa vierzig Versuche zur Rettung Franklin’s gemacht worden. Man hat bis zu den Punkten, wo die Natur unübersteigliche Schranken setzte, fast jede Bucht, jede Einfahrt, jeden Canal, jede Küste, jede Insel durchforscht. Wie die Bemühungen, so gingen auch die Mittel über das frühere Maß hinaus. Unter anderm nahmen Collison[WS 4] und M’Clure[WS 5] kleine Luftballons mit, welche sie in der Polargegend an langen Seilen in die Höhe steigen lassen wollten, um dem Vermißten bei Tag mittelst herabhängender farbiger Papierstücke, bei Nacht mittelst Lampen Signale zu geben. Man wußte nicht, daß die unglücklichen Mannschaften des Erebus und Terror in dem Augenblicke, als Sir James Roß mit dem ersten der zur Rettung bestimmten Schiffe das Polarmeer erreichte, bereits auf dem Grunde dieses Meeres oder unter dem Schnee und Eise der unwirthlichsten aller Küsten schlummerten.

Am 23. August 1850 wurden auf Cap Riley die ersten Spuren von Franklin aufgefunden. Jenes Vorgebirge ist die Spitze einer Halbinsel in der Nähe des Wellington-Canals, der von der Barrowstraße gegen Norden läuft. Capitain Ommaney[WS 6] sah hier Segeltuch und Seile der königlichen Marine, Knochen von Rindern, Schweinen und Schafen und fünf Steinwälle von ringförmiger Gestalt, in deren Mitte je zwei bis drei flache Steine lagen. Alle diese Dinge ließen sich nur auf Franklin deuten, und die Steinwälle mit den flachen Steinen in der Mitte machten es wahrscheinlich, daß Franklin am 29. August 1845 auf diesem Punkte gewesen sei. Er war nämlich angewiesen worden, genau an diesem Tage magnetische Beobachtungen anzustellen, und hatte zur Befestigung der Seile und zur Aufstellung der Instrumente solche Steinwälle und flache Steine gebraucht, wie man sie bei Cap Riley sah.

Einen oder zwei Tage später entdeckte der Walfischjäger Penny[WS 7] auf der Insel Beechey im Wellington-Canal das erste Winterlager Franklin’s. Hier sprach Alles so deutlich, daß kein Zweifel möglich war. Außer leeren Fleischbüchsen, einem Observatorium, einer Schmiede, sah man eine Anweisung zu meteorologischen Beobachtungen in der Handschrift des Capitains Fitzjames[WS 8], ein Papierstückchen mit dem Namen des Wundarztes M’Donald[WS 9] und drei Gräber, in denen nach den Aufschriften ein Matrose vom Erebus und zwei vom Terror ruhten. Franklin hatte dieses Winterquartier spät im Sommer und dann in großer Eile verlassen. Sein langes Verweilen bezeugten die tiefen Furchen, die seine Schlitten im Schnee, den die Sonne also schon aufgeweicht haben mußte, zurückgelassen hatten; für einen plötzlichen Aufbruch sprachen die beiden Umstände, daß man die Seile eines Zelts nicht losgeknüpft, sondern abgeschnitten hatte und daß nützliche Gegenstände, z. B. ein eiserner Ofen, zurückgelassen worden waren. Wohl hatte sich die Mannschaft übrigens befunden, denn sonst würde ihr gewiß die Lust vergangen sein, eine Vogelhütte mit einem Mosaikfußboden zu pflastern, und einige Gartenbeete anzulegen und mit rothem Steinbruch einzufassen.

