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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Jedermann sah ein, daß ein Klerus, der in dem kleinen Kirchenstaate liegende Güter im Werthe von fünfhundert Millionen besitzt, dem außerdem vom Staate jährlich ein Budget zugewiesen wird und der sich noch dazu der größten Einkünfte an freiwilligen Gaben, Erbschaften, Sammlungen. Gebühren etc. erfreut, eines solchen Zuschusses zum Ausbau einer Kirche nicht bedarf. Was die beiden umgetauften Gemeinden betrifft, so betrachteten sie die Gnade als einen Hohn auf die Gnade und beeilten sich, den Dictator um Rückgabe der schlechtklingenden alten Namen zu bitten.

Noch eigenthümlicher als jene Klagen über Undankbarkeit klingt die römische Versicherung: „das Volk will mich!“ dem Briefe des Cardinal Massimo, Gouverneurs der Provinz Ravenna, gegenüber, in welchem dieser behauptet, daß, „die Greise, die Frauen und die Kinder ausgenommen, der ganze Rest der Bevölkerung vom achtzehnten Jahre aufwärts, der Regierung auf’s Aeußerste feindselig gesinnt sei – ausgenommen etwa noch einige sehr wenige furchtlose Legitimisten“. An andern Stellen wird versichert, daß, nach verläßlichen polizeilichen Berichten, nicht dreißig Personen in der Provinz dem römischen Regimente günstig seien – daß Alles, vom Patrizier angefangen bis zum niedrigsten Knechte, gegen die Regierung conspirire etc. Der Cardinal versichert auch, daß ein nicht kleiner Theil selbst des Klerus unzufrieden sei. Noch schrecklichere Zeugnisse von der Beliebtheit des römischen Regimentes finden sich in dem nicht minder authentischen Auszuge eines politischen Processes, der bereits aus dem Jahre 1840 datirt. Da wird es zu wiederholten Malen ausgesprochen, daß, wenn man die ganze geheime, der römischen Regierung feindliche Gesellschaft arretiren wollte, man den größten Theil der ganzen Bevölkerung verhaften müßte etc. Und „das Volk will mich!“ – In Parma, in Modena liest man auf allen Häusern die Inschrift: „Es lebe Victor Emanuel, unser legitimer König!“, in Bologna liest man auf den Zetteln, die ebenfalls an allen Häusern, und an manchen Häusern unter jedem Fenster angeklebt sind: „Wir wollen Victor Emanuel zum König! Noi vogliamo Vittorio Emanuele[WS 1] per nostro Re!“ Ist dieses „wir wollen“ nicht vielleicht eine absichtliche Antwort auf das „Will“ Roms?




Blätter und Blüthen.


Die nordamerikanische Barbierstube. Wie in tausend anderen Dingen, so prägt sich auch in den nordamerikanischen Barbierstuben jene Verschiedenheit aus, die äußerst charakteristisch zwischen dem dortigen Wesen und unserer hierländischen deutschen Weise besteht.

Zeit ist Geld“ gilt in den Vereinigten Staaten als der alle Verhältnisse des dortigen Lebens und Strebens bestimmende, ja durchdringende oberste Grundsatz; und so geschah es denn auch, daß unser, in mehr als einer Beziehung noch wenig entwickeltes und dabei überaus schleppendes deutsches Barbierwesen auf einem Boden nicht Wurzel zu schlagen vermochte, wo die freie Concurrenz das Spiel der Kräfte weckt, beschleunigt und veredelt. wo der herkömmliche Schlendrian, die Faulheit und die Trägheit sich nicht hinter sogenannten „Gerechtigkeiten“ verstecken können.

In den nordamerikanischen Städten, und vollends ganz und gar nicht auf dem Lande, klopft also kein rechtschaffener Barbier an die Zimmerthür, steckt das werthe Haupt hindurch und fragt bescheidentlich an: „Ob der Herr barbirt zu werden wünsche?“ Keinem fällt es ein, den Fuß über seine Schwelle zu setzen, um, wenn kaum der Hahn gekräht, oder noch in später Abendstunde, bei Sonnenschein oder in Sturm und Wetter einer nach allen Richtungen hin zerstreuten Kundschaft keuchend nachzujagen. Der nordamerikanische Barbier läßt sich suchen. Wer rasirt sein will, hat sich männiglich in die Barbierstube zu verfügen.[1] Dafür aber wird man hier wahrhaft salonmäßig empfangen und äußerst prompt, höchst sauber und gentil bedient.

