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auf Kairo bezogen werden; denn Keiner von Allen, welche in Kairo waren, vermag es, eine unaussprechliche Sehnsucht zu beschwichtigen, welche ihn immer und immer wieder nach jenen Palmen zieht. Mag ihm auch früher die traute, frische Heimath im rosigen Lichte erschienen sein: wenn er in ihr Kairo’s und seiner Palmen gedenkt, will ihm die Sonne der Heimath kalt, und sie selbst farblos dünken. Deshalb weiß ich es auch nicht, ob ich Jemand rathen darf, den Wanderstab zu nehmen, um nach Kairo zu ziehen: ich weiß es ja aus Erfahrung, daß er zu den goldenen Bildern der Erinnerung jene Sehnsucht gleichsam als Strafe mit sich bringt, eine kurze Zeit unter Palmen gewandelt zu haben.

Kairo ist nicht wie andere Städte, welche man mit flüchtigen Worten beschreiben kann; denn Kairo kann überhaupt nicht beschrieben werden; es muß sich selbst beschreiben Demjenigen, welcher Wochen, Monate, Jahre lang in ihm lebt und immer sich bestrebt, mehr und mehr mit ihm Eins zu werden. Dem Fremden bleibt Kairo ewig fremd, eben weil es eine Stadt der Wunder ist; erst dem Eingewohnten wird es verständlicher, – vollkommen vertraut aber nie. Denn jeder neue Tag in seinen Mauern bringt neue Wunder mit sich: der Tag von gestern ist nicht der von heute. Ich darf mich freuen, viele Monate in der Maheruhset gelebt zu haben, nicht aber rühmen, sie zu kennen. Dazu gehört ein in Kairo Geborenwerden, mit ihm Verwachsensein, und ein arabischer Geist, welcher jeden märchenhaften Eindruck zum vollen Märchen mit allem seinem Glanz und Schimmer weiterspinnt. Deshalb füllt der aus Kairo stammende Märchenerzähler die farbenprächtigen Gebilde seiner Einbildungskraft so oft mit schlichten Beschreibungen Kairos aus; er weiß es oder fühlt es unbewußt, daß seine Vaterstadt an und für sich selbst eine Wundersage auf Erden ist. Wenn nun ich versuche, Einiges über Kairo mitzutheilen, so kann das offenbar nichts nur halbwegs Vollständiges sein. Das, was ich mit Worten auszudrücken bestrebt sein werde, sind verschiedene, bunt an einander gereihte Bilder, wie sie gerade in meiner Erinnerung aufdämmern; ihnen fehlt aller Glanz, alle Farbenfrische der Wirklichkeit: – wer auch könnte diese ihnen wieder geben! Ich kann nur kurze, flüchtige Blicke auf Etwas thun lassen, an welchem das Auge immer und immer haften möchte.

Kairo liegt zwischen dem Nil und der Wüste, von seinen drei ziemlich weit von ihm entfernten Vorstädten, Bulakh, Altkairo und Djiseh, umgeben, der Stelle, auf welcher das alte Memphis lag, gegenüber. Der Barmherzigkeit eines Kriegers verdankt es seinen Ursprung. Amru, Emir und Feldherr des Chalifen Omahr, hatte sein Zelt in der Gegend des heutigen Altkairo oder Fostat aufgeschlagen, und konnte es bei seinem Aufbruche nicht wegnehmen lassen, weil eine Turteltaube ihr Nest in ihm angelegt und gerade noch nackte Junge hatte. Das Zelt blieb also stehen und wurde von den Zurückbleibenden seines Heeres in Besitz genommen; andere Zelte und Hütten entstanden neben ihm, und allgemach bildete sich eine Stadt an jener Stelle. Sie wurde von der erst dreihundert Jahre später gegründeten Massr el khahira bald überflügelt, und diese bei fernerem Wachsthum nach und nach mit allen ihren schmückenden Namen belegt. Der Araber nennt sie mit Stolz die siegreiche, von Gott beschirmte, begnadete und geliebte Hauptstadt, die Mutter der Welt; ihre Söhne jauchzen auf, wenn sie dort ihrer gedenken, und jubeln, wenn ihnen das Geschick verstatten will, zu ihren Thoren zurückzukehren.

Vom Nile aus sieht man nicht viel von der gewaltigen, mehr als eine halbe Quadratmeile bedeckenden, hundertfach überthürmten Stadt; nur die höchst gelegene Moschee auf der Festung zeigt dem Auge ihre himmelanstrebenden, säulenartigen Minarets und die von ihnen umstandenen Kuppeln, deren äußere Hülle ein von dem arabischen Geiste gepflückter und von der arabischen Hand gebundener Blüthenstrauß und deren Inneres ein Abbild des Himmels ist, mit goldener Schrift und erhabenen Zeichen, welche letzteren dem Gläubigen Lehre geben, wie sein freudenreicher Himmel zu erschließen sei. Diese im Licht des Südens gleichsam aufjauchzenden Bauwerke sind für den Ankommenden Werksteine und Wahrzeichen der Pracht, welche sich ihm offenbaren will, wenn er das innere Stadtthor durchschritten haben wird.

