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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Wir sind im Laufe des letzten Jahrzehnts von Paris aus mit einer Reihe Entdeckungen auf dem Gebiet des „magischen Geisteslebens“ beschenkt worden, die eine Rundreise durch ganz Europa machten, in die besseren Kreise drangen, in allen gläubige Anhänger fanden und auf viele Frauen der besten Art sinnverwirrend einwirkten. Der Vorwurf, den man damals unseren Physikern und Aerzten mit Recht machte: daß sie, statt Unheil zu verhüten, sich dem Spuk gegenüber nur lächelnd verhalten hätten, macht es jedem Arzt zur Pflicht, gegen einen neuen Spuk, der nicht von selbst rasch verschwindet, in seinem Kreise Bannformeln zu suchen.

Im Gefühl dieser Pflicht sind die vorstehenden Untersuchungen vorgenommen worden.




Pariser Bilder und Geschichten.
Von Moritz Hartmann.
Nr. 6. Heuchler des Reichthums.

Wir haben in den frühern Skizzen von den Heuchlern des Lasters und der Tugend erzählt, es gibt auch Heuchler des Reichthums, und ihre Anzahl muß Legion sein in einer Welt, in der das Geld eine so große, eine so ungeheuere Rolle spielt.

Die Familie Faussimont besteht aus der Mutter, Madame Faussimont, aus dem Sohne Gustave und aus den zwei Töchtern Pauline und Zelia. Die Familie bewohnt auf dem Quai Voltaire ihr eigenes Haus, d. i. das Haus, das in der That der Familie gehörte, aber seit vielen Jahren an einen Notar verkauft ist. Niemand weiß von diesem Verkaufe; man hat dieselbe Wohnung vom Notar gemiethet, die man als Eigenthümer bewohnt hatte, und so wohnt man noch immer im „eigenen Hause“. Die ganze Bekanntschaft hält Madame Faussimont für eine Proprietaire, nur der Portier weiß, daß er einer fremden, außer dem Hause wohnenden Macht gehorcht, und da er eine gewisse Anhänglichkeit an die alten Eigenthümer hat, läßt er die Bekannten in ihrem Wahn und achtet das Geheimniß der Familie Faussimont. Seit lange plagt sich Madame Faussimont mit einer Rente von 6–7000 Francs; in ihrer Stellung, in ihrem Kreise ist es schwer, sich mit 7000 Francs durch’s Jahr zu schlagen. Die Revolution ließ sie einige Zeit aufathmen. Es war damals Mode, ruinirt zu sein, und Madame Faussimont erklärte sich für ruinirt und lebte in den Jahren 1848 und 1849 sehr behaglich. Sie konnte sich in ihrer Gene gehen lassen; sie und ihre Kinder trugen sehr schäbige Kleider, sie gab keine Gesellschaften und war in zwei Sommern nicht gezwungen, auf’s Land zu gehen.

Indessen haben sich alle durch die Revolution Ruinirten wieder erholt; Alles lebt wieder auf großem Fuße, die Familie Faussimont kann nicht zurückbleiben, um so weniger als Pauline und Zelia längst herangewachsene Fräulein sind, die sich, wenn sie heirathen wollen, in der Welt müssen sehen lassen. Um in die Welt zu gehen, muß man auch die Welt zu sich kommen lassen. Das kostet in Paris eigentlich nicht viel: etwas Thee, etwas Kuchen, zwei Lampen mehr, als gewöhnlich, voilà tout – aber es kostet doch etwas. Auch sind die Möbels so schrecklich alt; der Plüsch derselben, aus dem Empire stammend, so abgeschabt, daß man sie kaum mehr sehen lassen kann. Zelia beklagt sich gegen alle Welt über den schrecklichen Conservatismus der Mutter, die sich von den Großvaterstühlen nicht trennen kann, welche den achtzehnten Thermidore gesehen. – „Was willst Du, mein Kind?“ – sagt die Mutter lächelnd, „ich bin nun einmal so: ich hänge am Alten; übrigens passen diese Möbel zu unserem Hause. Auch unser Haus ist altmodisch – aber diese großen Räume, die von Ludwig XIV. erzählen, sind mir lieber als die modernen Häuser des Faubourg St. Honoré. Willst Du vielleicht auch, daß ich unser Haus restaurire, daß ich es vielleicht verkaufe, um ein so modernes aufzubauen? Nicht um alle Schätze der Welt. Nenne Du mich nur pedantisch, Zelia; ich liebe das Alte. Wenn ich erst todt bin, dann mögt ihr euch moderne Fauteuils und Kanapees und kleine Möbelstückchen von Tahan und Odiot anschaffen, dann werde ich euch nicht mehr geniren mit meinen alten Ideen.“

„Aber Mama,“ ruft Zelia, und wirft sich der Mutter weinend an den Hals, „was sprichst Du vom Tod? Nicht ein Nagel soll an diesen Möbeln verändert werden.“

Nun weiß die Welt, warum die Familie Faussimont so elende, alte Möbel hat – wahrhaftig, sie könnten so schöne Möbel haben, wie irgend Jemand; man weiß, daß Madame Faussimont Renten hat, und das Haus Nr. 5, Quai Voltaire, ist eins der schönsten und einträglichsten Häuser an der Seine.

