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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

schimmern sah, die das schöne schloßähnliche Gebäude umgeben. Von Radmeritz, dem Grenzorte Preußens und Sachsens, fuhren wir über Ostritz nach Marienthal. Der Weg ist hübsch und anmuthig, die Gegend überaus freundlich, doch wenig belebt. Je tiefer man in das von Bergen eng umschlossene, reizende Neißethal eindringt, in dem das Cistercienserkloster St. Marienthal liegt, desto stiller und einsamer wird es rings umher. Wir sahen auf der ganzen letzten Strecke nach Ostritz weder einen Menschen, noch ein anderes lebendes Wesen; wir vernahmen kein anderes Geräusch, als das Rollen unseres eigenen Wagens. Vergeblich lauschte ich dem Tone eines Vogels; vergeblich wünschte ich, um wenigstens etwas Leben und Bewegung zu haben, daß ein Windstoß die dunkeln, düstern, tannenbewaldeten Berge durchrauschen oder das goldige Laub von den schlanken Birken schütteln möchte, deren weiße Stämme hier und da zu Seiten des Weges auf dem grünen Rasen aufstiegen. Es sang und pfiff aber kein Vogel, es rauschte und regte sich nirgends ein Blatt. Am weiten Horizont zog keine Wolke; sondern licht, rein und klar wölbte sich der blaue Aether über dem einsamen, todtenstillen Thale. Die Natur stand im passendsten Einklang mit der friedlichen Lage des Klosters, dessen Mauern wir erst sahen, als wir an der Thür der Klosterschenke ausstiegen, welche fast dicht an die Klosterpforte stößt.

Kloster Marienthal.

Marienthal – Mariae vallis – eins der wenigen noch übrig gebliebenen Denkmale mittelalterlicher Frömmigkeit, liegt, genau bezeichnet, im königlich sächsischen Markgrafenthume Oberlausitz, am linken Flußufer der Neiße, die das Kloster im Süden und Osten umfließt. Von drei Seiten wird es dicht und enge von Bergen umschlossen, und malerischer und hübscher, aber zugleich abgeschiedener und einsamer kann so leicht kein Kloster liegen. Es macht einen friedlichen, tief poetischen, jedoch grenzenlos melancholischen Eindruck.

Gestiftet wurde das Kloster im Jahre 1234 durch die Königin Kunigunde von Böhmen, Tochter des römisch-deutschen Königs Philipp von Schwaben. Sie war dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach durch ihren Vater verlobt worden, zum Lohn und Dank fur viele wichtige Dienste, die Jener ihm geleistet; doch als sich König Philipp eine vortheilhaftere Verbindung eröffnete, brach er sein gegebenes Wort und vermählte 1206 seine Tochter dem Böhmenfürsten Wenceslaus, Sohn des Königs Przimislaus Ottokar.

Der verschmähte Pfalzgraf rächte sich an dem wortbrüchigen Könige. Zwei Jahre später ermordete er ihn in Bamberg, und seine Tochter Kunigunde hielt sich der Sitte jener Zeit gemäß verpflichtet, dieser blutigen That ein Sühnopfer zu bringen. Sie errichtete das Kloster Marienthal. Die übrigen Schicksale desselben darf ich wohl, als nicht zur Sache gehörig, hier übergehen.

Der Klosterhof ist von Mauern umschlossen, mit großen Rasenplätzen bedeckt, auf welchen einzelne Kugelakazien und wenige kleinere Gebüsche stehen. Ein Brunnen mit hoher Säule, die oben eine vergoldete Gestalt trägt, befindet sich in der Mitte des Hofes. Das leise Plätschern eines in das Bassin fallenden Wasserstrahls und das Klappern eines Mühlrades überbieten sich an eintönigem Geräusch. Außer einigen zerlumpten Bettlern zeigte sich kein lebendes Wesen auf dem großen freien Platze. Hell und glänzend beschien die Sonne Rasen und Bäume; ihre lichten Strahlen tanzten glitzernd auf dem sanft bewegten Wasserspiegel des Bassins und umleuchteten zum Theil freundlich die hellgrauen Mauern des Klosters und die weißgetünchten Wände der Gebäude.

Die stattlichsten Gebäude des Klosters bestehen in dem eigentlichen Kloster mit zwei Flügeln, der Wohnung der Aebtissin, der schönen Kirche mit Thurm, der Wohnung des Propstes und den großen weitläufigen Wirthschaftsgebäuden, die sich im länglichen Halbrund um das Kloster herumziehen. Die Kapelle im linken Flügel des Klosters, Kreuzkapelle genannt, enthält die Gruft, in der Henriette Sontag beigesetzt ist.

Machen die Baulichkeiten des Klosters schon vom Hofe aus gesehen einen großartigen Eindruck, so wird derselbe noch um ein Bedeutendes erhöht, wenn man von dem dicht an der Klostermauer aufsteigenden Stations- oder Calvarienberg auf Marienthal herabblickt. Von da aus gesehen, zeigt sich das Kloster in seiner ganzen weiten Ausdehnung; dort werden all die Gebäude sichtbar,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_092.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)