Kairo bietet einen Blumenstrauß in Stein aus der Ferne und einen zweiten Willkommensgruß aus Blumenmunde beim Eintritte. Denn der erste Platz, zu dem man gelangt, ist ein prächtiger Garten voll Duft und Farbe, die Esbekie. Er ist ein wunderherrlicher Spaziergang der Söhne und Töchter der Begnadigten, lieblich bei Tage, lieblicher noch bei Nacht. Der Ankömmling durcheilt ihn gewöhnlich mit stürmischer Hast, weil die Luft, die er einathmet, ihm die Dichtung in der Seele erleben läßt, und er es kaum erwarten kann, sich in das Reich der tausend märchenhaften Geheimnisse und geheimnißvollen Märchen zu stürzen; auch ich werde jetzt dasselbe thun, verspreche aber gewiß zu ihm zurückzukehren: denn ich gedenke eben einer jener auf der Esbekie verlebten Vollmondsnächte, deren Schimmer mir nicht erblichen ist, sondern fast noch strahlenderen Glanz gewonnen hat, einer jener Nächte, in welcher die wunderbare Zauberei der alten Märchenstadt gleichsam handgreiflich vor Augen tritt und die ganze Seele umstrickt.

Jedoch bedarf Kairo der Nacht gar nicht zu solcher Umstrickung; es zieht seinen Zauberkreis auch bei Tage um Herz und Sinn. Man muß nur einen Ritt zu Esel durch seinen Muhski und verschiedene Basare nach dem befestigten Schlosse des Vicekönigs machen, um davon die innigste Ueberzeugung zu gewinnen. Mir ist der erste Ausritt in Kairo noch lebhaft gegenwärtig. Ich war in einer andern Welt, ich kam mir vor, wie Einer, der von dem betäubenden Haschisch genossen und nun im trunkenen Traume wirre, bunte, fremde Bilder sieht; ich wußte nicht, ob ich meiner Sinne noch mächtig war. Erst viel später gelang es mir, die einzelnen Bilder zu sondern, zu prüfen und in der Seele nachzuzeichnen. Solch ein Gewimmel, wie ich hier sah, solch ein Gesumme, wie es in meine Ohren tönte, solch ein Gewoge, wie es mich umfloß, war mir auch nicht einmal im Traume vorgekommen. Licht, Sonne, Wärme, Himmel, Menschen und Thiere, Minarets und Kuppeln, Moschee und Haus, Palmenhäupter, welche dazwischen Grüße herabnicken, wunderbare Bogenthore mit köstlichem Spitzengewebe in Stein und Gyps, im frischem Schatten stehende Brunnen mit malerischen Gruppen Derer, welche sie umlagern, unnachahmlich geschnitzte Erkergitter, welche weit mehr verrathen, als sie zeigen wollen, und hunderterlei andere Dinge noch, für welche ich gar keine Namen habe, geben die Farben und Striche zu dem Wunderbilde, welches sich vor mir entrollte.

„Khahira ist die bunteste, keckste Mosaik und Musterkarte aller Völker, Lebensarten und Zeiten, ein riesenhaftes Museum, von allen möglichen und unmöglichen Gestalten, Formen, Bruchstücken und Vollgemälden der Bildung, der Sitte, der Künste, der Wissenschaften, des Glaubens, der Gläubigkeit und Ungläubigkeit, des Paradieses und der Wüste. Drei Erdtheile berühren sich hier mit ihren Stirnen und senden ihre Bewohner, ihre Reisenden, Gelehrten, Künstler, Abenteurer, Kaufleute, Vergnügten und Mißvergnügten hierher zu einem großartigen, wunderbaren Stelldichein.“

Ein ewig neu sich bildender und verschlingender Knäuel von seltsamen, bunten Gestalten füllt alle Straßen, welche selbst wiederum wahren Mißbrauch treiben mit Licht und Schatten, Helle und Dunkel, Stein und Holz, Fülle und Reichthum, Einfachheit und Armuth, gewesener, gegenwärtiger und werdender Pracht. Paläste wechseln mit Hütten, Neubauten mit in Schutt zerfallenen Häusern, einfache Lehmwände mit Mauern und Thoren, an denen eine überschwängliche Bildungsfähigkeit des Geistes alle ihre Erzeugnisse, Bildungen, Schöpfungen verschwendet zu haben scheint; die freien Plätze sind von düsteren Waarenhallen und lichtvollen Moscheen eingerahmt, deren Kuppeln wie wunderbare Kronen der Wunderstadt, deren schlanke, drei vielfach gegürtete Thürme wie ungeheuere Leuchter erscheinen, von denen neues Licht zu dem schon vorhandenen, hundertfach verschiedenen ausströmen kann, und zu Zeiten auch wirklich ausströmt. Einige Straßen sind breit und gerade, andere eng und krumm. Von den breiten sind mehrere oben mit Matten, Tüchern oder Bretern überdeckt, und diese Decke läßt nur hier und da blendende Lichtstrahlen herabfallen, welche jedoch selten bis auf den Boden gelangen. Dort herrscht ein heimliches Halbdunkel, zu welchem die oben einfallenden Lichter eine wunderliche Malerei in unbeschreiblichen Farbentönen liefern. In den engeren Straßen und Gäßchen ist jene Bedeckung unnöthig. Die Häuser springen hier mit jedem Stockwerke weiter vor und treten schon in der Mitte ihrer Höhe so nah zusammen, daß man von dem Erker des einen aus mit der Hand nach den, Erker des gegenüberstehenden langen kann. Unten ist die Straße eben so breit, daß ein beladenes Kameel durchgehen kann, oben blaut nur ein schmaler Streifen Himmel herein. Im Mittelpunkte der Stadt gewinnen die Gäßchen noch ein ganz anderes Ansehen durch die Kaufläden, welche sich hier ununterbrochen an einander reihen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_070.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)