Seite:Die Gartenlaube (1860) 052.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

wieder, um seine Pistolen zu holen, es schien sich also um einen Zweikampf in der Schlucht zu handeln. Was darauf zwischen den beiden Männern vorgefallen, wußte nur Gott und der Schuldige – es zu finden war Sache der irdischen Gerechtigkeit.

Noch in derselben Nacht wurde Bruno nach der Hauptstadt geführt, erfuhr Isolde, daß er den Grafen Arnheim, vielleicht im Ringkampf, vom Felsen gestürzt habe.

Anfangs schien der Instructionsrichter im Innersten von Bruno’s Unschuld überzeugt; allein wie es keinen rechten Beweis für seine Schuld, so gab es auch keinen, der unwiderleglich seine Unschuld darthat. Denn Bruno verschwieg, so oft er auch über die Ereignisse des Abends befragt wurde, hartnäckig seine Anwesenheit im Schlosse – es war eben die Stunde, in der Clemens gestorben.

Er blieb bei seiner ersten Aussage, daß er sich in der achten Stunde auf der Höhe von dem Grafen, freilich, wie er zugestehen müsse, nach einem heftigen Wortwechsel getrennt und ihn dann erst in der Nacht zum eigenen Entsetzen als Leiche wiedergesehen hätte, seinen Mantel habe er im Niedersteigen verloren und des Verlustes nicht weiter geachtet. Was er in der Zwischenzeit begonnen, darüber verweigerte er jede Auskunft, der Gräfin erwähnte er niemals. Er war in dem Bewußtsein seiner Unschuld so sicher, daß er, auch ohne sein Geheimniß zu verrathen, an seine Freisprechung glaubte.

Sein Zartgefühl und sein Edelmuth sträubte sich dagegen, Isolde in dieser traurigen und ihr zwiefach schmerzlichen Verwickelung – wo der Todte ihr Bräutigam und der Angeklagte ihr Geliebter war – als Zeugin aufzurufen, ja nur überhaupt ihren Namen damit in Verbindung zu bringen. Noch mehr würde er in diesem Vorsatz bestärkt worden sein, wenn er gehört hätte, wie in der Gesellschaft diese Geschichte besprochen und gedeutet wurde.

Allein er irrte sich in dem stolzen und muthigen Charakter Isoldens.

Im ersten Schrecken, als das Gerücht des Geschehenen in entstellten Zügen zu ihr drang, hatte sie nicht an der Möglichkeit einer leidenschaftlichen That Bruno’s gezweifelt – nicht ein Mord des Grafen, aber wohl ein Kampf beider Männer konnte stattgefunden haben, in dem Clemens unterlegen war. Später nahm dann Alles seine wahren Formen an: – während Bruno bei ihr weilte, verunglückte der Graf auf dem unsicheren, durch den Regen noch schlüpfriger gewordenen Pfad. Die Frage freilich, was er um diese späte Abendstunde in der einsamen Schlucht gewollt, wohin er eilte, gegen wen seine Waffen bestimmt waren, bedeckte nun auf ewig der Deckel des Sarges in der Todtengruft des Schlosses. Diese letzten Dinge hatten Clemens’ Gedanken an seinem letzten Tage beschäftigt. In der Frühe, gerade als er zu Pferd steigen wollte, hatte er noch hastig auf ein Blättchen, das man jetzt Isolden brachte, geschrieben: „Wenn ich sterben sollte, vieltheure Cousine, lassen Sie mich in Ihrer Schloßcapelle neben dem Oheim bestatten – das ist meine letzte Bitte und zugleich eine große Bitte um Vergebung für Alles, was ich, von dem Drang des Irdischen verwirrt und hingerissen, Sie leiden ließ!“

Der Entschluß Isoldens konnte nicht zweifelhaft sein. Bruno’s Schweigen befremdete sie nicht, sie hatte nichts Anderes von ihm erwartet, es lag ihr nun selbst ob, seine Unschuld zu vertheidigen. Doch war es kein freudiges Gefühl, das Bruno mächtig erschütterte und seine ruhige Haltung brach, als er am Gerichtstage die Gräfin Schönfeld als Zeugin aufrufen hörte. Tief schwarz gekleidet, das Auge am Boden, näherte sie sich der Schranke. Erst allmählich erhob sie es und richtete es unverwandt auf den Vorsitzenden des Gerichts, ihn sah sie mit keinem Blicke an; dann ward auch ihre Stimme, die bei den ersten Fragen leise und kaum den Richtern vernehmlich geantwortet, fester und bestimmter. Sie erzählte, daß ein Zufall sie mit Bruno am ersten September zusammengeführt, daß sie ihn für den nächsten Abend um seinen Besuch im Schlosse gebeten habe; er sei nach sieben Uhr gekommen und habe bis über die neunte Stunde hinaus mit ihr geredet und sie erst verlassen, als nach den einstimmigen Aussagen der Bauern die Leiche ihres Verlobten schon von dem Orte seines Unglücks in das Dorf zurückgebracht worden sei. So viel sie von den Verhältnissen beider Männer wisse, wäre die Freundschaft, die sie einst verbunden, trotz manchen Zwiespalts in ihnen zu mächtig gewesen, um solche Thaten ihnen zu gestatten, deren man jetzt Bruno beschuldige. Mit zitternder Bewegung, aber doch voll hohen und ruhigen Ernstes legte sie für ihre Aussage den Eid ab – den dichten Schleier ihres Hutes über das Gesicht gezogen verließ sie den Saal. Auf der Schwelle hörte sie den Vorsitzenden an den Angeklagten die Worte richten, ob er die Aussage der Zeugin bestreite, hörte noch Bruno mit zerknirschtem Ton antworten: „Nein!“

Eine Stunde darauf war Bruno Berghaupt einstimmig von der Anklage freigesprochen und entlassen. War er glücklich?

