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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 6. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Guntershausen.
Von Claire von Glümer.



Ich weiß nicht und ich frag’ nicht,
Ob man Dich schuldig heißt;
Weiß nur, daß ich Dich liebe,
Wer Du auch immer sei’st.

(Thomas Moore)
I.

Im Schloßhofe zu Guntershausen waren eben die Diener und Kammerjungfern beschäftigt, einen Reisewagen zu bepacken, als Graf Lothar, der Schloßherr, von einer kleinen Geschäftsreise zurückkehrte. Verwundert sah er auf das geschäftige Treiben, sprang vom Pferde und ging dem alten Castellan entgegen, der das Sammtkäppchen abziehend mit betrübter Miene auf ihn zukam.

„Nun, Joseph, was hat das zu bedeuten?“ fragte der Graf, indem er auf den Wagen zeigte.

„Frau Generalin haben befohlen, Alles zur Abreise in Bereitschaft zu setzen,“ erwiderte der Alte in einem Tone, als ob er die größte Trauerbotschaft zu verkündigen hätte. „Die gnädige Frau wollen noch heute nach Eichberg zurückkehren und haben nur auf den Herrn Grafen gewartet.“

Lothar runzelte die Stirn.

„Was ist denn vorgefallen?“ fiel er dem Diener in’s Wort, aber ehe dieser antworten konnte, fügte er mit abwehrender Handbewegung hinzu: „Laß es gut sein, ich werde mit der gnädigen Tante sprechen.“ Mit diesen Worten eilte er die Freitreppe hinauf und verschwand im Innern des Schlosses, während Joseph seufzend und kopfschüttelnd zur Beaufsichtigung des Reisewagens zurückging, wobei er vor sich hinmurmelte: „Nun ist’s wieder die alte Geschichte – nun ist’s wieder aus und vorbei mit unsrer guten Zeit.“

Aehnlich waren Lothar’s Gedanken, während er die Treppe hinaufstieg und sich den Zimmern der Tante näherte. „Ich lasse sie nicht fort; sie muß meinen Bitten nachgeben,“ sagte er zu sich selbst, aber als er ihre Thür erreichte und sie mit der Kammerjungfer sprechen hörte, schien er plötzlich seinen Entschluß zu ändern. Er ging schnell vorüber, dem Ende des Ganges zu, wo er die Thür der Bibliothek geöffnet sah.

Geräuschlos trat er ein und blieb einen Augenblick tief athmend stehen, als er Eva, die Tochter der Generalin, in der Fensternische am Ende des Saales erblickte. Sie stand von ihm abgewendet und hatte die Stirn an die Scheiben gedrückt. Ihre hohe, anmuthige Gestalt, ihr zierlicher Kopf mit den reichen, braunen Flechten waren vom Purpur der Abendsonne übergossen, während die Tiefe des Saales schon im Dunkel lag.

Endlich hörte sie seinen Schritt, richtete sich auf und wandte den Kopf. Ihre Augen standen voll Thränen, ihr sanftes Gesicht war ungewöhnlich blaß und wurde noch blasser, als sie Lothar’s verstörte Miene bemerkte.

„Was ist Dir?“ fragte sie, indem sie hastig auf ihn zutrat.

„Ihr wollt fort!“ rief er und faßte ihre beiden Hände. „Eva, ist das möglich?“

„Wir müssen,“ flüsterte sie.

„Warum?“ fiel er ihr hastig in’s Wort. „Was wollt Ihr zwischen den Schutthaufen und geschwärzten Mauern? Habt Ihr nicht versprochen, hier zu bleiben, bis Eichberg vollständig restaurirt ist? Haben wir nicht für den ganzen Winter unsere Pläne gemacht, unsere Einrichtungen getroffen?“

„So höre doch nur,“ fuhr sie bittend fort, als er sie wieder zum Sprechen kommen ließ. „Unser Inspector, der Einzige, auf den wir uns verlassen konnten, hat das Bein gebrochen; nun muß Mama die Arbeiten selbst überwachen – wir müssen uns in Eichberg einrichten, so gut es geht.“

„Und ich?“ fragte Lothar in bitterm Tone, ließ Eva’s Hände los, trat an das Fenster und sah in den Park hinunter. Der Wind peitschte den Teich vor dem Schlosse in kurzen Wellen gegen die Ufer und jagte dichte Massen rothgelber Blätter über Wege und Rasenflächen. Lenau’s Herbstklage fiel ihm ein: „Treulich bringt ein jedes Jahr welkes Laub und welkes Hoffen;“ und er sagte sich selbst, daß es kindisch wäre, gegen dies Gesetz des Lebens zu murren. Der böse, finstre Zug, den Eva seit Monaten nicht mehr gesehen hatte, zuckte wieder um seinen Mund; die schwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen und die Augen starrten halb trotzig, halb verzweiflungsvoll darunter hervor. – Er war wieder der „schwermüthige Guntershausen“, der alle Menschen vermeidend, von Allen gemieden, jahrelang in tiefster Einsamkeit gelebt hatte.

Dieser Anblick that Eva weh. Sie trat an seine Seite, legte die Hand auf seinen Arm und sagte: „Mach Dir und uns den Abschied nicht so schwer. So oft Du uns sehen willst, kannst Du ja in zwei Stunden drüben in Eichberg sein.“ Aber als er vorwurfsvoll fragte, ob sie glaube, daß er dadurch für das verlorene Zusammenleben entschädigt werden könnte, war sie fast nicht mehr im Stande ihre Bewegung zu beherrschen. In ihrer Verwirrung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_081.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)