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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Der Beleidigte hat die Wahl der Waffen und des Duell-Modus, der durch ein Comité von Freunden auf folgende Weise festgestellt ward, um dem Onkel Chunk jeden Vortheil, den er durch Praxis im Erwürgen etc. sich erworben hatte, zu nehmen. Das Duell sollte mit den üblichen Waffen stattfinden, Sechsschuß-Revolvers und Bowie-Messern, aber ganz im Dunkeln und ganz ohne Kleider.

Diese Bedingungen machten ungeheueres Aufsehen in der ganzen Umgegend. Duell zwischen den beiden größten „Peitschern“ in absoluter Finsterniß und Nacktheit! Die ganze kleine Stadt, in welcher Onkel Chunk residirte und wo das Duell executirt werden sollte, füllte sich mit Fremden und Wettenden.

Zur bestimmten Stunde, Nachts um 11 Uhr (um absolute Dunkelheit zu sichern), drängten sich Fremde und Freunde in das Gasthaus, auf dessen Boden in einem absolut bretervernagelten Raume die beiden Helden über einander entscheiden sollten. Plätze dicht an den Bretern und an den Eingängen in die „Höhle“ stiegen um hundert Procent, als die beiden Gegner von verschiedenen Seiten eingelassen und absolut verschlossen wurden.

Hier ließ mein Freund, dem die Geschichte speciell zum Besten gegeben ward, einen unmelodischen Pfeifton hören, der sich leicht übersetzen und verstehen ließ.

„Ach, Sie calculiren, daß es nun ’n Bischen in’s Aschgraue zu gehn anfängt?“ fragt Blibb triumphirend und vollkommen vorbereitet.

Wir nicken Beide. Blibb holt eine Zeitung, den „Tennessee Argus“ aus der Tasche: „Ich vermuthe, Ihr werdet das glauben. Da hier steht’s, Alles haarklein. Lesen Sie just weiter von der Stelle hier. So weit bin ich gekommen.“

Wir lasen die Geschichte im Tennessee-Argus zu Ende. Ich übersetze die Stelle möglichst wörtlich:

„Wie ein urweltlicher Bürger des Urwaldes, der mit nobler Verachtung alle verweichlichenden Künste und Hüllen der Civilisation von sich weist, tritt der patriotische Sohn Tennessee’s – „das ist mein Onkel Chunk,“ schaltete hier Blibb ein – in die Nacht des Kampfraumes mit der Miene eines Mannes, der sicher ist, seinen Feind zu Splittern aufzulösen. Mit nicht geringerer nobler Kühnheit riß sich der jüngere Held, frisch von den grünen Hügeln Illinois’, aus den Armen seiner theilnehmenden Freunde, um die Schwelle in die verhängnißvolle Höhle der Nacht zu überschreiten, den Tempel des Sieges oder die Vorhalle des Todes. Beide sollten fünfunddreißig Minuten eingeschlossen bleiben. Die ersten fünf Minuten sollten ohne Kampf oder Schuß hingehen, just zur Orientirung. Ein Schlag von außen sollte als Zeichen dienen, daß fünf Minuten verflossen seien.

„Niemals werden wir vergessen, mit welchen Gefühlen wir, Notizbuch in der Hand, in der Passage dicht am Breterverschlage der Kampfhöhle mit klopfendem Herzen während der fünf Minuten standen. Die Standplätze um mich wurden zuletzt à 20 Dollars abgegeben. Der Ertrag sollte gleichmäßig an den Wirth des Gasthauses und den Ueberlebenden vertheilt werden. Kurz vor Ablauf der fünf Minuten schrie Epaminondas Tilt neben mir, Busenfreund des jungen Helden von Illinois, daß hier der Verschlag blos ein Bret dick sei und jede Kugel durchdringen könne. So mußte die Passage geräumt werden, aber der Wirth, der den Schlag nicht eher geben wollte, bis es wieder voll wäre, ließ Andere à 20 Dollars herauf und machte so doppelten Profit (was im amerikanischen Englisch noch viel pfiffiger klingt: „realised twice over“, realisirte doppelt über). Endlich ward das Zeichen gegeben. Absolute Stille, nur daß wir zuweilen ein Gleiten an der Wand vernahmen, ein Gleiten und Schleichen der Helden innerhalb der absoluten Nacht. Die Wetten, anfangs Zwei oder Drei zu Eins auf den Oberst, fielen, als man zu bemerken glaubte, daß der junge Illinoiser ungemein pfiffig und sorglich war. Rix hatte ungemein viel Freunde, die, wie die Sache verlief, in der That einen guten Haufen Dollars gemacht haben müssen. Jetzt hörten wir einen Revolver zweimal knacken und den Oberst lachen. Sofort stiegen die Wetten auf Zehn zu Eins mit tüchtig viel Acceptanten. Kurz darauf ein einziger Schuß, worauf Rix jubelnd ausruft, daß man getrost aufmachen könne, da Chunk richtig „ausgewischt“ sei. Aber wir warteten die fünfunddreißig Minuten pflichtschuldigst aus. Wie wir öffnen und hineinleuchten, sitzt Rix mit übergeschlagenen Armen auf dem Boden und ruft nach seinen Kleidern. Oberst Chunk lag total „ausgewischt“.