Ach! viel zu schwer und drückend fand er das Opfer, das sie ihm gebracht. Wie man auch ihre Erklärung betrachten, wie günstig man sie auslegen mochte, sie hatte ihm ihren Ruf geopfert. Nun bist Du ihr doch auf ewig verpflichtet und kannst nicht los von ihr, sagte er sich. Was willst Du ihr zum Ersatz bieten? Was besitzest Du denn? Nichts! Fortan wird sogar Deine Liebe unter dem Zwange der Pflicht und der Dankbarkeit stehen.

Die Stadt hatte sie schon verlassen; sollte er sie im Schlosse aufsuchen? So sehr sich sein Herz auch dagegen sträubte, er durfte nicht ohne Dank und Abschied von hinnen gehen. Es war der bitterste Gang seines Lebens. Obgleich er wünschte, daß sie in der ruhigen Gemüthsstimmung wäre, nach der er noch vergeblich rang, überraschte ihn doch ihr Empfang: diese Ruhe, dies Gefaßtsein erschien ihm fast wie Kühle und Kälte. Er stammelte einige Worte des Dankes, er beklagte das traurige Ende des Freundes, suchte noch einmal nach Ausdrücken, ihr seine Empfindungen der Verehrung und Freundschaft für sie zu schildern – zuletzt stockte er ganz. Seine tiefe Bewegung klang auch in ihr nach, und der Ernst ihrer Stirn verklärte sich wieder zu jener lieblichen, sinnigen Schwermuth, die ihn am ersten Abend ihres Zusammentreffens so wunderbar gerührt.

„Ach! Herr Bruno,“ sagte sie, „ich lese in Ihrer Seele. Da steht wohl viel Schönes und Gutes für mich, aber daneben auch das Bild der Furie, und nie wird es sich von seinem Platz verdrängen lassen. Sie werden immer sagen: sie liebte mich, aber diese Liebe entriß mir den theuersten Freund und wollte mich demüthigen. Ja, in diesem Augenblick sogar fühlt sich Ihr Stolz gekränkt, Sie ertragen es unwillig, daß ich Sie dennoch erobert habe! Vergeben Sie mir, Bruno, daß ich Sie wider Ihren Willen befreite – und so befreite; ich löse Sie nun auch von mir.“

„Das werden Sie nicht, Fräulein Isolde; die seelische Verbindung zwischen uns besteht, wie weit wir auch sonst von einander getrennt sein mögen. Es ist ein eitler Hochmuth, aber ich behaupte es doch, Sie werden mich nicht ganz vergessen – und ich –“

„Und Sie, Herr Bruno?“

„Und ich? Wie fragen Sie so grausam und wissen doch, was widerstreitend in Lust und Qual mein Herz zerreißt – ich liebe Sie, Isolde!“

„Bruno!“

„Jetzt, wo Sie mich frei geben und mich aus dem Bann Ihres Willens lassen, empfinde ich erst meine ganze Gebundenheit. O, verschmähen Sie den nicht, der sich erst so spät Ihrem Zauber fügt; er wagt kaum einen Anspruch auf Ihre Gunst zu erheben, er hat sie zu schmählich verscherzt. Das ist ein schweres Geständniß, weil es meinen Stolz bricht und besiegt zu Ihren Füßen wirft, weil es den Schatten des Freundes wider mich heraufbeschwört und doch nicht mit einem Liebeskuß, sondern nur mit dem Schmerz der Entsagung und des Abschieds schließen wird.“

Bisher hatte sie unbeweglich, fast wie eine Statue vor ihm gestanden. „Uns trennen?“ rief sie jetzt aus, flammende Gluth im Antlitz, und erhob ihre Arme gen Himmel. „Da, wo Du mich liebst? Nur Eins scheidet uns fortan noch – der Tod!“

Weinend, schluchzend lag sie an seiner Brust.

Was sie ihm so fremd und unheimlich gemacht hatte, ihr Trotz, ihre Eigensucht, schien in dem feuchten und zärtlichen Glanz ihrer Augen versunken zu sein, die ihn mit bezwingender und doch sanfter Gewalt anschauten. Schimmerte doch eine Thräne an seinen Wimpern, um den Freund, um die Vergangenheit! – ihre Hand wischte sie fort. Ist denn das Glück auf Erden je ohne Schmerzen zu erkaufen? Hinausfahrend auf das offene Meer nach den Inseln der Seligen, sind wir zufrieden, nach den Stürmen in der engsten Bucht Sicherheit zu finden.

Anders urtheilte die Welt; als die Gräfin Schönfeld nach einem Jahre von längerer Reise als Bruno’s Gattin heimkehrte, hieß es überall: „Was konnte sie Anderes thun?“



 

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_052.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)