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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 3. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Aus dem Gedenkbuche der Gartenlaube.
„Dieweil ich den Glauben in’s Herz nicht gießen kann, so kann, noch soll ich Niemand dazu bringen, noch zwingen: denn Gott thut das allein und macht, daß er im Herzen lebet. Und wird aus dem Zwinggebote allein eine Spiegelfechterei, ein äußerlich Wesen, ein Affenspiel und eine menschliche Satzung, daraus denn scheinende Heilige, Heuchler oder Gleißner kommen. Denn da ist kein Herz, kein Glaube, keine Liebe. Man muß der Leute Herz am ersten fahen. Welches dann geschieht, wenn ich Gottes Wort treibe, predige das Evangelium, verkündige den Leuten ihre Irrthümer. Wer da folgen wollte, der folgete, wer nicht wollte, der bliebe außen …… Summa Summarum, predigen will ich’s, schreiben will ich’s, aber zwingen, dringen mit Gewalt will ich Niemand, denn der Glaube will willig, ungenöthigt angezogen werden.“
Dr. Martin Luther über Zwangsmaßregeln in Glaubenssachen.




Isolde.
Novelle von Karl Frenzel.
Fortsetzung.
2.

Wäre doch der Morgen nie gekommen, nie mit seinen Strahlen Zweifel, Unruhe und Irrung, oder wäre ich wenigstens, wünschte Bruno, in einer fernen, fremden Landschaft erwacht, so daß Alles, was gestern geschehen, ohne Folgen, nicht mehr für mich wäre, als ein lieblicher Traum!

Er hatte sich fest gelobt, den Tag in den nahen Gebirgsthälern zuzubringen und am Abend, wie er Isolden versprochen, in das Schloß zu kommen, um bis dahin allen Enthüllungen zu entgehen, die ihm etwa im Dorfe über das seltsame Mädchen gemacht werden könnten. Ihm schien es das Beste, sie in dem duftigen Nebel zu lassen und ihre liebliche und phantastische Erscheinung sich nicht selbst durch die gemeine Wirklichkeit zu zerstören.

Doch gleich die erste Frage seiner geschwätzigen Wirthin, als sie ihm den Morgenimbiß brachte, warf seine Pläne um: „Wie Ihnen unsere Schloßherrin, die Gräfin Schönfeld, gefallen? Nicht wahr, eine schöne und vornehme Dame!“ Und nun ging die Erzählung wie ein Strom weiter, daß der alte Graf von Arnheim sich mit seinem Neffen im letzten Jahr seines Lebens erzürnt, die Tochter einer entfernten Verwandten zu sich genommen und zur Erbin des größeren Theils seiner Güter eingesetzt, während der junge Herr Clemens nur einen Pflichttheil und das Stammhaus in der fernen Provinz erhalten habe; seit drei Jahren walte nun Gräfin Schönfeld als gütige Herrin auf dem Schlosse, alle Verbesserungen seien ihr Werk, sie wäre klüger, thätiger und freundlicher als die Männer, und es sei unbegreiflich, daß sie sich vor einiger Zeit mit ihrem Vetter verlobt habe, der doch ein finsterer und zorniger Herr sei. Ein bitteres Lächeln spielte bei diesen Offenbarungen um Bruno’s Mund. „Dahin mußte es also ausschlagen!“ dachte er. „Was sich so schön zu gestalten schien, wird für uns Alle zu einer häßlichen Irrung. Warum hielt nur ich allein mein Versprechen und kam aus meiner Einsamkeit herüber?“ Dann fiel ihm wieder das räthselhafte Ausbleiben von Clemens auf, zu dem er unter diesen Verhältnissen gar keinen Grund sah; er gedachte, daß er nie einer Isolde Schönfeld, nie einer Aenderung seiner Lage erwähnt; er gedachte auch des Ringes, den sie von sich geworfen.

In solchen Gedanken verließ er, zwiespältigen Willens, bald zum Bleiben, bald zum Gehen entschlossen, das Haus und schritt den Bergen zu.

Bruno Berghaupt zählte etwas über dreißig Jahre, eine schlanke, kräftige Gestalt, im Gesicht einen halb spöttischen, halb melancholischen Zug. Nur zu sehr war seine Behauptung gerechtfertigt, daß ihm die Unbekannte die Freudigkeit seines Lebens geraubt. Auf der Schule, wie noch später auf der Universität, war er unter seinen Genossen der fröhlichste und keckste gewesen, die Fülle und der Wechsel der Welt überraschte und berauschte ihn, so viel Freude und Schimmer schienen nur Sinne genug zu fordern, sie zu genießen. Der rasche, unerwartete Tod seiner Eltern verdüsterte ihm freilich die Freudigkeit des Daseins, aber das Glück, als ob es besorge, sein Schooßkind zu hart verwundet zu haben, schenkte ihm zum Ersatz des Verlustes eine Jugendfreundschaft, eine Jugendliebe. Bruno’s empfängliches Herz ging in diesen Gefühlen auf, und als sie sich schwach und wankelmüthig erwiesen, erfüllte ihn eine unbeschreibliche Verbitterung, ein Ueberdruß an Allem. Wie weit er auch den Schauplatz dieser Ereignisse floh, wie tief er sich auch in das Studium der Natur versenkte, die alte sorglose Freudigkeit kehrte nicht mehr zu ihm zurück. Nur wenn er sein Gemüth vor der Außenwelt wohl verwahrt hielte und gegen sie die scharfen und stachligen Seiten seines Wesens hervorkehre, glaubte er sich fortan vor ihren Angriffen sicher. Zu tief hatte sie ihn verletzt, als daß er es noch einmal wagen sollte, sich, wie er sagte, ihren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_033.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)