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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Ihr zuerst scherzender Ton hatte bei den letzten Worten sich in einen scharfen, befehlenden verwandelt; Bruno wollte erwidern, noch widerstreben, da begegneten sich ihre Blicke – ihre Augen, die ihm bisher immer wie verschleiert vorgekommen, brannten plötzlich dunkelglühend in sein Gesicht, gleich ihm entgegen lohenden Flammen … er betrat an ihrer Seite das Schloß, ging neben ihr die Treppe nach dem Erkerzimmer hinauf.

„Zwar nicht so herrlich, wie Sie es erwarteten, aber geschmückt ist es doch,“ sagte sie im Eintreten – „mit Blumen, mit Bildern!“

Eine eigenthümliche, nicht allzu behagliche Stimmung ergriff ihn, als er, von ihr auf einige Minuten allein gelassen, sich im Gemache umschaute.

Kein Zweifel – sie selbst bewohnte es, der Stickrahmen an jenem Fenster, die Nippsachen auf dem Schreibtisch, so viele zierliche, kostbare Nichtigkeiten, mit denen Frauen ihren Lieblingsplatz schmücken, die Vasen mit Blumen auf den Consolen – das Alles sprach dafür. Doch machte das Zimmer einen mehr ernsten, als heiteren Eindruck. „Es entspricht ihrem Gesicht,“ dachte er bei sich. Diese grünen, fast dunkeln Sammettapeten, einige Copien von Murillo[WS 1] an den Wänden, in der Nische vom Abendroth angehaucht die marmorne Statue einer Hebe[WS 2] … wer war sie denn eigentlich? Eine Verwandte von Clemens? Er wußte von keiner. Seine Gattin? Aber die Diener nannten sie Fräulein. Seine Geliebte? Es war ihm selbst unerklärlich, daß dieser Gedanke am längsten in ihm haftete, und trotz der Jungfräulichkeit ihrer Erscheinung glaubte er allmählich ein Etwas in ihr zu entdecken, was seine Vermuthung bestätigte. Und in welcher Lage befand er sich nun selbst ihr gegenüber? Er betrachtete seine Reisekleider, den Staub auf seinem braunen Calabreserhut mit gezwungenem Lächeln in dem hohen Stehspiegel. „Es ist schon recht,“ schalt er in sich hinein, „daß du ihr zum Gespött dienst! Was mußtest du gleich alle deine Geheimnisse und Empfindungen ihr offenbaren, damit prunken? Dich im Augenblick hinreißen lassen und leichtsinnig einem holden Winke folgen? Clemens wird nicht kommen, sondern die Dame wird ihm morgen einen spöttisch-mitleidigen Brief über dich und deinen Besuch schreiben und es wird wieder heißen: Bruno der Thor! Jetzt wie vor Jahren, immer und überall, verschlossen oder offenherzig, Bruno der Narr!“

Er trat an das Fenster und scheinbar im Anschauen der Landschaft versunken, während ihn doch ausschließlich diese Gedanken beschäftigten, überhörte er, daß sie zurückgekehrt war. Wie dann ihr seidenes Kleid dicht hinter ihm über den Boden rauschte und er sich umwandte, stand sie ähnlich der Hebe vor ihm, nur noch züchtiger, und das Angesicht in rosige Gluth getaucht.

Mit den schwindenden Stunden flogen denn auch Unmuth und Mißvergnügen von der Stirn; in freundlich anregendem Gespräch tauschten sich Gedanken, Gesinnungen, Urtheile zwischen Beiden aus, und trotz manchen Widerspruchs der Ansichten klang doch eine reine Harmonie, eine sie verbindende seelische Sympathie hindurch. Es war Beiden, als hätten sich ihre Seelen schon längst gekannt, als wären ihre Empfindungen schon längst in dasselbe Meer ewigen Wohllautes dahingefluthet. Was sie je erfreut, ein Gedicht, ein Bild, hatte auch sein Herz bewegt, was ihn je betrübt, unsere Unfreiheit und das dunkle Geschick, dem wir entgegenreifen, war auch in ihr tragisch nachgeklungen. So wurden sie vertraut, innig befreundet – sie wußten selbst nicht, wie – und Bruno fand es nach so vielen fast unwillkürlichen Geständnissen nur natürlich, daß er ihr endlich auch die Begebenheit erzählte, die ihn in wunderlicher Laune des Schicksals zu ihr geführt. Sein Mund hatte so lange darüber geschwiegen, er sein Herz verschlossen gehalten, daß er es jetzt vor der Einzigen ausströmen mußte, die ihn zu begreifen und ihm nachzuempfinden vermochte.

„Vor sechs Jahren,“ sagte er, „hatte ich eben meine Universitätsstudien beendigt und wohnte in der Hauptstadt unweit des Palastes der Arnheim am Thor. Die Nachbarschaft und das Zusammentreffen in philosophischen Collegien machte mich mit Clemens bekannt; frei von allen Standesvorurtheilen schloß er sich an mich an, wir wurden Herzensfreunde. Seine Eltern waren, wie die meinigen, gestorben, wir standen beinahe allein in der Welt, Beide nicht allzureich mit Glücksgütern gesegnet, er aber wenigstens mit der Hoffnung auf die große Erbschaft seines Oheims, der das Haus in der Stadt, dies Schloß und ich weiß nicht welche Güter noch besaß.“

„Das Alles hoffte Clemens zu erben?“ fragte sie leichthin dazwischen.

