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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

die in diesem unglückseligen Raume beisammen waren. Man greift nach Hut und Stock, man sucht das Freie zu gewinnen, denn jeden Augenblick fürchtet man die Kugel wiederkommen zu sehen, vielleicht gefolgt von noch Schrecklicherem. Der Herzog wird in sein Schlafcabinet geführt, mit wankendem Schritt und einem leisen Gebete auf den Lippen. Das ist das Ende der berühmten Erscheinung im Palaste des Herzogs von Kurland.

Wir enthalten uns, die Sache natürlich zu erklären, wohl wissend, wie widerstrebend solche Erklärungen aufgenommen werden, wir geben nur die Thatsachen, die uns aus mehr als einem achtbaren Munde bestätigt werden, aus dem Kreise der Zeitgenossen und damals in Dresden Lebenden. Wie gesagt, es machte ein unbeschreibliches Aufsehen: die Spötter schwiegen und die Gläubigen triumphirten. Noch eine geraume Zeit darauf durfte nicht darauf hingespielt werden, wenn man nicht wollte, daß die, welche darin unmittelbar betheiligt waren, schlaflose Nächte haben sollten.

Mittlerweile drang man in Schröpfer, einiges von den Summen herbeizuschaffen, von denen er gesprochen und die von den Jesuiten deponirt und von denen ein Theil ihm zugänglich war. Sie befanden sich in einem Päckchen, das in Frankfurt gesiegelt niedergelegt worden. Es wurde der Tag bestimmt, wo diese Summen anlangen sollten. Es gehört dieses eigentlich nicht zu unserer Geschichte, es sei ihrer nur Erwähnung gethan, um Schröpfer’s Tod dabei zu berühren, der tragisch genug war, um für diesen unglücklichen Adepten Theilnahme und Mitgefühl einzuflößen.

An einem Morgen, noch vor Sonnenaufgang, fanden sich ein paar Männer der oben Genannten in Leipzig mit Schröpfer zusammen. Er hatte ihnen versprochen, noch vor Ankunft der Papiere ein merkwürdiges Wunder zu zeigen. Sie gingen mit einander in das Rosenthal, dort verließ sie der Wunderthäter, verirrte sich in das Gebüsch und – erschoß sich. Er hatte diesen Selbstmord figürlich einen Eintritt in den letzten und höchsten Grad des Geheimnisses genannt. Jetzt hatte er die Pforte gesprengt: jetzt war er in der That in ein Mysterium eingetreten, wo kein Anderer ihm folgen wollte. Erstarrt und entsetzt standen die Männer an seiner Leiche. Jetzt hieß es: es ist ein gewöhnlicher Betrüger; er hat sich nicht anders zu retten gewußt. Man eilte sich seiner Papiere zu bemächtigen; man fand keine. Das Päckchen aus Frankfurt enthielt eine Anzahl leere und beschriebene Blätter, die man im Aerger verbrannte. Die versprochenen Summen waren und blieben fort.

Mehrere Jahre hierauf wurden in Berlin ähnliche Scenen gespielt. Bischofswerder war hier der Hauptheld. Aber hier mischte sich nichts hinein, was dem Beobachter die Sache anziehend machen konnte; es war die reine Manipulation des Betrugs.[1]



Der Krystall-Palast in Amsterdam.
(Industrie- und Kunstausstellung aller Nationen.)

Als sich vor zehn Jahren der erste kosmopolitische Friedenstempel für alle Völker im Hyde-Park zu London aus Glas und Eisen erhob, wölbte und mit dem Fleiße und Schweiße aller Schaffenden der Erde zu nie erhörter Pracht ausfüllte, da jubelten die Hoffnungsvollen in allen Sprachen und begrüßten das Morgenroth einer sonnigen neuen Zeit ewigen Friedens, freien Austausches von Mangel und Ueberfluß über die Erde, allgemeiner Wohlfahrt und Sicherheit von „Personen und Eigenthum“ der „geretteten“ Völker und Staaten.

