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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

ziemlich erloschen. Wenn ich von Geistern hörte oder in nordamerikanischen und französischen Blättern las, erschien mir der simulirte Geist meines guten Bruders und warnte mich vor den leichtsinnigen Bewohnern des Jenseits, welche nicht einmal die erste polizeiliche Maßregel: die Identität der Person festzustellen, ergreifen. Selbst die nach und nach auftauchenden Schriften des schon genannten Rendanten D. Hornung, des Zauberers von Berlin, gingen spurlos an mir vorüber. Ich überwand mich nicht, die „Neuen Geheimnisse des Tages“ zu lesen, nicht „Heinrich Heine, der Unsterbliche“, nicht die „Neuesten Erfahrungen aus dem Geisterleben“. Erst als mir ein literarischer Freund das letzte Werk der psychographischen Schule, „Die neuesten Manifestationen aus der Geisterwelt“, mit der dringenden Bitte zusandte, diesem Ausbund der Ungereimtheit einige Beachtung zu schenken, machte ich mich darüber her und las das 180 Seiten lange Opus von Anfang bis zu Ende durch.

Wie ein solches Werk nah der ernsten philosophischen Arbeit des letzten Jahrhunderts gedruckt werden konnte, begreift man nur, wenn man die merkwürdige Schwäche der menschlichen Natur und den geistig herunterbringenden Einfluß einer Lebensweise ohne regelmäßige Beschäftigung in Anschlag bringt. Hier ist gar nicht mehr die Rede von einer Citation der Geister, wie sie im Mittelalter gebräuchlich war, wo z. B. Tritheim[WS 1] dem Kaiser Maximilian[WS 2] seine erste Gemahlin erscheinen ließ, oder Faust Kaiser Karl dem Fünften den Schatten Alexanders des Großen zeigte; hier handelt es sich nicht mehr um geschickt gemachte Erscheinungen von kurzer Dauer, in tiefem Schweigen, oder in Begleitung von einzelnen orakelhaften Worten; bei dem Verfasser der neuesten Manifestationen, Herrn D. Hornung, finden förmliche Geisterkränzchen statt. Die Geister stellen sich so gut ein, wie Herr von Forstner, General von Pfuel, Herr Commerzienrath Ravené, Herr Hofopernsänger Krause, Herr von Willisen und Herr Graf Knyphausen, anderer Gäste und Berliner Notabilitäten gar nicht zu gedenken; die Wohnung des „geistreichen“ Rendanten in der Lindenstraße Nr. 16 gleicht einer Ressource für Gespenster. Kaum hat sich das Medium an den Psychographen gesetzt, und die Gesellschaft Platz genommen, so bemächtigt sich auch schon ein Geist des Mediums und theilt sich den Anwesenden durch das schreibende Instrument mit. Namentlich gewöhnen sich die ganz bösen und die dubiösen Geister an unsere alten Herren, während die guten Geister zurückhaltender sind und das für ihre ausgezeichnete Stellung erforderliche Decorum beobachten.

Zuweilen befehden sich sogar die bösen Geister und mischen sich unberufen Einer in des Andern Conversation mit dem Magier und der verehrlichen Gesellschaft. Die Aergsten sind der Angabe nach Heinrich Heine und ein schlesischer Geist, ein gewisser Horaz von Forno. Es ist kaum glaublich, in welchem Tone sich das letztgenannte Scheusal in Gegenwart gebildeter adliger Herren, reicher Industriellen und Künstler vernehmen läßt. Einmal hat besagter Horaz von Forno den Sänger des Buches der Lieder unterdrückt, und Herr D. Hornung bittet nun Heine, seine ganze Kraft anzustrengen, um Forno zu verdrängen. Er würde ihn dabei unterstützen und die Kraft des Allerhöchsten anrufen. Statt Heine’s Antwort, den Forno als der Stärkere nicht zuließ, wurde Folgendes durch das Medium geschrieben: „Zum Donnerwetter! störe Heine nicht, er muß beten. Das arme Luder, das früher so schön richtig deutsch gesprochen, hat hier (in der Hölle) vor lauter Frömmigkeit seine Muttersprache verlernt; singt der Kerl jetzt immer:

Herr Gott, ich lobe Dir
Und preise Deine Güte.

Mehr hat das arme Vieh von diesem Bauchkneifen erregenden Liede auf Erden nicht gelernt, und nun leiert er immer diese beiden Strophen; man möchte sich hier die Ohren mit Watte zustopfen, und das Bauchkneifen nimmt gar kein Ende; ich habe schon den glänzendsten Durchmarsch bekommen. – Kannst du ihm das Lied nicht weiter vorbeten? damit wir doch wenigstens eine Abwechselung bekommen und unsere Därme sich wieder stopfen. Forno.“

