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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Adlerkrallen, Verrath und Täuschung, auszusetzen. Alle, die durch Zufall oder Wahl mit ihm zusammenkamen, erkannten ebenso bereitwillig seinen großen Verstand, seine Gelehrsamkeit und geistige Kraft an, als sie an seinem Herzen zweifelten und seine Zurückgezogenheit, sein einsames und unstätes Wanderleben seinem Menschenhasse zuschrieben. Wenn in ihm noch ein Schatz wärmster Empfindung und edelster Gedanken lag, so war doch kein fremdes Auge durch den Schutt und Staub, den fünf Jahre darüber geschüttet, zu ihm gedrungen; er war noch unberührt, und es gab Stunden, wo Bruno sich so verlassen, traurig und unselig fühlte, nach einem Herzen verlangend, das seines verstünde, und doch keins findend, daß er gern all’ diesen Reichthum für den Handdruck eines Freundes, den milden und doch beseligenden Blick einer Frau hingegeben hätte. Blickte er dann aber wieder im Leben umher, so schalt er diese Stunden der Rührung und der Weihe Thorheiten eines Schwärmers und schloß sich nur trotziger und bestimmter von Allem ab, was seine düstere Stimmung hätte unterbrechen können. Zwar wandte sich seine geistige Theilnahme so bewegt und regsam wie früher den Zuständen und Dingen zu, allein seine Anschauung von der Kläglichkeit des Einzelnen und der Zwecklosigkeit der Welt beraubte sie all’ ihrer Frische. Während sein leibliches Auge noch eine Schöpfung der Kunst bewunderte, sah er im Geiste schon die Hand des Geschicks, die sie zertrümmerte; und noch mehr, diese verborgene Macht, welche Menschen und Dinge bald gegen einander treibt, bald freundlich nähert, steht über dem Begriff der Schuld, uns aber, die wir nur ihre Werkzeuge und durch unser Wesen ihr unterthan sind, zwingt sie die Vertretung und Rechtfertigung ihrer Thaten auf: wir werden schuldig, weil sie es so will, sie, die uns doch unsere Natur gegeben.

Wie so glücklich hatte Bruno diese Reise angetreten! Als er vor zwei Monaten England verließ, sang am letzten Abend, den er in London zubrachte, Adele in der Oper — in eine Logenecke gedrückt hörte er wieder diese klangvolle, melodienreiche Stimme, sah er diese entzückende Gestalt wieder, die einst sein jugendliches Herz mit Begeisterung erfüllt. Sie aufsuchen wollte er nicht, sondern das gegebene Versprechen bis zu Ende in allen Punkten halten, aber es beglückte ihn, daß ihr Bild wie eine schützende Gottheit ihn auf die Reise begleitet. Darum, um die selige Empfindung, die ihn jetzt durchströmte, ungeirrt von jeder störenden Zufälligkeit an der Brust des Freundes und der Geliebten auszujubeln, hatte er, in der Heimath angekommen, die Hauptstadt vermieden und war sogleich nach dem Schlosse geeilt …

Jetzt schritt er im tiefsten Unmuth durch die Felsgründe, die waldbedeckten Berge hinauf und hinab, sich selbst zum Räthsel geworden. Jeden Entschluß, den er gefaßt, bekämpfte im nächsten Augenblick eine andere Betrachtung. Das Gewebe, worin er sich verstrickt fand, verwirrte ihn; das Geheimnißvolle um Isolden, ihre Seltsamkeit reizte ihn ebenso, wie ihn Clemens’ Untreue erbitterte. Statt zur Klarheit vorzudringen, tappte er in der Finsterniß weiter, in eine dunkle Zukunft hinein.

Seine Wanderung war lang, unstät und freudlos. Als er wieder das Wirthshaus des Dorfes erreichte, schlug die Uhr der Kirche die fünfte Stunde. Vor der Thür des Hauses stand ein Diener in der arnheimschen Livree — der Graf warte seit lange auf ihn, oben in seinem Zimmer, erfuhr Bruno von ihm. Eilig stieg er die Stiege hinauf, ohne den neugierigen und mißtrauischen Blick zu bemerken, den ihm der Diener nachsandte.

Graf Clemens Arnheim saß in dem altmodischen Lehnstuhl und blätterte ungeduldig in einem der Bücher, die Bruno auf dem Tische hatte liegen lassen.

„Bruno!“
„Clemens!“

Sie standen sich beide gegenüber, Jeder wußte mit einem Blick in das Antlitz des Andern, daß die alte Freundschaft darin wie im Herzen erloschen sei; darum zog Bruno die Hand, die er bei seinem Eintritt den Grafen schon entgegengestreckt hatte, hastig zurück … ein unheimliches Schweigen herrschte im Gemach.