„Während der ersten Vorbereitungsminuten – den aufregendsten außerhalb – hatte sich Rix geradezu an das andere Ende der Höhle geschlichen, um in möglichst größter Ferne vom Oberst ihn kommen zu hören. Er war aber nicht wenig erstaunt, nach einigen Minuten aus dem Athem des Oberst zu schließen, daß dieser just denselben Kniff befolgt hatte und dicht neben ihm war.“

Hiermit schloß plötzlich der Bericht.

„Wie kommt es aber, daß uns nicht gesagt wird, wie eigentlich Ihr großer Onkel zu seinem Schicksale kam?“ fragte mein Freund den stolzen Neffen des großen Onkels.

„O, das steht erst in der zweiten Ausgabe des Tennessee-Argus, die erst erschien, als Rix mit seinen Freunden und Dollars über der Grenze war. Rix hatte ’nen Busenfreund, Epaminondas Tilt, der so fest neben dem Berichterstatter aushielt, weil er da etwas zu thun hatte (für ein Drittel des Antheils, wie ich später erfuhr). Er hielt einen Faden, der durch die Breterwand in den Kamin der Höhle lief und an einen Stein gebunden war. Ein Weilchen nach den fünf Minuten zuckte Tilt an dem Faden, so daß der Stein im Kamin etwas rutschte, was Onkel Chunk für eine Bewegung seines Gegners hielt. So regt er sich nun selbst, um loszudrücken, verräth dadurch seine Position und wird „ausgewischt“. Ein verdammt pfiffiger Einfall! Rix ward deshalb abgöttisch verehrt und blieb seitdem unangefochten auf seiner Höhe. Hätt’s Onkel Chunk überlebt, ich wette, Keiner hätte den Rix mehr bewundert, als Onkel Chunk. Onkel Chunk war ’n Mann, wie ihn sämmtliche vereinigte Republiken – die bald am längsten vereinigt gewesen sein werden – nicht wieder zu Stande bringen, nie!!“




Eine Feldgärtner-Colonie.

Der Gedanke, das Uebel der Welt im Keime zu vernichten durch Erziehung und Arbeit, gehört Pestalozzi an, aber zu dessen tüchtiger Ausführung fehlte dem großen Menschenfreund praktischer Sinn und Geschick. Diese besaß in reichem Maße sein Freund und Mitstreiter Fellenberg; seine Armenschule, deren Zöglinge neben dem Unterricht den Landbau betrieben, ward zum sicheren Fundament des materiellen Gedeihens in dem großen Erziehungsstaate Hofwyl und insbesondere unter und durch Wehrli’s Leitung zum Muster für alle nachentstandenen Anstalten dieser Art. Die große Frage, ob Feldgärtner-Colonien, d. h. Anstalten, welche vermittelst gärtnermäßigen Landbaus ihren Zöglingen sowohl Mittel zur Erziehung, als auch zum theilweisen Unterhalt liefern sollen, möglich oder rathsam seien, bewegte lange die pädagogische Welt. Fellenberg machte den Versuch in der Praxis; er kaufte ein heruntergekommenes bäuerliches Anwesen zu Maykirch, einige Stunden von Hofwyl, und setzte dahin einen Lehrer mit elf erwachsenen Knaben seiner Armenschule. Das Experiment gelang vollständig, die kleine Cclonie erhielt sich selbst und wurde nach einigen Jahren als verbessertes Gütchen zu höherem Preise wieder veräußert. Auch andere Beispiele haben die oft bezweifelte Möglichkeit der Sache erwiesen. Allein dennoch stehen der allgemeineren Einführung solcher Feldgärtner-Colonien zwei große Hindernisse entgegen. Das erste ist das Finden des richtigen Mannes, der an ihre Spitze gehört, und dies ist keine Kleinigkeit. Er muß Vater und Mutter, Lehrer und Freund, Vorarbeiter und Spielgenosse seiner Zöglinge sein; sie werden für ihn die ganze Welt, und das Gelingen ihrer Erziehung muß ihm Alles ersetzen, was das Leben sonst zu bieten vermag. Nicht allein gründliche Kenntniß der Elementarwissenschaften, sondern auch der Landwirthschaft, des Gartenbaus, des Hauswesens muß er besitzen; neben eisern konsequentem Charakter die Liebe einer Mutter, die Geduld eines Weisen und den Scharfblick eines Menschenkenners. Wo diese Eigenschaften dem Hausvater fehlen, da wird und muß eine derartige Anstalt zu Grunde gehen. Aber wie selten sind sie in einem Menschen vereinigt, und wie noch seltener wird ein solcher jenen mühevollen und mindestens vor der Welt nicht dankbaren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_075.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)