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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und ruht nur aus, wenn ein Neuangekommener seinen Schatz von Neuigkeiten bereichern kann. Während er die dunkle Mähne des einen Löwen mit Kamm und Eisen bearbeitet, sitzen die andern mit ausgestreckten Beinen, die Cigarre im Munde, auf Sophas und Stühlen und warten ruhig ab, bis die Reihe an sie kommt. Theaterklatsch, Liebesgeschichten, Raub und Mordthaten und dergleichen Dinge füllen ganze Stunden aus und sind so anziehend, daß der Löwe, selbst frisirt, noch die Boutique nicht verläßt, sondern seinen Kaffee aus dem nahen Kaffeehause herüberkommen läßt, um ihn in der wahlverwandten Gesellschaft langsam hinabzuschlürfen. Einige schöne Tagesstunden werden auf diese Weise glücklich todtgeschlagen. Dann erhebt man sich und, bedeckt vom stolzen römischen Mantel, der manche Aermlichkeit verhüllt, macht man in Gruppen einen Spaziergang durch die eleganten Arkaden bei S. Petronio, bleibt vor den Auslegekasten stehen und blickt den vorübergehenden Schönen unter den Hut.

Gegen drei Uhr kehrt man auf seine Stube zurück, die selten ein fremder Fuß betritt und die darum mit einer Matratze, einem dreibeinigen Stuhl und dergleichen Einrichtung hinlänglich möblirt ist. Vor einem blinden oder zerbrochenen Spiegel wird der Hemdkragen umgebunden, der ein reines Hemd heuchelt, wird die Toilette überhaupt in diesem Geist und Systeme fortgesetzt und vollendet. Als ziemlich stattliche Figur tritt man wieder in die Straße, um in dem oder jenem Palazzo einen Besuch zu machen, eine Dame über ihr gestriges Aussehen im Theater zu becomplimentiren, Schmeicheleien zu sagen und die Neuigkeiten anzubringen, die man beim Friseur an bester Quelle geschöpft hat. Dann geht es zu Tische, dann wieder in’s Kaffeehaus, dann in’s Theater. Da gibt es große Löwenhöhlen, d. i. große Logen, die aus drei und vier vereinigten Logen bestehen, deren Zwischenwände gefallen und die mit glänzenden Tapeten ausgelegt und auffallend hell erleuchtet sind. Die Löwen associiren sich und pachten diese Logen für die ganze Staggione um einen Spottpreis. Herrlich beleuchtet, geben sie da ihre Schönheit zum Besten, ziehen die Aufmerksamkeit durch lautes Plaudern auf sich, entscheiden das Geschick der Sängerinnen und zertheilen sich in den Zwischenacten in die andern Logen, um den Hof zu machen.

Die Bedürfnisse eines solchen Löwen können selbst bei kleiner Rente befriedigt werden, da das Leben in Bologna für den Einheimischen sehr billig ist. Nur die äußere, sichtbare Toilette verursacht einige Kosten; auf die unsichtbare wird wenig verwendet, sowohl was die Näherei, als was die Wäscherei betrifft. Der Müßiggänger ißt und trinkt wenig, wie jeder Italiener, und erschrickt nicht vor der kleinsten, schmutzigsten Trattoria, wo er zu zwei Paoli seinen Leib ernährt. So ist es Jedem leicht gemacht, in den Orden zu treten, und so erklärt sich auch die große Anzahl seiner Ordensbrüder.

Im vorigen und noch zu Anfang dieses Jahrhunderts, hatte das Müßiggängerthum Bologna’s etwas Romantisches und Classisches zugleich. Der Patrizier, wie einst der römische, hatte seine Clientel, die aus ärmeren Patriziern und Plebejern bestand. Er war ihr Haupt und Schützer, und sie hingen ihm treu an. Von ihnen umgeben und gefolgt zeigte er sich unter den Arkaden, durchzog er das Land, machte er sich der Polizei, in politischen Dingen manchmal selbst der Regierung, und immer den Vätern, Ehemännern und seinen Feinden und Nebenbuhlern furchtbar. Nur wenige Patrizier brauchten sich zu verabreden, um einen großen Tumult, eine Demonstration, selbst einen Aufruhr hervorzubringen; sie versammelten ihre Clienten und zogen auf den Markt. Viele dumme und manche kecke und romantische Streiche wurden da aufgeführt. Im Jahre 1848 hat sich die Erinnerung an jene Zeiten geltend gemacht, und unternehmende Revolutionäre warben solche Clientelen mit Hülfe ihrer Beredsamkeit. Heute ist von dieser aus altpatrizischer, guelfischer, vielleicht römischer Zeit stammenden Institution wenig oder nichts mehr zu merken; der junge Mann aus dem Volke ist ernster und strebsamer geworden, und der elegante Müßiggänger steht allein da, ohne Classicität und Romantik, langweilig, platt, nichtssagend, wie in allen andern Ländern der Welt, selbst jener Philosophie baar, die den neapolitanischen Lazzarone auszeichnet.

