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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

welch’ ein ungeheurer, nach Millionen zu berechnender Schade war dem Staate und Privatwaldbesitzern zugefügt! In den Staatswäldern Litthauens sind, nach niedriger Schätzung, allein über zehn Millionen Klafter Holz trocken geworden, von denen, ungeachtet übermäßiger Anstrengungen, bis heute (Herbst 1859) kaum drei Viertheile aufgearbeitet und trotz der niedrigsten Preise verkauft und für die Bedürfnisse nutzbar gemacht worden sind! Und das Meiste von dem, was jetzt noch auf dem Stamme steht, wird leider auch nie zum Verbrauche kommen können, nicht einmal als Brennholz, weil es schon verdorben, gestockt und angefault, und deshalb auch nicht einmal für die Fällungskosten zu verwerthen ist.

Wer die prachtvollen litthauischen und masurischen Wälder vor einigen Jahren gesehen hat, der erkennt sie schwerlich wieder in ihrem jetzigen Zustande. Und doch ist der Anblick derselben an den meisten Orten für das Auge kein so widerwärtiger und ekelhafter, als man glauben sollte. Eigentliche Blößen und kahl gefressene Stellen kommen nur selten vor. In den allermeisten Fällen standen die Fichten nicht rein, sondern in der Vermischung mit allen möglichen Laubhölzern, besonders Eichen, Hainbuchen und Birken. Nachdem nun die todten Fichten herausgehauen sind, bilden die am Leben gebliebenen Laubhölzer immer noch einen, wenn auch nicht dichten, doch in den meisten Fällen noch geschlossenen Bestand. Unter denselben treibt eine wahrhaft üppige Vegetation empor, welche der sehr gute Boden, dessen Fruchtbarkeit durch die Raupendüngung für den Augenblick noch bedeutend erhöht ist, gleichsam als Ersatz für das Unglück bietet. Die ungeheure Masse von jungen, kräftigen Holzpflanzen, welche den Boden bedecken, bietet wenigstens die Garantie, daß ein eigentlicher Brennholzmangel nicht zu befürchten ist, wenn auch die Bauhölzer in den nächsten Jahrzehnten seltener und theurer werden dürften.

Die Frage, was mit den ungeheuren Holzmassen angefangen ist, wer sie gekauft, wozu sie benutzt sind, können wir hier nur oberflächlich beantworten. Es hat einmal die ganze Umgegend, von dem großen Gutsbesitzer herab bis zum kleinsten Häusler, die Gelegenheit, billiges Bauholz zu kaufen, benutzt und ihre Wohnungen neu- und umgebaut. Dann aber haben industrielle Unternehmer Werkstätten im Walde errichtet und mit Hunderten von Menschen die Bäume verarbeitet, zu Balken, Bretern und besonders Eisenbahnschwellen. Letztere sind besonders für die Königsberg-Eidkuhner Bahn und für russische Eisenbahnen verwendet worden; es sind aber solche auch nach Memel gegangen und von dort zu Wasser versendet, selbst bis nach Calcutta hin. Mit dem Brennholzabsatze ist man noch beschäftigt, und dies ist freilich ein sehr schwieriger Punkt, ja, wie man jetzt leider die Ueberzeugung hat, ist es auch unmöglich, die ganzen Bestände zu verwerthen, da die Fäulniß überhand nimmt. Die Preise haben sich im Durchschnitt für den Cubikfuß Nutzholz auf etwa 1 Sgr., für die Klafter Brennholz auf 20 Sgr. bis 1 Thaler gestellt, von welcher Summe man noch circa 10 Sgr. Hauungskosten in Abzug bringen muß. Gilt doch auf den Holzhöfen in Königsberg und Memel die Klafter Raupenfraßholz nur circa 3 Thaler. Das sind augenblicklich gute Zeiten für die frierenden Städter, denen es allerdings um so härter ankommen wird, in nicht allzuferner Zeit eine mindestens drei Mal so große Summe für dasselbe Quantum zu zahlen.

Als die Nonne endlich ausgewüthet hatte, athmete Alles hoch auf und betrachtete mit doppelter Liebe die wenigen übrig gebliebenen haubaren und nutzbaren Fichtenbestände. Kundige waren allerdings auch da noch besorgt und wollten prophezeien, daß das Verderben auch die jetzt verschonten Stämme ereilen würde, wenn auch nicht mehr durch die Raupen. Sie haben leider Recht gehabt. In manchen Reviertheilen und ganzen Revieren ist zur Zeit keine über 30 Jahre alte grüne Fichte zu finden, da die von der Raupe verschonten der Borkenkäfer vernichtet hat.

Dieser Borkenkäfer findet sich überall da ein, wo die Nadelhölzer durch den Sturm entwurzelt, durch Raupenfraß getödtet oder durch sonstige Calamitäten krank geworden sind. Der frische Harzgeruch zieht ihn an, und er vernichtet erbarmungslos, was seine Vorläufer noch übrig gelassen. Anfänglich nur das kranke Holz annehmend, geht er, wenn solches mangelt, zum gesunden über, bohrt sich zwischen Rinde und Holz ein, legt dort seine Eier ab, und die unglaublichsten Mengen dieser kaum zwei Linien langen Käferchen, welche in jedem Jahre eine doppelte Generation haben, machten es möglich, in wenig Monaten die ganze Rinde vom Baume abzulösen, was dessen unfehlbares Absterben verursacht.