Eigentliche Nichtsthuer, Staatshämorrhoidarier und Individuen ähnlicher Gattung gibt es in den Vereinigten Staaten von Nordamerika kaum. Alle Welt arbeitet und schafft, und man schafft und arbeitet viel: der Unbemittelte, um bemittelt, der Reiche, um reicher zu werden. Die Arbeit, der Verdienst ist die Ehre des Mannes. Darum nimmt man die Zeit so zusammen. Jede Minute hat ihren Werth und ihren Preis. Darum auch genügt man dem Bedürfniß, rasirt zu werden, meist nur im Vorbeigehen, ohne sich dabei an eine bestimmte Stunde zu binden. Die Barbierstuben sind ohne Unterlaß besucht. Dem oft so überaus lästigen Warten auf den Barbier setzt sich kein nordamerikanischer Freibürger aus. Für den Barbier andererseits erwächst daraus der Vortheil, daß er in seinem Local binnen zwei Stunden soviel und mehr Kunden zu bedienen vermag, als ihm sonst den ganzen Tag über möglich sein würde, wenn er dieselben in ihren Behausungen aufzusuchen genöthigt wäre.

Wan nun die Operation des Rasirens selbst betrifft, so geschieht dieselbe mit einer Gewandtheit und Schnelligkeit, die der übergroßen Mehrzahl unserer deutschen Barbiere als wahrhaft mustergültig zur unbedingten Nachahmung zu empfehlen sein dürfte. Zuvörderst ist man nicht der Gefahr ausgesetzt, wie dies in den deutschen Barbierstuben so häufig zu geschehen pflegt, mit einer vielfach begriffenen, unsaubern Serviette, die vielleicht schon mehrtägige Dienste geleistet hat, umhangen zu werden; dem barbierenden Künstler liegt vielmehr stets eine Schicht reiner weißer Leinentücher zur Hand, die er je nach Personen und Umständen fortwährend wechselt. Beim Rasiren ist der sogenannte „Langstrich“ die eingebürgerte Methode, die man mit leichter, aber sicherer Hand zu prakticiren versteht. Alles unzeitige Absetzen und Spielen mit dem Messer ist verpönt. Und wohl gar einem Lehrjungen zum Opfer elementarer Studien anheimzufallen, wird einem Gentleman nie und nimmer zugemuthet werden. Um dem allgemeinen Schaumnapf und dem allgemeinen Pinsel aus dem Wege zu gehen, pflegen die regelmäßigen Kunden ihre bestimmten, häufig numerirten oder mit Namen bezeichneten, höchst zierlichen Schaumtöpfchen aus Porcellan nebst Seife und Pinsel zu haben, die in einem eleganten Regal in bester Ordnung aufgestellt stehen. Ist der Bart abgenommen, so wird das ganze Gesicht mit einem weichen, in köllnischem Wasser getränkten Schwamme übergangen und sodann abgetrocknet. Hierauf überpudert man dasselbe noch mit einem weißen Pulver, das der Haut eine höchst angenehme Weichheit verleiht. Nun geht es an die Frisur des Kopfhaares, die mit dem Rasirproceß stets verbunden wird, und binnen weniger Secunden ist auch diese mit einer bewundernswerthen Fertigkeit vollbracht. Während dem ist auch der Ueberrock, dessen man sich zu größerer Bequemlichkeit zu entledigen pflegt, sauber ausgebürstet worden, und der betreffende dienstbare Geist, meist ein Negerknabe, wartet damit und mit dem Hut, dem ein Gleiches widerfuhr, geschäftig auf.

Für diese ganze Mühwaltung werden als fester Preis zehn Cents bezahlt, was nach unserm Geld vier Neugroschen beträgt. Dies könnte viel scheinen, ist aber insofern wenig, als die Preisverhältnisse in Nordamerika ungleich höhere sind. namentlich jegliche Arbeitsleistung mindestens viermal theurer als in Deutschland ist.

