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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

nicht aus, die geistige Erstarrung, der Rückschritt des Volkes nach der lebensvollen Zeit der Reformation war zu augenfällig. Die deutsche Literatur trat in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts allmählich in ihre Blüthenzeit; die Philosophie griff kräftig ein, und J. J. Rousseau erweckte durch seinen Emil den sehnlichen Wunsch nach Verbesserung des völlig vernachlässigten Schulwesens. Edle Fürsten und andere hochherzige Männer wurden für die Verwirklichung dieses hohen Zieles erwärmt, und nicht lange nachher traten Basedow und v. Rochow auf Rekahn auf und wendeten ihre ganze Aufmerksamkeit der Verbesserung des schlechten Volksunterrichts zu. Basedow schrieb das Elementarwerk, Rochow gründete seine Musterschule und gab den Kinderfreund, ein für jene Zeit recht treffliches Schullese- und Unterrichtsbuch, heraus. Beider Wirken fand Nachahmer, welche die neuen Ideen fortführten und die gemachten Fehler verbesserten. Campe und Salzmann gründeten ihre Erziehungsanstalten, und obwohl dieselben nur den Reicheren im Volke zugänglich waren, so wirkten doch die in denselben zur Anwendung gebrachten und in Volks- und andern Schriften veröffentlichten Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts auf die Strebsamen unter den Lehrern des Volkes. Felix Weiße arbeitete durch den Kinderfreund für die Verbesserung der häuslichen Erziehung unter den gebildeten Classen, Zacharias Becker dagegen durch sein weit verbreitetes Mildheimisches Noth- und Hülfsbuch für die Masse des Volkes, namentlich den Bauern- und niederen Bürgerstand. Pestalozzi, preiswürdigen Andenkens, verbesserte besonders die Lehrweise, und sein Streben, selbst den Unterricht in technischen Fertigkeiten auf geistbildende Weise zu betreiben, verdiente und erwarb alle Anerkennung.

Gustav Friedrich Dinter.

In dieser Zeit allgemeiner Begeisterung für Verbesserung des Unterrichts und Hebung der sittlichen Zustände des Volkes trat auch Dinter auf, und Vieles ist durch sein Wort und Beispiel in Ausführung gekommen, was jene Männer vorbereiteten.

Derselbe, Glied einer zahlreichen Familie, erhielt eine dem Geiste jener Zeit nach recht tüchtige Erziehung, welche darauf berechnet war, ihn möglichst bald dem Gymnasium zuführen zu können. Für die Ausbildung des Gedächtnisses ward Alles gethan, lateinische theologische Compendien auswendig gelernt, zu denen die biblischen Belegstellen gar griechisch memorirt werden mußten. Dagegen geschah für Kopf und Herz äußerst wenig und dieses Wenige nur durch die vom Sohne innig verehrte Mutter, eine Frau von echter Religiosität, berechnender Klugheit und einiger Eitelkeit. Der Vater, ein vielbeschäftigter Rechtsgelehrter, war ein äußerst heiterer, fröhlicher Mann und trug durch seine Lebensanschauung nicht wenig bei, daß der Sohn das Leben mehr von der Lichtseite auffaßte und dem Murrsinne feind ward. Strenger Gehorsam und Furchtlosigkeit waren Forderungen, welche er an seine fünf Söhne stellte.

Dinter ward nach kaum vollendetem 13. Lebensjahre in die Landesschule zu Grimma aufgenommen, in welcher bereits sein Vater den Gymnasialunterricht empfangen hatte. Der Rector Krebs leitete mit Treue, Einsicht und Takt die Anstalt, doch hatte der Conrector Mücke auf das Gemüth des jungen Dinter besondern Einfluß. Er war es, der den von der Mutter eingepflanzten religiösen Sinn in den Jahren der erwachenden Kraft und Lebendigkeit im Jünglinge wach erhielt, und in Verbindung mit einem Geistlichen Grimma’s absichtslos bei seinem Schüler den Entschluß zur Reife brachte, das vom Vater gewünschte Studium der Rechte aufzugeben und sich der Theologie zuzuwenden. Die Freude am Unterrichten erwachte in ihm bereits in dieser Anstalt, und da der Erfolg seine Unternehmungen begünstigte, so ward er nach dortiger Einrichtung bald einer der beliebtesten Obergesellen, dessen Pflicht es war, die mit ihm in einer Stube Wohnenden in ihren Studien zu leiten und zu beaufsichtigen. Im Jahre 1779 verließ er als Erster der ganzen Schule Grimma, um die Universität Leipzig zu besuchen. Der kurz vor seinem Schulabgange erfolgte Tod der Mutter gab seinem ganzen akademischen Leben eine ernste Richtung und bewahrte ihn vor vielfachen Gefahren und Verirrungen. Ein reger, wissenschaftlicher Eifer veranlaßte ihn, in den ersten zwei Universitätsjahren sich mit Collegien zu überladen, so daß er sich späterhin als gereifter Mann über diesen auch noch heute nicht seltenen Mißgriff der akademischen Jugend in folgenden goldenen Worten ausspricht: „Es ist nicht nothwendig, daß dem Menschen Alles, was er wissen soll, in besonderen Lectionen vorgetragen werde. Reget nur die Lust und Kraft in ihm an und zeigt ihm die Hülfsquellen, dann wird er durch sich selbst mehr werden, als

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_101.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)