So weit die Wissenschaft auch vorgeschritten ist, so gelehrt die Menschen auch sind, und so viele Mittel auch vorgeschlagen und angewendet wurden, solchen Unglücksfällen vorzubeugen oder dieselben, wenn sie trotzdem hereinbrechen, in ihrem Laufe wenigstens aufzuhalten, – derartigen ungeheuren Naturereignissen gegenüber muß auch der Stolzeste seine Ohnmacht bekennen und zugeben, daß die Natur mächtiger ist, als er. Ihre Kräfte können wir wohl uns dienstbar machen und sie benutzen, aber nur so lange sie selbst es für gut hält. Es scheint, als ob sie dem Menschen von Zeit zu Zeit in das Gedächtniß zurückrufen wolle, daß es ihr eigener freier Wille ist, wenn sie sich ihm dienstbar unterwirft, daß sie aber, weit entfernt davon, seine Sclavin zu sein, jeden Augenblick die angelegten Fesseln abwerfen und sich ihm in ihrer ganzen furchtbaren, majestätischen Kraft zeigen kann.




Sennenleben in den Schweizeralpen.
Von H. A. Berlepsch.
(Schluß.)

Des Aelplers Tagesordnung ist höchst einförmig, Sonn- und Wochentags die gleiche; kein Glockenklang läutet die Sabbathruhe ein, kein schmuckes Kleid bezeichnet den Feiertag, kein „gueti chüeli Wi, e–n gueti Fründ daby“ netzt am Wirthstisch den durstigen Gaumen zum „Kärtelen“. Wie die Sonne die höchsten Schneegipfel der Eisberge röthet, während die Thäler drunten noch tief im Morgenblau dämmernd dampfen, erhebt sich der Senn von seinem harten Heulager und melkt, während der Handbub Feuer anzündet. Die gewonnene Milch wird sogleich gekäset, wo nämlich fette oder feiste Käse gemacht werden, wie in den Kantonen Bern, Schwyz, Uri, Freiburg etc. Ist dann die im großen Kessel erhitzte Milch geschieden in „Käsbulderen“ und Schotte oder Molken, sind mit letzterer die Geräthschaften wieder gesäubert und das Vieh hinausgelassen, dann wird „z Morget geessen“. Fernere Bereitung der Käse, oder da wo „Anken und Buureschmalz“ (Butter) dargestellt werden, wie in den Appenzeller und St. Galler Alpen, überhaupt häusliche Arbeiten, füllen den Tag reichlich aus. Ist’s Abend geworden, dann lockt der Hirt oder der Senn mit dem „Ruggüßler“ oder „Kuhreihen“ die Thiere zur Hütte, entleert die strotzenden Euter von der gelblich-fetten, ganz rahm-ähnlichen Milch, und Käsen, Essen und Reinigen der Geräthschaften erfolgt wie am Morgen. Währenddem, bei einbrechender Nacht, tritt der Senn in den katholischen Kantonen hinaus vor seine Hütte und singt mit lauter Stimme durch einen großen hölzernen Milchtrichter (die Bolle genannt) in der Choralmelodie der Präfation ein Gebet, meist das Evangelium Johannis und den engelischen Gruß ab. Die anderen Hirten im Gebirge und die im Freien übernachtenden Wildheuer oder Wurzelgräber, die es hören, knieen fromm nieder und beten ein Paternoster und Avemaria dabei. Dieser späte Ruf ersetzt in den stillen, einsamen Alpen die Abendglocke, welche in den Thälern zum Dankgebet für die Segnungen des verlebten Tages einladet, und dient zugleich den von der Nacht überraschten, vielleicht verirrten Wanderern als gastfreundliche Einladung. Ist Alles nun beendet, dann geht’s zur Ruhe auf’s Wildheu unter die „Schnetzli-Decke“, und ein kräftiger, tiefer Schlaf stärkt die ermatteten Glieder.

Kein Senn, welcher einen Abendsegen spricht, vergißt das „liebe Vech“ mit einzuschließen; denn dem Gebirgsbewohner ist sein Vieh Alles, der höchste Inbegriff seiner irdischen Sorgen. Ihm widmet er oft mehr Pflege und Aufmerksamkeit, als sich selbst oder seiner Familie. Ein Appenzeller Senn, der gefragt wurde, wie viel Vieh er besitze, erwiderte: „Zwanzig Chüene, Gott b’hüet’s!“ – „„Und wie viel Kinder habt Ihr?““ – „Ach! vier dere Ohfläth (Unflath), Herr!“ – war die Antwort.

Der Kuhreihen, dieser weltberühmt gewordene Hirtengesang,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_059.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)