Aber Thee, Kuchen, Zuckerwasser, Lampenöl kosten auch Geld, und alle die Krämer, Bäcker, Patissiers der Umgegend kennen die inneren Angelegenheiten und Finanzverhältnisse des Hauses besser, als alle intimen Freunde. Auf diese Epiciers ist nicht zu hoffen; sie denken klein, sie sind gemein, sie wollen bezahlt sein und zwar sogleich bezahlt sein. Pauline, Zelia und Gustave legen sich die härtesten Entbehrungen auf; sie versagen sich des Morgens zum Kaffee das Weißbrod und dergl. mehr, nur um ihren Mittwoch Abend aufrecht zu halten. Gustave ist eine sehr gute Haut; er ist zwar zu Nichts zu brauchen, man hat ihn schon aus den verschiedensten Bureaux der verschiedensten Ministerien fortgeschickt, und er wartet nun schon lange vergebens, daß man ihn bei irgend einer Gesandtschaft anstelle, aber die Schwestern machen aus ihm und mit ihm, was sie wollen. Er muß so viel als möglich außer dem Hause essen, bei ehemaligen Schulcameraden, bei neuen Bekanntschaften, die er fortwährend vermehrt, und was an Gustave’s Kost erspart wird, legt man ebenfalls dem Thee zu. Der kostet nicht sehr viel, denn man kauft nicht eigentlichen Thee, sondern man kauft bei Marquis im Passage Panorama Theestaub, der nur schlechter anzusehen ist, aber das beste Getränk gibt. Zelia bereitet ihn nicht im Salon, so sieht man auch nicht, daß es Staub ist.

Aber trotz dieser Anstrengungen vergeht doch ein Winter nach dem andern, und weder Pauline noch Zelia hat einen Mann gefunden, und es ist doch hohe Zeit, daß eine oder die andere unter die Haube komme. Da hört man, wie ein ganz armes Fräulein, aber aus der „guten Gesellschaft“, im Bade St. Sauveur einen Bräutigam gefunden. Eine lichte Idee erleuchtet die ganze Familie Faussimont; man muß in ein Bad, coûte qui coûte, man muß in ein Bad. Die letzten Anstrengungen dürfen nicht gescheut werden. Nach Monaten der Entbehrung wird Gustave auf’s Land geschickt zu einem Freunde – er soll nur acht Tage bleiben, aber seine geheimen Instructionen lauten auf Monate – und Madame Faussimont mit Töchtern setzen sich in der Nacht in einen Waggon zweiter Classe, und ehe das Tageslicht diese Schmach beleuchten kann, sind sie in Dieppe, im Seebade.

Mehrere Tage verfließen ereignißlos. Die Damen treten sehr bescheiden auf, sind aber überall zu sehen: auf der schönen Plage, im Badehause, am Hafen, am Leuchtthurm, und wenn große Partien nach den Ruinen von Arques gemacht werden, auch dort und in dem nahen Parke. Schon sind sie bekannt, aber sie haben keine Bekannte. Nachmittags sitzt man am Ufer des Meeres, auf der Düne; die Mama arbeitet, Pauline liest ihr Verse vor, Zelia springt im Sande und Kiese umher und sucht Muscheln. Manchmal eilt sie mit kindischem Geschrei herbei und zeigt der Mama und der Schwester irgend eine besonders schön gezeichnete Schale. „Wie kindisch Du bist, liebe Zelia!“ sagt die Mutter, wenn eben Leute vorübergehen. – Schon nach zwei Tagen sammelt auch ein junger Mann aus der Gascogne Muscheln; ein Herr v. Faillet, der an der Garonne Weinberge besitzt. Am dritten Tage gleitet Zelia aus und fällt bis an die Knöchel in’s Wasser; sie schreit auf, der junge Mann eilt herbei und führt die Erschrockene der Mutter zu, ist verlegen, lächelt und entfernt sich wieder. Aber er ist in den nächsten Tagen wieder an der Düne und bewundert das Heranrauschen der Fluth; so thut auch Zelia, die auf einem Felsen steht. Herr v. Faillet erlaubt sich, sie zu warnen; der Felsen wird in wenigen Minuten von der Fluth umgeben sein. Aber Zelia ist so kindisch. „Desto besser,“ sagt sie, „das wird herrlich sein!“ – Schon ist der Felsen von der Fluth umgeben; Zelia bemerkt es nicht, endlich sieht sie sich ängstlich um, und ihr Blick weilt Hülfe flehend auf Herrn v. Faillet. Das hat er nur erwartet; er stürzt herbei, er schreitet bis an’s Knie durch die salzige Fluth,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_121.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)