Unter denen, welche nach Franklin suchten, befand sich ein muthiger Ire, der laut den Entschluß ausgesprochen hatte, nicht zurückzukehren, ehe er den Vermißten aufgefunden oder die nordwestliche Durchfahrt entdeckt hätte. Das erste Ziel verfehlte er, das zweite, freilich unter entsetzlichen Gefahren, zu erreichen, war ihm vom Glück beschieden. M’Clure – denn von ihm ist die Rede – gehörte zu denen, welchen die Behringsstraße als Ausgangspunkt angewiesen war. Indem er gegen Osten vordrang, gelangte er an einen Canal, der zwischen der Insel Melville und dem Bankscanal hindurch zu dem breiten Melville-Sunde führt, in den die Barrow-Straße mündet, eine Fortsetzung des Lancaster-Sundes, den Baffin 1616 als östlichen Eingang des Polarmeeres ermittelt hat. Der 26. October 1850 war der Tag, an dem M’Clure auf dem Eise des Meeres zu einem Punkte gelangte, der sich nach den astronomischen Beobachtungen als das Ufer der Barrow-Straße erwies. Ein Jahr später unternahm M’Clure eine Fußreise auf dem Eise nach der Bucht der Melville-Insel, wo Parry im Winter von 1819 zu 1820 seine Schiffe Hekla und Griper geborgen hatte. Durch andere Fußreisen wurde ermittelt, daß um die Südspitze des Bankslandes herum noch ein zweiter Canal, von M’Clure Prinz von Wales-Straße genannt, in den Melville-Sund führt.

Statt einer nordwestlichen Durchfahrt hatten sich zwei gezeigt, aber ihr Entdecker konnte nicht eine für sein Schiff benutzen. Um sich vor Eisblöcken von der fürchterlichsten Beschaffenheit und der massivsten Dicke, die er jemals gesehen hatte, zu retten, hatte er sein Schiff an der Nordseite des Bankslandes vor Anker gelegt. Furchtbare Eismassen hielten ihn dort zwei Sommer und zwei Winter eingeschlossen. Im dritten Frühling (6. April 1853) fand ihn ein Officier eines andern Schiffes, und mit Hülfe desselben führte M’Clure den gewagten Entschluß aus, auf dem Eise zu Capitain Kellett[WS 10] im Wellington-Canal zu wandern. Kellett befand sich in derselben Lage, und mit ihm verließen auch Belcher[WS 11] und Richards[WS 12] ihre Schiffe. Sie erreichten freies Wasser wo der Nordstern sie aufnahm, und England erlebte nun das unerhörte Schauspiel, vier Capitaine auf einmal ankommen zu sehen, welche die ihnen anvertrauten Schiffe im Eise hatten stecken lassen.

Weder M’Clure noch seine Unglücksgefährten hatten von Franklin das Mindeste erfahren. Durch die auf der Beechey-Insel gefundenen Spuren verlockt, suchte man ihn im höchsten Norden. Penny hatte berichtet, daß er jenseits jener Insel ein offenes Meer gesehen habe, das fünf deutsche Meilen weit gegen Norden zu verfolgen und an seinem Endpunkte mit einem Wasserhimmel, d. h. einer dunkeln Stelle am Himmel, die ein Anzeichen von offenem Wasser ist, bedeckt gewesen sei. Merkwürdig war ihm die Menge

Anmerkungen (Wikisource)

  1. John Richardson, schottischer Naturhistoriker, Mediziner, Botaniker, Zoologe, Geologe, Polarforscher, Ichthyologe und Entdecker (1787–1865) (Quelle: Wikipedia)
  2. britischer Staatsbeamter und Geschichtsschreiber (1764–1848) (Quelle: Wikipedia)
  3. Francis Crozier, britischer Marineoffizier (1796–1848) (Quelle: Wikipedia)
  4. Sir Richard Collinson, britischer Marineoffizier und Nordpolarforscher (1811–1883) (Quelle: Wikipedia)
  5. Robert John Le Mesurier McClure, britischer Seefahrer und Nordpolarforscher, Entdecker der Nordwestpassage (1807–1873) (Quelle: Wikipedia)
  6. Sir Erasmus Ommanney, britischer Marineoffizier und Nordpolarforscher (1814–1904) (Quelle: englische Wikipedia)
  7. William Penny, schottischer Walfänger und Polarforscher (1809–1892) (Quelle: Wikipedia)
  8. James Fitzjames, britischer Marineoffizier und Polarforscher (1813–1848) (Quelle: englische Wikipedia)
  9. Alexander McDonald, schottischer Arzt und Polarforscher (1817–1848)
  10. Sir Henry Kellett, britischer Marineoffizier, Polarforscher und Ozeanograph (1806–1875) (Quelle: Wikipedia)
  11. Sir Edward Belcher, britischer Marineoffizier und Polarforscher (179–1877) (Quelle: Wikipedia)
  12. Sir George Henry Richards, britischer Marineoffizier und Polarforscher (1820–1896)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_006.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)