„Adele,“ sagte dann Clemens und reichte ihm ein Kästchen, „schickt Dir die Rose.“
„Durch Dich?“

„Sie wußte Deinen Aufenthalt nicht und vermuthete, daß Du in unserer Hauptstadt sein würdest.“

„Und Sie selbst kommt nicht?“

„Sie erfuhr durch eine Freundin meine Verlobung mit der Gräfin Schönfeld.“

„So!“ Und Bruno setzte das Kästchen langsam auf den Tisch nieder, legte die Bücher zusammen, um die Bitterkeit, die in ihm aufstieg, niederzukämpfen — „und Du hofftest, daß auch ich nicht kommen würde?“

„Offen heraus — ja; Du hattest so lange nicht geschrieben, Du warst wie verschollen –“

„Du hast Recht, ich hätte verschollen bleiben müssen. Doch ich bin da, ich habe Deine Verlobte gesehen —“

„Ich weiß es, ich komme vom Schlosse.“

Bruno wandte sich rasch ab und stieß das Fenster auf, dann erst bemerkte er, daß Clemens noch immer stand — „Setz’ Dich doch! Ich meine, es kann heute noch einmal wie vor Jahren Alles zwischen uns klar werden — und ohne Blut!“

In Clemens’ blassem, schönem Gesicht zuckte ein unheimliches Leuchten, er setzte sich wieder in den Sessel nieder; Bruno blieb, die Arme über einander geschlagen, vor ihm stehen.

„Ich sollte Dich eigentlich fragen,“ sagte er langsam, fast nachlässig, „wozu dieser Wortbruch? diese Heimlichkeit? Was hätte Deine Verlobte wider unsere Zusammenkunft einwenden können? War sie eifersüchtig auf Adele? Sie wird so gut wissen, wie Du und ich, daß die Liebe einer gefeierten Sängerin nicht fünf Jahre dauert und daß Adele alt geworden, eben wie Du und ich. Wir hätten alle Drei noch eine Stunde des fröhlichsten Wiedersehens genießen können und dann uns vielleicht auf immer getrennt, weil die Saiten unserer Seelen, die einst so harmonisch in einander klangen, nun verstaubt und verstimmt sind, aber wir hätten doch Wort gehalten, Clemens — und ein Mann, ein Wort! Ich könnte mich beklagen, daß Du mich eine leidlich kindische Rolle vor einer Dame spielen ließest, deren Achtung mir theuer sein muß; allein Du wirst erwidern: das ist meine Sache, mein Geheimniß! Gut, und darum will ich nur Antwort auf dies Eine, ehrliche, muthige Antwort: was hast Du gegen mich?“

So lange Bruno sprach, hielt der Graf seine Stirn in seine Hand gestützt, tief nachsinnend und nur zuweilen mit einem heftigeren Zusammenpressen der Lippen die Worte des Freundes begleitend. Jetzt schaute er spähend nach ihm hinüber, als wolle er sich versichern, wie weit seine Offenheit gehen dürfe, welch’ feinster Faden in diesem verwirrten Gewebe dem Andern noch verborgen sei.

„Nichts,“ erwiderte er, „nichts habe ich wider Dich, Bruno, als eine unbestimmte, unklare und, wie ich fast bekennen muß, thörichte Eifersucht. Du sprachst gestern mit der Gräfin — lange und lebhaft, wie ich hörte — auch ich dränge mich nicht in Deine Geheimnisse und quäle mich um den Inhalt dieses Gespräches, aber Du wirst ihren eigenthümlichen, wunderlichen Charakter daraus erkannt haben und wirst meine Eifersucht darum entschuldigen, wenn auch nicht billigen.“

Eine Stimme in Bruno’s Seele gab Clemens Recht, und mit einem Ton, der wider seinen Willen bebte, fragte er: „Liebst Du sie denn?“

„Lieben? Ich fürchte, Bruno, darüber verstehen wir uns gegenseitig nicht mehr. Allein auch Du siehst die Welt um uns her entgöttert und leer an Idealen, Du begreifst, daß meine Heirath mit der Gräfin eine Nothwendigkeit ist. Sie stammt aus einem vornehmen, mir verwandten, aber herabgekommenen Geschlecht und wäre vielleicht noch in ihrer Armuth und Verborgenheit, wenn sie der Oheim mir nicht vorgezogen und mit seinen Gütern beschenkt hätte. Jetzt bin ich der Arme, ist sie die reiche, vielbegehrte Dame. Das Stammschloß an der böhmischen Grenze, das mir der Oheim nicht entziehen konnte, ist verfallen, fast ohne Werth, ich will vorwärts in der Welt, ich brauche zu meinem Namen auch den Reichthum — es war natürlich, daß ich zunächst an Isolde dachte.“

„Bleibt nur das Eine noch zweifelhaft: liebt sie Dich?“

Darauf antwortete Clemens nicht sogleich, er schien wieder seine Worte erst im Geheimen abzuwägen, endlich sprang er vom Sessel auf und faßte Bruno’s Hand: Ob sie mich liebt? Sie ist ein Dämon, sage ich Dir, und ich glaube, kein menschliches Auge drang in die Tiefe ihres Innern, aber sei’s darum, ich muß es mit ihr wagen.

„Auch ohne ihre Liebe?“

Clemens nickte. „Ich besitze nichts mehr als die Hoffnung auf diese Heirath. Ein Jahr lang habe ich um sie geworben und ihre freie Zustimmung erhalten. Von jenem Verlobungstage indessen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_034.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)