Der Wahn war kurz, die Reue lang. Es folgten zehn Jahre der Furcht vor Krieg und Revolution, Krieg mit unmenschlichstem, muthwilligstem Blutvergießen, Revolutionen und Staatsstreiche von oben gegen bereits gerettete und zusammengehauene Völker. Gefüllte Kerker überfüllten sich, so daß Männer und Jünglinge, die nicht unter die Soldaten, in den Krieg getrieben wurden, tausendweise auf giftige, heiße Inseln transportirt, wegen Mangel an Liebe zu verhaßten Zuständen und Personen in ihrem Erwerbe gestört, ausgewiesen, Hunderttausendweise zum Auswandern genöthigt oder zur Paß-, Concessions- und Arbeitslosigkeit zu Hause verurtheilt wurden. Die Schaffenden, Erwerbenden und Nährenden, die vorher frohndienend Ziegel brennen mußten, wurden gezwungen, nun auch Stroh und Holz dazu zusammen zu lesen; die Steuern verdoppelten sich. Feierlich beschworene und constituirte Rechte und Pflichten zwischen Herrschenden und Beherrschten wurden abgeschafft, verlacht, verhöhnt, die Verträge des „europäischen Gleichgewichts“ und des Friedens unter den Fürsten durch List und Gewalt verletzt und gebrochen. Der Premier des mächtigsten und freiesten Volkes war der Erste, der dem größten Meister in dieser Sphäre gratulirte. England wollte für 1861 eine neue Cultur-Ausstellung aller Völker bauen, wagte es aber nicht, konnt’ es nicht wegen der maßlosen Furcht vor dem Palmerston’schen Freunde, dem treuen „Alliirten“ drüben. England und manche andere Großmacht werden wegen dieser Freundschaft, wegen allgemeinen Mißtrauens, wegen der waltenden Nemesis der letzten zehn Jahre auch manches Andere nicht bauen können. Werthe von Millionen blieben in den englischen Häfen, in den Fabriken Europa’s liegen, in den Händen zum Müßiggang verurtheilter Arbeiter stecken, weil Kaufleute fürchteten, ihre mit dem Fleiße der Arbeit beladenen Schiffe könnten unterwegs in einen irgendwo und irgendwie ausgebrochenen Krieg hineinfahren.

Die Großen und Mächtigen hörten nicht auf die Stimmen der Friedenstempel, sie ließen sich gar nicht darin sehen, sie wollten nichts davon verstehen. Die Diplomatie und Politik steht ja hoch über der Weisheit, welche von stummen Callico-Ballen, von tönender Keramik und dem Rauschen textiler Künste gepredigt wird. In ihnen klingen die Rechte und Freiheiten der fleißigen, schaffenden Hand, des denkenden, erfindenden Kopfes. Unter den Diplomaten und regierenden Classen von Profession, am Entschiedensten unter den „obersten Zehntausenden“ Englands, gilt jede Art von Industrie und redlichem Erwerb als eine ausgemachte Schande. Der Krystall-Palast sollte im Hyde-Parke stehen bleiben, und Petitionen mit Hunderttausenden von Unterschriften verlangten dessen Erhaltung. Aber die „regierenden Classen“, die alle Tage in dessen Nähe mit ihren Damen Corso reiten, duldeten diese dauernde „Schande“ nicht; so daß er abgetragen und fünf Meilen weit im Süden wieder aufgebaut werden mußte. Die Industrie mit ihrem völkerverbrüdernden Kosmopolitismus unterlag in England – in Europa; die Diplomatie, welche Grenzen, Zöllner, Zollhäuser, Abgaben, streitende Interessen zwischen diesen Grenzen, Feindseligkeit, Soldaten, Kanonen, Bajonnete haben muß, um zu leben und sich wichtig zu machen und Freund und Feind auszubeuten, siegte und schwitzt seitdem täglich den Angstschweiß ihrer Triumphe.

Die Industrie unterlag, um vielleicht während dieser zehn Jahre der Schmach ihren größten Heldenkampf zu kämpfen und in ihrer Kraft sich loszuschütteln von den Frohndiensten und der Welt die Gesetze ewigen Friedens, der Freiheit unter den Völkern zu dictiren.

„Industrie, Kunst und Wissenschaft“ aller Nationen wollen im Mai 1861 zu einem neuen Congreß sich versammeln, um zu zeigen, was sie während der letzten zehn Jahre zu leisten gelernt, und zu sagen, was ihr heiliges Recht geworden, wenn sie „steuerkräftig“ bleiben sollen, und unter welchen Bedingungen sie künftig allein die nichtarbeitenden Classen mit ernähren können. Der Congreß wird aber nicht wieder nach London, überhaupt in keine Großmachtsstadt berufen (lauter „unsicher gemachte Gegenden“), sondern in die niederländische Haupt- und Hafenstadt Amsterdam, die halbmondförmig dem Meere zugewandte Stadt der neunzig Inseln, auf deren Brücken und zwischen deren kosmopolitischen Masten einst Spinoza dachte, Freiligrath dichtete und Swammerdam forschte.

Der Krystall-Palast für diesen zweiten kosmopolitischen Congreß fängt an, am Utrecht-Thore aufzusteigen, nach dem ausgeführten Plane prächtiger und schöner, als der größte Stolz Amsterdams, das ehemalige Stadthaus, jetzt Königsschloß, und der ehemalige Prinzenhof, jetzt Rathhaus. Er ist für die Dauer bestimmt, da keine englische Aristokratie am Utrechter Thore reitet, die sich durch dessen Nachbarschaft entehrt fühlen würde. Obgleich weit kleiner, als der erste vor zehn Jahren, im Ganzen nur 412 Fuß lang und 172 breit (im Transept 224), wird er doch, wie man

  1. Und was ist der Dresdner Geisterspuk mehr als ein Betrug?
    Die Redaction.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_107.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)