„Freilich; ich denke, er war der einzige nähere Verwandte des alten Herrn und –“

„Gut, gut!“ nickte sie.

„Wir waren Beide oft zusammen in diesem Schloß; der Graf war wunderlich, mürrisch, von Krankheiten geplagt, aber seine Liebhabereien für alte Bücher und seltene Mineralien entzückten mich, weil sie auch die meinigen waren; ich gehörte zu den aufrichtigsten Bewunderern seiner Sammlungen, mir zeigte er die kostbarsten Stücke, er bevorzugte mich sichtlich vor Clemens. Nicht wahr, da ist es ein gutes Zeichen unserer Freundschaft gewesen, daß sie nicht zerriß, sondern sich nur fester knüpfte? Sie kennen Clemens, er hat die vornehme Kälte seines Standes, etwas Ausschließliches, aber er verbirgt darunter ein leidenschaftliches Herz, eine großmüthige Hingebung. Damals drückte ihn seine abhängige Stellung von dem Oheim, die trübe Erinnerung an seinen Vater, der in wüster Verschwendung und Spielsucht sein Vermögen vergeudet, das Leben seiner Gattin gebrochen hatte – wie stolz und freudig muß er jetzt das Dasein betrachten, die Bahn des Ruhms, die sich seinem Ehrgeiz geöffnet! Denn Sie glauben wohl, daß wir unsere Ideale hatten, politische und sociale, daß wir die Welt und das Leben gern so schön und eben gestaltet hätten, wie diesen Garten …“

„Und Sie meinen, daß Clemens Arnheim nach ihrer Verwirklichung trachten würde?“

„Gewiß, so weit sein Arm und seine Kräfte reichen. Als ich durch das Dorf kam und die freundlichen Häuser, die stattliche Kirche, die Menschen selber mit dem verglich, was ich vor wenigen Jahren hier in häßlicher Verkommenheit gesehen, dankte ich ihm im Stillen.“

„Ihm!“ hauchte sie und preßte die Hände auf ihre Brust, deren Wallen zu unterdrücken.

„Ja, ihm und unseren Idealen!“

Und da er schwieg, fuhr sie gleichsam für ihn fort. – „Es erschien aber ein lebendiges Ideal, jene geheimnißvolle Adele, welche die mit Blut geschriebene Rune an dem Baumstamme im Garten bezeichnet.“

„Recht – und die Tragik, die auch schon eine alte ist, beginnt wie immer damit, daß beide Freunde sie liebten. War sie schön, war sie holdselig? Ich lese die Frage in Ihren Mienen. Mir war sie der höchsten Göttinnen eine. Es gab keinen Zauber, der in meinem Augen sie nicht schmückte, es gab nichts auf Erden, was ich ihr hätte vergleichen mögen – o, lachen Sie über mich, – ich finde auch jetzt noch nichts, was ihr Bild in meiner Seele verlöschen könnte.“

Stürmisch zerknitterte Isolde ihr Taschentuch in der Hand, und ihr Gesicht, von dem Lampenschirme verdeckt, überzog sich mit fahler Blässe.

„Ja, was war sie? Eine Nymphe, eine Fee? Vor mir schwebte sie beständig auf dem strahlendsten Regenbogen zwischen Himmel und Erde, die Welt aber nannte sie eine große, vielgeliebte Sängerin. Sie sehen – ein Traum der Jugend! Ich liebte sie, ich kannte sie zuerst – und es war eine Treulosigkeit von Clemens, daß er, meine Leidenschaft kennend, dennoch um Adele warb. Das ist nun vergeben und vergessen, wann hätte je die stoische Tugend vor der Liebe Stand gehalten? Ein Zufall, der sonderbarste in meinem Leben, unterrichtete mich von Allem, von Clemens’ Untreue, von Adelens Neigung zu ihm.“

In diesem Augenblick erhob sich Isolde von dem Sopha und trat schnellen Schritts in die Fensternische. Erschreckt wollte auch Bruno aufstehen, aber sie bat: „Bleiben Sie nur, mir scheint die Luft schwül, hier ist es kühler, und mein Ohr hört Sie so gut, wie mein Herz.“ So blieb er denn in dem Lehnstuhl sitzen, hell von der Lampe beschienen, daß sie aus dem Schatten, in dem sie stand, jede Veränderung seiner Züge belauschen konnte.

„Wie gesagt, was nun geschah, klingt beinahe wie ein Märchen. Es war im Frühling, und die Fenster meiner Wohnung gingen nach einem der großen Gärten hinaus, die auf dieser Seite die Stadt umkränzten. Die Freundlichkeit des Gärtners gestattete mir, in den Abendstunden in den Alleen, durch den Weinrebengang umherzustreifen. Selten traf ich einen der andern Hausgenossen darin, ein und ein anderes Mal eine ältere Dame, die zurückgezogen im Vorderhause wohnte und die schönste Geisblattlaube des Gartens für sich in Beschlag genommen hatte. Wir grüßten uns im Vorübergehen, sprachen aber nie ein Wort mit einander, sie

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Bartolomé Esteban Murillo, spanischer Maler (1618–1682) (Quelle: Wikipedia)
  2. Hebe, Göttin der Jugend in der griechischen Mythologie (Quelle: Wikipedia)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_019.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)