Man fühlt sich von Ekel erfüllt, wenn man in einer Zeit, wie die jetzige, diese gesunden, kräftigen Gestalten nach wie vor beim Friseur und im Theater sieht, während sie in Rimini unter Waffen stehen sollten. Es ist das eine der schönen Erbschaften der klerikalen Herrschaft, die darauf ausging, die Fäulniß jeder jungen Kraft zu beschleunigen, und der neuen Regierung ist es schwer, hier zu helfen, da ihr kein Gesetz zur Seite steht, das sie zur Benutzung dieser brachliegenden Kräfte anwenden könnte. In Modena und Parma hat sie die Conscription bereits eingeführt; in der Romagna soll es jetzt geschehen, aber zur Zeit ist das eine pure Unmöglichkeit, da kein Geburtsregister, kein état civil, überhaupt keine Einrichtung besteht, die der Behörde einen Blick in Bevölkerungs-, Alters- und Vermögensverhältnisse erlaubte; auch in dieser Beziehung hatte die Regierung des Papstes die größte Ähnlichkeit mit der Regierung des Großtürken. Doch muß dieser Relation Bologneser Müßiggängerthums zur Steuer der Wahrheit beigefügt werden, daß sich ein bedeutender Theil der bisherigen Faulenzer freiwillig aufgerafft, daß ihn der Patriotismus erhoben und daß der Bewegung aus seinen Reihen manche Kraft zu Gute gekommen. In den Bureaux wie in der Armee der Liga findet sich heute mancher junge Mann arbeitend und begeistert, der noch vor wenigen Monaten mit Seinesgleichen zu verfaulen drohte. Das ist einer der Anfänge des Freiheitssegens.

Von Bologna als der Stadt der Müßiggänger sprechend, könnte ich jetzt noch Manches von den zahllosen Mönchen, Nonnen, Klöstern und Canonikern erzählen, aber das sind bekannte Leiden. Auch macht sich dieser Theil der Bevölkerung im jetzigen Augenblick weniger geltend. Die Bettelmönche, mit ihren großen weißen, über die Schulter geworfenen Bettelsäcken, gehen zwar noch von Haus zu Haus; aber die anderen, besonders die politischen, wie z. B. die Jesuiten, halten sich stille, wenn auch wahrscheinlich nicht unthätig, in ihren Klausen und Hallen und Sälen. Die Dominikaner haben dieser Tage einen tiefen Seelenschmerz erlitten, indem der Dictator Farini durch ein Decret die Inquisition aufhob, jenes Institut, mit dessen Ruhm vorzugsweise der historische Glanz dieses Ordens zusammenhing. Liest man dieses und die vielen anderen Aufhebungsdecrete, die alltäglich die Straßenecken bedecken, so glaubt man von alten Zeiten zu lesen oder im 15. Jahrhundert zu leben, und ist erstaunt, wie Vieles die neue Zeit noch zu thun und zu vernichten hat. Wenn die jetzige Bewegung glückt und Italien zu einiger Freiheit gelangt, werden nur böswillige Verleumder den Muth haben, auf die schlimmen Zustände aufmerksam zu machen, die sich selbst unter der Freiheit noch lange, lange Zeit erhalten werden, denn es ist unmöglich, in kurzer Zeit das Unkraut auszujäten, das eine der unglücklichsten Regierungen der Welt nicht nur aufwuchern ließ, sondern systematisch pflegte und aussäte. Man lese nur diese Decrete des Dictators, der sehr gut weiß, daß man mit Decreten nicht an einem Tage abschafft, was durch Jahrhunderte verderbt ist, der aber auf die innere Verfassung aufmerksam und die Nothwendigkeit einer radicalen Reform durch Bloßstellung der Schäden klar machen will; man lese das Circulaire des Marchese Pepoli und die angehängten officiellen Documente, um sich einen Begriff von der Justiz zu machen, die bisher im Kirchenstaate geherrscht und welche die türkische beschämt; man lese endlich im Monitore di Bologna die Correspondenz der Cardinäle und Legaten, um sich zu überzeugen, wie bewußt dieses System der Gewaltsamkeit, der Verfolgung, der summarischen Justiz, der Verdummung etc. aufrecht erhalten worden, ja, wie es den Regierenden noch nicht genügt und wie sie sich als tiefe Psychologen über fernere und gründlichere Ausbildung dieses Systems berathen. Wie eigenthümlich klingen diesen Thatsachen gegenüber die Klagen Roms über die Undankbarkeit der Völker! Die Undankbarkeit! Wir wollen hier nur eine kleine Geschichte erzählen.

Im Jahre 1857 kam Pius IX. dessen persönliche Herzensgüte man auch hier rühmend anerkennt, nach Bologna. Eine Deputation der Stadt erlangte endlich Gehör und sie bat Se. Heiligkeit, doch einige kleine Reformen einzuführen, Reformen, welche er doch selbst in seinem Motuproprio aus Portici versprochen hatte. Nachdem die Deputation sich in Bitten und Vorstellungen erschöpft, antwortete ihnen der heilige Vater, er sehe wohl, wie sehr sie vom bösen Geist verblendet seien, und er wolle Gott, seinen Sohn und die heilige Jungfrau um Erleuchtung der Verblendeten bitten. Doch hat Pius IX. Bologna nicht verlassen, ohne drei Gnaden über die Bevölkerung der Legation auszugießen: er verordnete, daß aus seiner Casse eine gewisse Summe zum Ausbaue der Façade von S. Petronio, der großartigen Kirche Bologna’s, beigesteuert werde, daß der Flecken Crevacuore den besser klingenden Namen Buonocuore, der Flecken Malalbergo den ebenfalls gemüthlicheren Namen Buonalbergo erhalte.

Die ausgesetzte Summe Geldes ist bis auf den heutigen Tag nicht angekommen, und wäre sie gekommen, der Papst hätte sich die Dankbarkeit der Bevölkerung schwerlich damit erworben.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_079.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)