Mit dieser Sippschaft verkehrt der Magier und seine Freunde Monate lang und nimmt jedes Wort, welches durch das Medium mittelst Inspiration der verschiedenartigen Geister aufgeschrieben wird, für baare Münze und unumstößliche Wahrheit, wovon man sich auf jeder Seite des verzweifelten Buches selbst überzeugen mag. Auch sind die Geister im Ganzen nicht undankbar für so viel Vertrauen und Glauben. Sie scheinen sich in der Gesellschaft der alten Herren wohl zu fühlen und kehren immer wieder. So ist da der Geist eines Kapuziners Konrad aus Tübingen, der als siebentehalb Fuß langes Gespenst in einer Schloßkellerei nächtlich umgeht, aber von dem Herrn, der dort zur Miethe wohnt, nicht zum Reden gebracht werden kann, da der Psychograph ihm den Dienst versagt und die Geister seit einigen Jahren sich angewöhnt zu haben scheinen, ihre Ansichten nur durch dieses Instrument mitzutheilen. Der Tübinger Herr schreibt deshalb an Rendant D. Hornung, den Großmeister der psychographischen Loge, und fleht ihn inständigst an, den nächtlichen Ruhestörer zu citiren und zur Angabe seiner Persönlichkeit, wie seines Charakters, resp. Verbrechens, zu veranlassen. Alsbald werden die nöthigen geistmagnetischen Operationen angestellt, und der „jenseitige Unbekannte“ gibt sich als den schon genannten Konrad zu erkennen, wobei er sich gleichzeitig des Mordes Herzog Heinrichs des Löwen und seiner Gemahlin schuldig bekennt. In dem Vortrage dieses armen Geistes, der nach seinem Geständniß – er muß es doch selber am besten wissen – schon seit dem Jahre 1193 umgeht und schlechterdings nicht zur Ruhe gelangen kann, liegt aber so viel Reuiges und Gemüthliches, so viel Redseligkeit und Hang zu guten Menschen, daß die Ressource mit ihm ein förmliches criminalistisches Verhältniß anknüpft und ihn bis zum April des nächsten Jahres nicht aus den Händen läßt. Die Klagen Konrad’s reichen zwar nicht an den großartigen Styl Hamlet’s sen., allein mit den Redensarten betrübter Geister in gewöhnlichen Trauerspielen oder Melodramen lassen sie sich allenfalls vergleichen. Solche Kerle aus dem Jenseits kann der Hornung’sche Verein brauchen, und Konrad wird von ihm so grausam gezwiebelt, wie nur ein menschlicher Verbrecher von seinem Inquirenten. Er soll den Leichenstein der von ihm ermordeten Herzogin Mathilde angeben, kann jedoch schlechterdings damit nicht zur Zufriedenheit der Gesellschaft und des Tübinger Herrn zu Stande kommen. Man correspondirt emsig, ja in Tübingen werden ordentliche Nachgrabungen angestellt. Konrad findet indessen stets neue Ausflüchte, und nachdem er die würdigen Herren ein Vierteljahr lang hingehalten, vertröstet er sie schließlich mit der Auffindung des Steines auf künftige Zeiten. Inzwischen benutzen ihn die Herren als Uebersetzer einer aus Pittsburg in Pennsylvanien eingesandten Hieroglyphenschrift, denn die Psychographen correspondiren schon trotz den Akademien der Wissenschaften. Diese von einem amerikanischen Medium verfaßte Schrift wird vollständig übersetzt mitgetheilt, und enthält eine Göttergeschichte und Schöpfung des Menschen auf – dem Planeten Saturn. Der Leser des Buches glaubt sich zuweilen wirklich in einem Narrenhause zu befinden, und ich bewahre von einem Besuche der Irrenstation im Berliner Arbeitshause noch einige Blätter mit Selbstbekenntnissen einer armen Wahnsinnigen auf, in denen mehr Vernunft und weniger Verstöße gegen die rohesten Elemente der Naturwissenschaft enthalten sind, als in dieser Geistermanifestation.

Eine angenehme Abwechselung bringt die plötzliche Erscheinung des ehrsamen Hans Fürchtegott Gellert hervor. Als nämlich in der psychographischen Gesellschaft gefragt wird: „Wer wird heute die hier aufgestellten Fragen beantworten?“ meldet sich unerwarteter Weise der Leipziger Professor als Stellvertreter Konrad’s. Der fromme Mann läßt sich sogar herbei, den Herren zu erklären: „wodurch Bosco befähigt sei, mit doppelt verbundenen Augen jede Schrift zu lesen“. Seine Erklärung ist sehr sublim, sehr spiritualistisch und geistmagnetisch –. –. Alle namhaft gemachten Geister brauchten eigentlich gar nicht citirt zu werden, um unsere Kenntnisse zu bereichern. Ueber das Jenseits sagen sie nichts, was nicht schon tausendmal von Schwärmern oder Gaunern wiedergekäut worden wäre, über das Diesseits nichts, was nicht alle oberflächlich Gebildeten sich an den Schuhen abgelaufen hätten. Ja Geister, welche wie der mit aufgeführte kleine Richard, der schon im Jahre 1844, elf Monate alt, gestorben ist, den besten Unterricht im Jenseits genossen haben – Richard gibt Christus als seinen Lehrer an! – zeigen sogar die empörendste Unwissenheit. Unfehlbar hätte dieser kleine Geist, wenn er leben geblieben wäre, unter der Anleitung des ersten besten Kandidaten der Philologie bessere Fortschritte im Griechischen gemacht, als im Jenseits, denn er begeht am Schluß des Buches in einem Gedicht einen so lächerlichen Sprachfehler, und Herr Rendant D. Hornung fügt eine so böotische und nie „auf Schulen“ erhörte Erklärung hinzu, daß wir der Versuchung nicht widerstehen können, die Blätter der neuesten Manifestationen zu einem Zwecke zu verwerthen, welcher das Finale eines der erfreulichsten, wenn auch nur irdischen Acte im menschlichen Leben zu bilden pflegt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johannes Trithemius, Abt des Klosters Sponheim, Universalgelehrter und Humanist; wurde auch bekannt als Hexentheoretiker (1462–1516) (Quelle: Wikipedia)
  2. Maximilian I. von Habsburg, ab 1508 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (1459–1519) (Quelle: Wikipedia)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_011.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)