Es bleibt uns nun noch übrig, einige Worte über die Localitäten selbst zu sagen, worin die Barbiere in allen Städten der nordamerikanischen Union von nur einiger Bedeutung ihre Geschäfte zu betreiben pflegen. Jeder eintretende Fremde wird über die außerordentliche Sauberkeit und Eleganz erstaunen, die er hier antrifft. Da gewahrt man weder schmutzige Servietten, noch zersessene Stühle; da spürt man nichts von jenem widerlichen Seifengeruch, der in den meisten deutschen Barbierstubcn die Geruchsnerven der Besucher so sehr belästigt. Auch erblickt man unter den dienstthuenden Personen keine so abgetriebenen invaliden Gestalten, wie sie unter den deutschen Barbiergehülfen heimisch sind. Die Geschäftslocale der nordamerikanischen Barbiere sind Salons im eigentlichsten Sinne des Worts, so fein und elegant wie etwa unsere feinsten und elegantesten Café’s. Alles darin ist Leben; dem unaufhörlichen Kommen und Gehen entspricht ein ununterbrochenes, allseitiges und behendes Bedienen. Wie natürlich, ist ein solcher Salon, dergleichen sich in allen größeren Straßen mindestens einer befindet, mit dem ausgesuchtesten Schmuck-, Spiegel- und Möbelwerk ausgestattet. An den Wänden ziehen sich schwellende Divans und Sophas hin; der Fußboden ist meistentheils mit Marmorplatten belegt. Auf eleganten Seiten- oder Nischen-Tischen liegen wohl ein bis zwei Dutzend verschiedene neueste Zeitungen aus, die zum Lesen einladen und auch viel gelesen werden, wenn der Andrang der Gäste etwa zu groß und ein später Gekommener auf seinen Vorgänger zu warten genöthigt wird. Dies ist namentlich am Sonnabend des Abends und Sonntags früh der Fall, wo diese Barbieranstalten förmliche Lesezimmer zu sein scheinen. Inmitten des Salons nun stehen reihenartig die eigentlichen Geschäftsmöbel: elegant gepolsterte Barbierstühle, deren häufig zwölf und mehr vorhanden sind, und hinter denselben stehen die immerdar munteren und gesprächigen, des Dienstes stets gewärtigen Gehülfen. Diese Barbierstühle sind von einer eigenthümlichen, von unseren deutschen Lehnstühlen weit abweichenden Construction. Zuvörderst haben sie ungleich höhere Beine, sodann eine nach hinten stark geneigte Rückenlehne, die wiederum mit einer besonderen Kopfstütze versehen ist, worauf man während den Rasirens den Kopf legt und die je nach Belieben höher oder niedriger gestellt werden kann. Ein ebenfalls gepolsterter Schemel, dessen Höhe genau jener des Barbiersessels entspricht, dient den Füßen, die wegen der hohen Stuhlbeine den Fußboden nicht berühren können, zum bequemen Ausstrecken. Daß aber ein solcher Sitz dem Zweck weit mehr entsprechend ist, als die antiquirten Gesäße, wie sie in vielen deutschen Barbierstuben eingenistet sind, wird der Bemerkung kaum bedürfen.

Schließlich geschehe für die mit den amerikanischen Zuständen minder vertrauten Leser noch eines Punktes Erwähnung. Dieselben werden es vielleicht gar nicht begreifen können, wie man bei einem so einfachen Geschäft, behufs einer an sich unangenehmen und lästigen Sache, wie doch das Bartabnehmen ist, mit einem so ausgesuchten Aufwand, mit so viel Prunk und Raffinement zu Werke gehen mag. Dies erklärt sich aus einem tiefern Grunde. Wegen ihrer ganz allgemeinen Benutzung, die zu allen Zeiten und für alle Classen der Männerwelt eine Nothwendigkeit ist, sind die Barbiersalons in den Städten der Vereinigten Staaten als eine Art öffentlicher Anstalten angesehen. Nun liebt es der Nordamerikaner, ja es ist ihm charakteristisch, Alles, was zur Oeffentlichkeit in irgend einer nähern oder fernern Beziehung steht, durch Aeußerlichkeiten, die sich oft bis zur Großartigkeit erheben, auszuzeichnen und sichtbarlich in den Vordergrund zu drängen. Dies nun ist die Ursache, wodurch auch die nordamenkanischen Barbierstuben allmählich jenen großartigen Anstrich gewannen, der ihnen gegenwärtig wirklich eigenthümlich ist. Auch der Barbier, als Chef eines Barbiersalons, ist eine Art von public man, und seine Werkstätten sind häufig auch Sprechsäle, wie für die niedere, so auch für die hohe Politik des Landes, insoweit nämlich das Getriebe der Parteien dabei in Frage kommt.

G. P.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. In Krankheits- oder bei Todesfällen kommt es wohl vor, daß Barbiere zu Dienstleistungen außerhalb veranlaßt sind; dergleichen Dienste müssen indessen außerordentlich hoch honorirt werden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Emanuelle
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_080.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)